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“Ich habe gesagt, ich werde ihn finden”

Der Gewinner des Sundance Filmfestivals „Winter’s Bone” ist seit 31. März in den deutschen Kinos zu sehen. Ein bewegender Film über ein 17-jähriges Mädchen, das auszieht, um seinen Vater zu finden.

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Missouri, das ist der Staat im Mittleren Westen, der relativ genau im Zentrum der USA liegt. Hier ist alles amerikanischer Durchschnitt: Die Bevölkerungszusammensetzung, die Geografie, Religion und die politische Meinung.

Genau in diesen Staat verlegt Debra Granik ihren Independentfilm „Winter’s Bone”. Die Geschichte, die sie erzählt, ist aber alles andere als gewöhnlich. Die Protagonistin Ree Dolly, gespielt von Jennifer Lawrence, ist die älteste Tochter einer Holzfällerfamilie, die in einer Schrotthütte am Rande der zivilisierten Gesellschaft lebt.

Es ist Spätherbst und überall liegen verdorrte Pflanzen auf dem Boden. Ähnlich wie den Pflanzen geht es auch den Menschen in der Region der Ozark Mountains. Das Leben in Armut hat sie hart gemacht. Ihren Gesichtszügen ist die Freude des Lebens entwichen. Man redet nur wenig. Sie sind gezeichnet von ihrem Alltagsgeschäft: der Herstellung und dem Konsum von Crystal Meth.

Die große Zäsur im Leben der 17-jährigen Ree tritt ein, als sie mit dem Verlust ihres Anwesens konfrontiert wird. Der ortsansässige Sheriff teilt ihr mit, dass ihr bis auf weiteres verschwundener Vater innerhalb von einer Woche vor einem Gericht erscheinen muss. Als Kaution hatte dieser ihr Haus und Grundstück verpfändet. Im Angesicht der Vernichtung ihrer Existenz macht sich Ree auf den Weg, ihren Vater zu finden – tot oder lebendig.

Spätestens seit CSI ist Blaufilter über der Kamera auf dem Vormarsch. Nahezu jeder Film, der etwas auf sich hält und hochwertig erscheinen will setzt ihn ein. In „Winter’s Bone” allerdings macht das kühle Bild Sinn; es unterstützt die Stimmung des Films. Es wertet die dreckige und heruntergekommene Umgebung nicht auf. Unterstützt wird die Trostlosigkeit durch den Einsatz von traditionellen, melancholischen Folksongs aus der Gegend.

Denn „Winter’s Bone” ist kein Landschaftsporträt. Was die Story vorantreibt sind die Menschen. In den Ozark Mountains hat sich eine Subkultur entwickelt, die nach ihren eigenen Regeln lebt; sich jeglicher öffentlicher Gerichtsbarkeit entzieht. So ist es auch nicht verwunderlich, dass hier der Sheriff mit einer Schrotflinte bedroht werden darf. Auch er ist korrupt.

Mit einem Budget von gerade einmal 2 Millionen Dollar bildet die Adaption von Daniel Woodrells 2006 erschienen gleichnamigen Roman ein amerikanisches Lebensmodell ab: White Trash. Nicht wie üblich werden die Menschen im Konsumrauch sondern im Taumel der eigenen Emotionen charakterisiert. Debra Granik bemitleidet ihre Figuren nicht, dafür sind sie zu stark, haben zu viel Persönlichkeit, sind zu vielschichtig. Sie verurteilt ihren Lebensentwurf auch nicht. Sie schafft es, so feinfühlig die Facetten des Daseins zu charakterisieren, dass der Zuschauer sich nahezu mit jeder der Figuren identifizieren kann. Das ist sowohl auf die Inszenierung als auch auf die großartige Leistung der Schauspieler zurückzuführen.

Da ist Rees Onkel „Teardrop” (John Hawkes), der ihr zunächst keine Hinweise auf den Verbleib ihres Vater geben will. „Don’t you have a boyfriend to take care of this?”, ist Teardrops einziger Kommentar.

Die von Debra Granik entworfenen Welt ist dominiert von Männern. Männer arbeiten oder verdienen das Geld auf andere Weise. Männer lösen die Probleme – oftmals mit Gewalt. Männer sagen, wann geredet und wann geschwiegen werden muss. So ist der Film auch ein Porträt von Grenzüberschreitungen und der Emanzipation. Wenn Ree einen Stacheldrahtzaun überqueren muss, um auf das Grundstück des Stammesoberhaupts Little Athur zu gelangen, ist das ein viel größeres Vergehen als bloßer Hausfriedensbruch – es ist der Bruch mit den Konventionen. Dieser Bruch muss bestraft werden. Sie kann keine Solidarität erwarten: Ree wird übel zugerichtet – von Frauen.

Am Ende des Filmes steht ein zweifelhaftes Happy End; der Zuschauer bleibt verstört zurück. Kann man so wirklich glücklich sein?

Ein Tipp: Den Film unbedingt im englischen Original – notfalls mit Untertiteln – ansehen. Die Stimmung lebt auch von der (Aus-)Sprache der Darsteller.

Bewertung: 4 von 5 Sternen

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Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=sGafrR2rcUI

(Text: Lea Kramer / Zeichnung: Christina Koormann)

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