Medien

Mehr als nur Abbilden

Die Bildberichterstattung ist ein wichtiges Standbein der freien Presse. Doch welche Richtlinien gelten bei Pressefotos? back view erklärt anhand eines prominenten Beispiels der Fotoberichterstattung, was Pressebilder zeigen dürfen und, was tabu ist.

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Im Oktober letzten Jahres wurde mit der Nachricht über den Tod Muammar al-Gaddafis nicht nur die bloße Nachricht in den Medien verbreitet, sondern auch eine Debatte über den ethischen Umgang mit Pressbildern entfacht. Darf man die Bilder eines Toten zeigen? Oder muss man es gerade deshalb, weil er ein Diktator, Terrorist oder Massenmörder war und viele Menschen erleichtert über seinen Tod sind? Muss trotz allem die Ethik und Würde des Toten bewahrt werden, sodass Artikel nicht mit Fotos des Leichnams bebildert werden dürfen?

Eine eindeutige, universell gültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Wie bei den meisten ethischen Fragen, gibt es bei der Presse dazu keine verbindlichen Pflichten, sondern lediglich Richtlinien – den Pressekodex. Auch Pressefotografen unterliegen der freiwilligen Selbstverpflichtung des vom Deutschen Presserat herausgegebenen Pressekodex, der die „Berufsethik der Presse” regelt, wie es in der Präambel heißt.

Bilder sind oft offen für Interpretationen
Bei der Bildberichterstattung kommen bestimmte spezifische Schwierigkeiten hinzu. Ein Foto oder Bild ist oft viel mehrdeutiger und unterschiedlich interpretierbar als ein Text. Dies birgt künstlerische Freiheit und den Reiz an der Pressefotografie, führt allerdings auch zu Fehlinterpretationen und Beschwerden.

Ein veröffentlichtes Foto ist nie nur Platzfüller, sondern immer Bedeutungsträger. Je nach Aussage und Blickwinkel, kann dieselbe Nachricht sehr unterschiedlich bebildert werden. Manchmal verwenden große Medien die gleichen Bilder von Presseagenturen, doch der Regelfall sind eigene Fotografen und Fotopools. Wie sehr unterschiedliche Bilder dieselbe Textnachricht verändern können, ist unbestritten.

Der Maler Pablo Picasso soll einmal über die Malerei gesagt haben: „Wenn es nur eine einzige Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen.” Eine Aussage, die sich auf die Pressefotografie übertragen lässt.

Im Fall Gaddafi beurteilte der Deutsche Presserat im Dezember 2011, ob die Beschwerden gegen die Bildberichterstattung des toten Diktators gerechtfertigt sind. Die Entscheidung wurde schließlich wie folgt bekannt gegeben: „Grundsätzlich ist der Presserat der Auffassung, dass der Tod von Diktatoren auch in Bildern festgehalten werden darf. Eine Tabuisierung des Todes sollte es in den Medien nicht geben.” Gleichzeit erkannte der Presserat an, dass der Anblick eines getöteten Menschen für die Leser kein leichter sei, jedoch gehöre es zur Aufgabe der Presse, auch solch schwer verdaulichen Informationen zu übermitteln.

Der Pressekodex
Der erste und wohl entscheidendste Paragraph in dieser Frage ist die Ziffer 1 des Pressekodex: „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.”

Beim Gaddafi-Fall entschied der Presserat, dass Abbildungen seiner Leiche nicht grundsätzlich gegen diese Ziffer verstoßen. Eben so wenig wie gegen Ziffer 11 des Kodex, die die Sensationsberichterstattung unterbinden und den Jugendschutz bewahren soll: „Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.” Im Fall der Gaddafi-Fotos hat der Ausschuss des Bundespresserats die überwiegende Anzahl der Beschwerden mit der Begründung zugewiesen, dass die Bilder Dokumente der Zeitgeschichte seien und somit publiziert werden dürften.

Wichtig ist allerdings die Art der Darstellung solcher Bilder, die der Bundespresserat Medien kritisierte. So sei das Foto des blutverschmierten Gesichts Gaddafis, das in zwei Boulevardzeitungen gezoomt und vergrößert an prominenter Stelle auf der Titelseite positioniert war, unzulässig, da es den Jugendschutz verletze.

Denn die Richtlinie 11.1 des Pressekodex schreibt vor, dass bei der „Platzierung bildlicher Darstellungen von Gewalttaten und Unglücksfällen” auf der Titelseite der Schutz von Kindern und Jugendlichen gewahrt werden müsse. Dieselbe Richtlinie bestimmt weiter, was als unangemessen gilt: „Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn über einen sterbenden oder körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgehenden Art und Weise berichtet wird.”

Die Ziffer 9 des Pressekodex fasst die Aufgaben der Journalisten wohl am besten zusammen: „Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.”

Gaddafi und die Ethik
Der Fall der Gaddafi-Fotos ist also symptomatisch für die Ethik des Pressebildes. Bestimmte Auflagen des Pressekodex, die in den meisten Fällen ohnehin beachtet werden, dürfen nicht verletzt werden. Diese ethischen Grundsätze sollten zwar konform mit dem grundsätzlichen moralisch-ethischem Verständnis des Menschen sein, werden ab und an trotzdem verletzt.

Das Aufstellen einer Sammlung solch berufsethischer Grundsätze ist deshalb sinnvoll, zugleich aber problematisch. Denn der Pressekodex ist nur eine freiwillige Selbstkontrolle. In Berufung auf den Pressekodex können Beschwerden gegen Publikationen ausgesprochen werden, die gravierendste Konsequenz ist dann eine nicht sehr schwerwiegende öffentlich ausgesprochene Rüge.

Ein Beispiel, wie schwierige Thematiken in der Pressefotografie menschenwürdig und noch künstlerisch hochwertig ausgedrückt werden können, lieferte der spanische Pressefotograf Samuel Aranda. Er gewann für seine Abbildung einer verschleierten Jemenitin, die einen verletzten Verwandten im Arm hält, den World Press Photo Award für das beste Pressebild des Jahres 2011. Vielleicht ein Vorbild für eine intime Berichterstattung, nahe am Geschehen, die dennoch die nötigen Grenzen der Würde und Respekts wahrt.

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(Text: Julia Radgen)

Julia R.

Julia lebt in Mainz und schreibt am liebsten über Kultur- und Gesellschaftsthemen - und interessante Menschen. Sie ist Social Media-süchtig und verzichtet nur freiwillig auf Internet und Handy, wenn sie zu einem Festival fährt. Wenn sie groß ist, will Julia mal Journalistin werden.

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