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Proben für den Ernstfall

Über blonden Augenbrauen zieht sich die braungebrannte Stirn in Falten. Mathias Habermann sitzt in einem dunkelgrünen Klappstuhl, verschränkt seine kräftigen Arme. Warme Luft und der Geruch von Plastikplanen schlagen dem Oberstleutnant ins Gesicht. Seit vier Tagen ist die Luftlandebrigade 31 schon im Einsatz. Die entscheidende Strategie ist noch nicht gefunden.
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Vor Habermann knapp dreißig Männer in Tarnanzügen und schwarzen Kampfstiefeln. Ihr Spezialgebiet sind irreguläre Kräfte: Partisanen, Terroristen, Aufständische und Guerilla-Kämpfer. Bei der strategischen Übung „Roter Luchs” proben 250 Soldaten in Oldenburg  den Ernstfall. Etwa 40 von Ihnen waren beim letzten Einsatz in Afghanistan dabei.

Auf dem weitläufigen Gelände der Henning-von-Treskow-Kaserne sind 17 Militärzelte aufgebaut, der so genannte Gefechtsstand. Soldaten bezeichnen ihn als das „Gehirn der Streitkräfte”. Hier werden Informationen gesammelt, der Funk überwacht, strategische Pläne ent- und wieder verworfen. Fiktiver Einsatzort ist Westzylantis, eine Insel inmitten des atlantischen Ozeans, zwischen Island und Großbritannien. Sie existiert nur in Gedanken.
Durchaus realistisch sind hingegen die ethnischen Konflikte im Grenzgebiet zwischen Ost- und Westzylantis. Sie bilden den Brennpunkt der Mission „LYNX”.  Auch in Afghanistan sorgen ethnische Auseinandersetzungen für Schwierigkeiten, gerade in solchen Regionen, die an Pakistan grenzen.

Elf Uhr. Zweite Zwischenbesprechung in der so genannten Informationszelle. Bei jedem Windstoß schlagen Zeltwände gegen die Eisenstangen. Auf dem harten Bretterboden sind  Schritte zu hören, aus der Ferne schwere Motorengeräusche. Oberstleutnant Habermann hört sich die Lageberichte der einzelnen Abteilungschefs an. Umwelteinflüsse, eigene Lage, Verpflegung. Hin und wieder macht er sich Notizen, kritzelt mit einem silbernen Kugelschreiber auf einen Block, um diesen kurz danach wieder in seine Brusttasche zu stecken. Gegnerlage, Infrastruktur, Minenlage.

Hier hakt Habermann nach. „Noch keine Information”, die knappe Antwort des zuständigen Soldaten. Die Geschichte, die den Hintergrund der Übung liefert, ist relativ überschaubar: 110 Kilometer vom Gefechtsstand der Brigade entfernt, versteckt sich eine Gruppe irregulärer Kräfte, „Boxer” heißt sie, ihr Anführer „Julius Pfützer”. Ihn soll die Brigade bei einer Folgeübung stellen. Momentan entwerfen die Kompaniechefs  strategische Pläne für diesen Einsatz.

Mit einer Powerpoint-Präsentation werden verschiedene Strategien durchgespielt, insgesamt vier stehen zur Auswahl. Auf jeder Folie das Motto der Luftlandebrigade 31: einsatzbereit – jederzeit – weltweit. Innerhalb von fünf Tagen müssen erste Kräfte an ihren Einsatzort gelangen. Egal, wo dieser sich befindet. Etwas mehr Zeit haben die Truppen bei ihrer derzeitigen Mission. „0503″ steht auf dem Zeitplan, dahinter „Übernahme AOR” für „Area of Responsibility”. Mit  anderen Worten: In sieben Tage sollen die Streitkräfte das umkämpfte Gebiet erreicht haben.
Viel Zeit für große Pläne bleibt da nicht. „Wir müssen heute zu einem Ergebnis kommen”, erinnert Oberstleutnant Habermann seine Männer. Innerhalb der nächsten sechs Stunden soll die Strategie entschieden sein, noch immer sind drei Möglichkeiten übrig. Mit lauter Stimme versucht Habermann gegen das Brummen einer Heizungsanlage anzusprechen. „Die Idee muss einfach sein, damit sie erfolgreich ist.”

Ende der Zwischenbesprechung, die Soldaten strömen aus der Informations-Zelle. Mit einer routinierten Handbewegung schlagen sie die Zeltplanen zur Seite. Auch wenn strategische Übungen wie der „Rote Luchs” nicht alltäglich sind, gehören sie zur militärischen Routine.  Ebenso die Auslandseinsätze der Brigade 31: Ein Job, der gemacht werden muss. Als die Soldaten ins Tageslicht treten, kneifen einige von ihnen die Augen zusammen, in der Sonne schlagen die Zelte lange Schatten. Mittagspause in der Kaserne.

(Text: Ronja von Wurmb-Seibel)

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