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„Myanmar hat kein funktionierendes Gesundheitssystem“

Seit über fünf Jahren reist der renommierte HNO-Arzt Eberhard Biesinger nach Myanmar. Durch seine Arbeit dort war es ihm möglich, ein klares Bild von dem Land zu bekommen, das seit November letzten Jahres viel Aufsehen erregt hat. Sein Fazit: Vieles ist anders als es oft dargestellt wird.[divide]

Dr. Biesinger, Ihre Myanmar Reise im November 2015 war nicht das erste Mal, dass Sie das arme asiatische Land bereisten. Was führt sie dort immer wieder hin?

Unser Engagement in Myanmar begann im Jahr 2010. Der ursprüngliche Gedanke war, dass ich diese Länder bereisen möchte, um als Arzt die Bevölkerung und die Umstände, in denen sie leben, kennen zu lernen. Als ich 2010 nach Myanmar kam, stellte ich fest, dass meine burmesischen HNO-Kollegen keinerlei Möglichkeiten hatten, in der Ohrchirurgie tätig zu sein. Infolgedessen haben wir mit unserem Team ein Engagement entwickelt, um Kolleginnen und Kollegen aus Myanmar auszubilden, sie mit medizinischen Instrumenten zu versorgen und um dort aktiv zu operieren. Dies machen wir mindestens einmal im Jahr. Wir versuchen HNO-Keimzellen aufzubauen.

Interview MyanmarWährend Ihres letzten Besuchs fanden die ersten freien Wahlen seit 25 Jahren statt. Wie haben Sie die politische Umwälzung erlebt?

Also, es war definitiv die zweite demokratische Wahl in den letzten 25 Jahren. Die erste, die ich miterleben konnte, war 2011. Die Wahlen damals waren, ebenso wie die Wahlen im vergangenen November, sehr friedlich. Was im Gegensatz steht zu manchen Berichten der westlichen Presse. Es war keinerlei militärische Präsenz zu sehen.

Die Bevölkerung wurde durch große Plakate darüber aufgeklärt, wie sie wählen und wie im Wahllokal die Abstimmung erfolgt. Die Bevölkerung war fleißig dabei. Die Wahlbeteiligung war bei fast 90 Prozent und wie wir hörten, sind auch die Militärs zur Wahl gegangen. Rund 70 Prozent der Militärs haben für Aung San Suu Kyi gestimmt. Also eigentlich gegen das Militär. Es stand also eine große Umwälzung bevor Richtung Demokratie und Selbstbestimmtheit des Landes.

In Myanmar gibt es ja die Rohingya, die von den Vereinten Nationen als „die am stärksten verfolgte Minderheit der Welt“ bezeichnet werden. Wie haben Sie die gesellschaftliche Spaltung zwischen der hauptsächlich buddhistischen Bevölkerung und der muslimischen Rohingya erlebt?

Also das, was in der westlichen Presse berichtet wird, stimmt nicht immer hundertprozentig mit dem überein, was wir in Burma erleben. Die Rohingya kommen zum Teil aus Bangladesch und nutzen Burma nur als Durchreiseland, um in Thailand ansässig werden zu können. Ich habe im Herbst im Gebiet der Sittway im Staat Rakhaing operiert, wo die meisten Rohingyas leben und wir sahen die großen Camps, die einerseits zum Schutz der Rohingya aufgebaut wurden und natürlich auch, um sie dort zu kasernieren. Also hier wird sicherlich noch viel zu tun sein, um die Toleranz gegenüber Andersgläubigen zu festigen und das Land zu stabilisieren.

Seit 1982 sind die Rohingya aus dem burmesischen Gesundheitssystem ausgeschlossen. Sie als Arzt wissen vermutlich am besten, was das mit sich bringt. Was kann man sich darunter vorstellen?

Ja, die Rohingya oder die ganze Bevölkerung hat ja kaum Zugang zu Medizin. Wir sind im November dort gewesen und die Patienten sind zum Teil drei Tage unterwegs gewesen, um zu uns in die Sprechstunde zu kommen. Der dortige HNO-Arzt ist der einzige für drei Millionen Menschen. Also, man kann nicht direkt behaupten, dass Myanmar überhaupt über ein funktionierendes Gesundheitssystem verfügt.

In die Camps kommen teilweise Ärzte von Ärzte ohne Grenzen und anderen Gesundheitsorganisationen. Die haben, nachdem sie das Permit erhalten, Zugang zu den Camps. Dort werden also schon Gesundheitsdienste geleistet. Auch die Rohingya auf dem Land werden nicht gänzlich ausgeschlossen. Es gibt ein sogenanntes Doctorship von einer westlichen Organisation, die auch an den Dörfern halten, wo Rohingya wohnen.

Inwieweit kann man davon ausgehen, dass sich das Gesundheitssystem unter der neuen Regierung verbessern wird?

Es sind bereits ganz viele Gelder geflossen. Zum Teil verpuffen die leider auch. Viele medizinische Geräte werden sinnlos gekauft, da dann keine Betreuung oder Einführung stattfindet und das Personal dort nicht über die nötigen Kenntnisse verfügt. Die Gerätschaft steht dann einfach irgendwo rum. Das ist sicherlich ein negativer Aspekt. Aber die Regierung versucht, und das ist ein großes Politikum und Versprechen der neuen Regierung, hier Verbesserungen zu erwirtschaften.

(Foto: Konstantin Schätz)

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