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Offensive der Werberebellen

Sind bei euch in letzter Zeit lebendige Handys durch den Hörsaal geturnt? Oder erinnert ihr euch noch an an die 85-jährige Mary Woodbridge, die mit ihrem Hund Daisy den Mount Everest besteigen wollte? Wenn ja, dann habt keine Sorge; ihr seid nicht verrückt. Ihr werdet nur Zeuge der zunehmenden Verbreitung von sogenanntem Guerilla-Marketing.


Der Siegeszug der Marketing-Guerillas
Wer „Werbung” hört, der denkt als erstes an die ständigen Unterbrechungen des abendlichen Spielfilms oder öde Plakate an Litfaßsäulen. Doch schon längst hat die Industrie auf die Sättigung der Konsumenten mit herkömmlicher Werbung reagiert. Das Zauberwort heißt “Guerilla-Marketing”.

Geprägt wurde der Begriff in den 80er Jahren von dem Amerikaner Jay Conrad Levinson. Damals hatten die mittelständischen Unternehmen in den USA mit der Rezession in Folge der beiden Ölpreisschocks zu kämpfen. Wer trotz widriger Umstände bestehen wollte, der musste beim Absatz der eigenen Produkte neue Wege beschreiten. Unter diesen Umständen kam  Levinsons inzwischen in 37 Sprachen übersetzter Erstling, das „Guerilla-Marketing Handbuch” genau zur richtigen Zeit.

Die darin propagierte Taktik lautete: Auch abseits der üblichen Kanäle auf den Kunden zugehen  und dabei Werbung und künstlerische Aktionen miteinander verbinden. Während der letzten drei Jahrzehnte haben sich auf Grundlage dieser Idee zahlreiche neue Werbeformen entwickelt. Häufig wird in der Fachliteratur zusammenfassend von Sensation- , Ambush- und Ambient Marketing gesprochen.

Die drei Ausprägungen des Guerilla-Marketing
Sensation Marketing meint dabei das Kreieren von Ereignissen, innerhalb derer die eigene Marke unauffällig positioniert wird. Die lebendigen Handys, die im Hörsaal eine Art Werbespot-Performance darbieten, sind nur ein Beispiel. Besonders innovativ im Bereich des Sensation-Marketing ist die Firma Red Bull. Zu ihren zahlreichen eigens initiierten Riesen-Events wie den „Red Bull Flugtagen”, oder den „Red Bull X-Fighters” pilgern regelmäßig tausende Zuschauer und die Medien können der Versuchung, von der neuesten abgefahrenen Trendsportart zu berichten nur selten widerstehen und rühren ganz umsonst die Werbetrommel. Einen offensichtlichen Nachteil hat das Sensation-Marketing jedoch: Die Inszenierung eines Events ist  immer zeit- und kostenintensiv. Warum also Events teuer veranstalten, wenn es doch schon so viele gibt?

Das dachte sich unter anderem auch die Modefirma Lee und verteilte 2006 bei acht großen Musik-Festivals insgesamt 50.000 Pappgitarren. Die Zuschauer griffen begeistert zu und waren daher später in sämtlichen Medien mit ihren werbeverzierten Errungenschaften zu bewundern. Ambush-Marketing nennt sich das Aufspringen auf Events Dritter und erfreut sich großer Beliebtheit: Kodak, Menthos, Nike, Puma und viele andere sind in dem Feld aktiv.

Was die quantitative Verbreitung anbelangt, so können jedoch weder Sensation- noch Ambush-Marketing mit dem sogenannten Ambient Marketing mithalten. Mit Ambient-Marketing sind Werbebotschaften gemeint, die auf kreative Weise direkt im alltäglichen Lebensumfeld der  Menschen platziert werden. Ob in Toiletten, Bussen, Bahnen, Schwimmbecken oder gar auf Gullideckeln spielt keine Rolle; hauptsache man ist erfinderisch.

Zielgruppenorientierte „Anti”-Werbung
Kreativität und Spaß stehen also bei allen Formen des Guerilla-Marketing scheinbar im Zentrum. Kein Wunder, die Zielgruppe bilden schließlich junge Menschen und damit etwas „Uncooles” wie Werbung dort ankommt, darf, wo Werbung drin ist auf gar keinen Fall auch Werbung drauf stehen. Folglich sind die Aktionen so konzipiert, dass sie von den potentiellen Kunden erst einmal unabhängig von der beworbenen Marke als unterhaltsam empfunden werden. Gelingt dies, so wird die Botschaft danach vollkommen  freiwillig und kostenlos über sämtliche privaten und öffentlichen Kanäle weiterverbreitet.

Nun könnte man meinen, Jay Conrad Levinson wäre ein Visionär gewesen, der die Zeichen der Zeit als erster erkannte und daraus ganz neue Konsequenzen zog. Für das Marketing war er das sicherlich auch, aber sind die von ihm entwickelten Aktionsformen wirklich so neu gewesen? Die Bezeichnung „Guerilla” macht einen doch etwas stutzig. Schließlich assoziiert man damit doch eher Che Guevara oder Bürgerkriege in Afrika.

Noch verdatterter macht einen dann ein Blick in die Selbstbeschreibung des Fachverbands Ambient Media, wo es heißt: „Bereits 2001 organisierten sich mutige Einzelkämpfer, die sich die mediale Revolution auf die Fahne geschrieben hatten und gründeten in Hamburg den Fachverband Ambient Media e.V. (FAM). Viele der besten, innovativsten und kreativsten unter den Werberebellen haben sich mittlerweile angeschlossen […]”.   Einzelkämpfer, Revolution, Rebellen? Ursprünglich war damit doch mal etwas anderes gemeint als die Rebellion gegen die letzten werbefreien Lebensbereiche und die anschließende revolutionäre Durchsetzung derer vollkommenen Ökonomisierung, oder? Wo also haben Levinson und seine „Werberebellen” sich für ihre Aktionsformen und Selbststilisierungen inspirieren lassen?

Der heimliche Vater des Guerilla-Marketing
Für die Klärung dieser Frage ist ein Blick in die Geschichte der BRD ab den späten 60er Jahren sinnvoll. Damals entwickelten sich in vielen Ländern innerhalb der politischen Protestkultur Strategien, die heute unter dem Begriff Kommunikationsguerilla zusammengefasst werden. Vorbild für die Strategien waren die Guerilla-Kämpfer im Vietnam und auf Kuba. Deren Taktik des punktuellen, vereinzelten Agierens gegen einen übermächtigen Feind übertrugen Spontis, Hacker und andere Polit-Aktivisten im Laufe der Jahre auf den westlichen, urbanen Raum.

Dabei setzten die Kommunikationsguerilla im Gegensatz zur selbsternannten Stadt-Guerilla RAF jedoch keineswegs auf Gewalt sondern auf die Verbindung von Kunst und Politik im öffentlichen Raum. Durch diese Symbiose sollten die Mitmenschen für gesellschaftliche Missstände wie Krieg, Armut und Intoleranz sensibilisiert werden. Aus schon älteren Taktiken, wie dem versteckten Theater entwickelten sich so im Laufe der Jahre so unterschiedliche Aktionsformen wie Graffiti, öffentliche Videokunst oder die Verfälschung von Werbeplakaten.

Aus dieser Perspektive betrachtet bestand die „Leistung” Levinsons und der Werbeguerillas nun nur noch darin, die Strategien der politischen Subkultur und deren Selbststilisierung als „rebellisch” und „subversiv” aufzugreifen und zu entfremden. Aus Graffiti wurden Werbetags; Kleinkunst wurde mit Werbung gespickt und zu Flashmobs wurde nebenbei noch für T-Mobile geworben.

Ging es den Kommunikationsguerilla um die kreative Aneignung des öffentlichen Raums zwecks Protest gegen gesellschaftliche Missstände, so haben die Marketing-Guerilla jenen Raum also nun zum idealen Ort für ihr Werbespektakel auserkoren und solange, wie ihre Aktionen von den Konsumenten mehrheitlich als cool und rebellisch verklärt werden, dürften sie damit auch Erfolg haben.

(Text: Conrad Neumann)

Ein Gedanke zu „Offensive der Werberebellen

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