Fußball

Reise nach Jerusalem

Ein Stuhlkreis, Musik läuft, Musik stoppt, Stühle neu besetzt! Jeder kennt es – das Kinderspiel Reise nach Jerusalem. Was eigentlich mal zur Unterhaltung auf Kindergeburtstagen diente, findet nun in der Bundesliga seine Renaissance.

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Der Trainerstuhl galt schon immer mal gerne als Schleudersitz, selten war der Vergleich jedoch passender als in diesen ersten Monaten des jungen Jahres 2011. Nach dem Motto „Der Schwächste fliegt!” wird an den Stuhlbeinen der Trainer gesägt, aus Heilsbringern wird der personifizierte Teufel. Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?
Doch mit den Übungsleitern geht oftmals nicht nur eine Person – es folgt ein ganzer Rattenschwanz. Co-Trainer, Psychologen, Physiologen, Technik- und Taktik-Trainer, Scouts und auf Schalke sogar der Mediensprecher. Damit aber nicht genug. Mit den Trainern verschwindet meist auch eine ganze Philosophie. In heutigen Zeiten verkörpert ja jeder Newcomer einen individuellen Spirit, jeder darf den Spielstil und eventuell den ganzen Verein nach seinem Gusto gestalten. Blöd nur, wenn der Häuptling dann irgendwann am Marterpfahl steht.

Schalke revoltiert
Auf Schalke wackelt Felix Magath ganz gewaltig, der Heiland und Alleinherrscher sollte eine neue Ära – und natürlich doch bitte den Kampf um die deutsche Meisterschaft – einläuten. Schalke opferte sich hingebungsvoll. Wie Griseldis ließ man alle Qualen und Prüfungen über sich ergehen. Bis die Fans revoltierten und die Chefs um Clemens Tönnies merkten, dass Magath so gar nicht nach Schalke passt. Viel zu kautzig, viel zu distanziert für das emotionale und volksnahe Gelsenkirchen. Magath hat gefühlte 25 Spieler in seinen 1,5 Jahren verpflichtet, mindestens 23 davon wären bei einem Abgang für die Katz. Und dabei ist noch nicht die Abfindung und das komplette Neujustieren mit einberechnet.

Bundesweites Phänomen
Doch auch im Norden und Süden der Republik schlottern die Trainerknie. Hamburgs Armin Veh griff lieber zum Fallschirm und kam damit seinen Bossen zuvor. Im Sommer 2011 ist Schluss, wäre Veh nicht gegangen, er wäre ohnehin gegangen worden. In Stuttgart arbeitet man an einem fragwürdigen Rekord. Immerhin drei Trainer hatte der VfB bereits in der laufenden Saison. Mal der erfahrene Christian Gross, dann der jugendliche Elan des Jens Keller, und nun der emotionale Einpeitscher Bruno Labbadia. Mehr Paradigmenwechsel geht nicht. Konstanz adé! Dieses Jahr ist für beide Vereine jedoch kein Einzelfall. Insgesamt zehn Trainer verschlissen sie seit 2008. Das Resultat sind mäßige Leistungen und null Konstanz.
Selbst das kleine, beschauliche Hoffenheim wundert sich nach dem Weggang Rangnicks, dass sich mit Neu-Coach Marco Pezzaiuoli nicht sofort der Erfolg einstellt. Der 42-Jährige musste im Winter die Abgänge von Luiz Gustavo und Demba Ba verkraften, zwei absolute Leistungsträger. Dass hier das große Spektakel ausbleibt, war abzusehen, aber der Trainer steht als schwächstes Glied immer in der Kritik.

Verrohung der Sitten
Es ist der Mangel an Zeit, der Zwang nach Erfolg. Der Fußball ist nicht nur auf dem Platz schneller geworden. Auch über die Trainerbänke weht der Wind mit Hunderten km/h. Dennoch ist es mit einer Verrohung der Sitten gleichzusetzen. Menschen werden geopfert und wie Säue durchs Dorf getrieben. Kein Schauspiel scheint hier zu gruselig und die Medien machen fein mit. Hau den Lukas!
Der große FC Bayern aus Süddeutschland ist das beste Beispiel. Den großen Umbruch hatte man schon unzählige Male im Auge. Lediglich die Zeit und der Mumm dazu fehlten. Selbst mit Jürgen Klinsmann ging eine Idee. Nun folgt Louis van Gaal in die Geschichtsbücher des FCB. Nüchterne Erfolge nimmt man in München gerne mit, aber für die große Philosophie reicht nicht die Zeit.

Hoffnungsschimmer?
Ein kleiner Hoffnungsschimmer bleibt aber. Mit den lange als unregierbar geltenden Klubs aus Köln und Dortmund haben wohl zwei Vertreter eine sympathische Dauerlösung gefunden. Auch wenn es lange gedauert hat – immerhin.
Eventuell sollte man mal bei Libyens Gaddafi wegen Schalke, München oder Hamburg nachfragen. Oder Ägyptens Mubarak, oder Sadda… achnee, sorry! Aber in den Bergen irgendwo in Afghanistan oder Pakistan sitzt noch ein Vertreter der harten Zunft. Zumindest würden sie Rückschläge und eine rustikale Gangart verkraften. Und Reise nach JERUSALEM (Israel und so) würden sie sicherlich auch gerne spielen.

(Text: Jerome Kirschbaum)

Jerome K.

Jerome schreibt am liebsten über Sport, wenn er denn nicht selbst auf einem Platz steht. Seit Oktober 2010 verdingt sich Jerome als Schreiberling für back view, neben den Leibesübungen widmet er sich sich auch politischen Themen. Im wahren Leben musste Jerome zahlreiche Semester auf Lehramt studieren, um dann schlussendlich doch etwas ganz anderes zu werden.

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