Handball

Minimalziel Olympiaqualifikation

Die Ansprüche sind anders, als sie es einmal waren. Die Mission heißt nicht mehr Gold – wie damals, 2007, als die deutsche Handballnationalmannschaft Weltmeister im eigenen Land wurde. Heute heißt das Minimalziel Platz sieben. Den braucht das Team von Heiner Brand um das Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele 2012 in London zu erreichen. Der Auftaktsieg gegen Ägypten gestern war nur ein erster Schritt. [divide]

Das Projekt Olympiaqualifikation könnte bereits in der Vorrunde scheitern. Ein ähnliches Debakel wie bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr kann sich der deutsche Handball aber nicht mehr leisten. Platz zehn war das schlechteste EM-Resultat überhaupt. Der Auftaktsieg gegen Ägypten ist nur ein Schritt – ein Pflichtsieg in einer der „härtesten Vorrundengruppe aller Zeiten”, wie der DHB es formulierte. Aber es ist ein Sieg, der ein klein wenig hoffen lässt. Vor allem Uwe Gensheimer überzeugte und es wirkte, als könnte sich das deutsche Team Minute um Minute besser einspielen. Auch wenn man am Ende einen Vorsprung von neun Toren verspielt hat.

Aber in der Gruppe spielen noch ganz andere Kaliber als Vize-Afrikameister Ägypten. Mit dem Olympiasieger 2008, Weltmeister 2009 und Europameister 2010 wartet der Topfavorit des Turniers auf Deutschland. Frankreich hat derzeit alle Titel inne, die im Handball zu vergeben sind. Ein weiterer Gruppengegner Deutschlands ist Spanien. Der Weltmeister von 2005 ist ebenfalls zu den Anwärtern auf den diesjährigen Titel zu werten.
Sollte Deutschland gegen beide nicht gewinnen können, sind Siege gegen Tunesien und Außenseiter Bahrain Pflicht. Von „vier Endspielen” in der Vorrunde sprach der Bundestrainer vor eineinhalb Wochen zu Beginn des Trainingslagers der Nationalmannschaft in Ahrensburg, das erste hat Deutschland gewonnen. Von der „härtesten Vorrunde und der kürzesten Vorbereitungszeit” sprach der DHB nach dem letzten Testspiel auf deutschem Boden gegen Schweden am vergangenen Montag.

In dem Spiel, das Deutschland mit 28:23 gewann, glänzte vor allem Michael Kraus. Der 27-Jährige beeindruckte auch in den beiden Testspielen in Island in der vergangenen Woche, die Deutschland beide verlor. „Mal sehen, ob er die Form halten kann”, zeigte sich Brand noch zurückhaltend.
Bereits 2007 war Kraus eine der Schlüsselfiguren für den Triumph der deutschen Mannschaft. Nachdem er schon als der Star im deutschen Team galt, ließ seine Leistung vor allem im Nationaldress aber nach. Nach der Europameisterschaft 2008 wurde er wegen mangelnder Einstellung für einen Monat vom Nationalteam suspendiert. Später holte Brand ihn zurück und Kraus übernahm kurze Zeit später sogar die Kapitänsbinde von Markus Baur, der seine Karriere beendete.
Unter seiner Führung erlebte der sonst so verwöhnte deutsche Handball gleich zwei Debakel. Zunächst mit Platz neun bei den Olympischen Spielen in Peking, dann Platz zehn bei den Europameisterschaften in Österreich. Kraus stand in der Kritik, weil während der EM Wechselgerüchte auftauchten. Immer wieder stand im Raum, er würde den TBV Lemgo Richtung HSV Hamburg verlassen.

Kraus nahm keine Stellung dazu und doch ahnten viele, dass etwas dran ist an den Gerüchten. In Lemgo spielte Kraus, der in der vergangenen Saison aufgrund von Verletzungen ohnehin viele Sorgen hatte, nicht mehr auf dem Niveau von 2007. Er wirkte lustlos und wurde im Februar für ein Spiel aus disziplinarischen Gründen suspendiert. Im Sommer wurde der Wechsel zum HSV bestätigt, seither geht es dem Kapitän wieder besser. Die Kapitänsbinde im Nationalteam gab er nach Rücksprache ebenfalls ab – an seinen Teamkollegen vom HSV, Pascal Hens. „Jetzt ist mein Kopf frei”, erklärte Kraus in der Vorbereitung zur WM. „Ich bin schon jetzt besser in Form als bei der EM im vergangenen Jahr. Das ist ein Desaster gewesen, aber inzwischen abgehakt.” Er gibt zu, früher zu übermütig gewesen zu sein. „Aber jetzt fokussiere ich mich ganz auf den Handball.”

Kraus hat das Zeug zum neuen Handballstar im deutschen Team – wenn er seine Leistung rechtzeitig abrufen kann. Denn eben jene Stars im Team fehlen den Deutschen, sagt Heiner Brand. „Natürlich ist Handball ein Mannschaftssport und so verstehen wir ihn auch. Aber gerade in schwierigen Zeiten helfen großartige Individualisten, die dich raushauen können.” In der Tat fehlen Deutschland die Individualisten wie Frankreich sie mit Thierry Omeyer und Nikola Karabatic oder Kroatien sie mit Ivano Balic und Blazenko Lackovic haben. „Wir müssen als Team zusammenspielen und den nötigen Willen zeigen. Nur dann haben wir eine Chance”,  sagt Brand. Primärziel sei der siebte Platz. „Aber wir wollen erst mal versuchen, jedes Spiel in der Vorrunde zu gewinnen. Und dann in der Hauptrunde und dann schauen wir mal.”

Der Druck auf Heiner Brand ist groß, denn schon jetzt steht der Bundestrainer in der Kritik. Vor wenigen Tagen gab er den vorläufigen 17er-Kader für die WM bekannt. Aussortiert wurde überraschend Torsten Jansen. Der 34-jährige Hamburger hatte das Nachsehen gegenüber dem 24-jährigen Uwe Gensheimer von den Rhein-Neckar Löwen und dem 27-jährigen Dominik Klein.
Gensheimer stand nach den letzten Auftritten mit seiner Wurfgewalt, Kaltschnäuzigkeit und Trefferquote ohnehin nicht zur Debatte, was er auch gestern eindrucksvoll bewies. Brand begründet seine Auswahl für Klein mit der alternativen Deckungsweise 5:1, die sowohl Klein als auch Gensheimer besser spielen als Jansen. Jansen hingegen hat Vorteile in der 6:0-Abwehr, die laut Brand die Haupt-Abwehr der Deutschen sein soll. Auch die Trefferquote von Klein war zuletzt nicht hervorragend – weshalb viele Experten davon ausgingen, dass Klein wie schon bei der EM 2010 Zuhause bleiben muss.

Erreicht Deutschland als eines der drei Teams aus der Vorrundengruppe die Hauptrunde, nehmen sie die Punkte aus den Spielen mit. „Wir müssten einen der Großen schlagen, dann haben wir eine Chance”, sagt Pascal Hens im Hinblick auf die Spiele gegen Frankreich und Spanien.  Frankreich gilt allerdings als nahezu unbezwingbar. Kaum ein Experte hat das Team von Claude Onesta nicht auf der Liste, wenn es um den Titel geht. Außenseiterchancen werden der Heimmannschaft Schweden, Island, Polen und Dänemark zugerechnet. Kroatien wird ebenfalls vorn mitspielen – sie wollen die Schmach der Finalniederlage gegen Frankreich bei der Heim-WM vor zwei Jahren vergessen machen.
Beim Finale, ja, das dürfte die deutsche Mannschaft wohl eher im Fernsehen anschauen.

(Text: Miriam Keilbach / Foto: dhb.de)

Miriam K.

Miriam war 2007 im Gründungsteam von backview.eu. Sie volontierte beim Weser-Kurier in Bremen und arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre Themen: Menschen, Gesellschaft, Soziales, Skandinavien und Sport.

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