Westen

Kein Pumpkin Pie und trotzdem toll

Amerika ist das Nonplusultra in vielen Aspekten unserer heutigen Kultur. Gerade in Europa hört man viel amerikanische Musik, freut sich im Kino über Hollywood-Filme oder geht in einem der vielen Fast Food Restaurants essen. Doch wie sieht es eigentlich anders herum aus? Carolin Schmitt geht dieser Frage auf den Grund.

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Meine erste amerikanische Freundschaft begann 2002 während eines Austausches in Wisconsin. Meine Austauschpartnerin konnte nach fünf Jahren Deutschunterricht gerade so „Wie geht’s?” sagen. Völlig fasziniert waren sie vielleicht gerade deshalb von meinen Englischkenntnissen. Eine andere Sprache fließend sprechen zu können ist, abgesehen vielleicht von der Grenzregion in den Südstaaten, für die meisten Amerikaner einfach undenkbar. Und warum auch? Ihre Sprache spricht die Welt, egal wo man hin kommt, irgendjemand kann bestimmt Englisch. Dabei spielt gerade die Sprache so eine zentrale Rolle in dem Verständnis für andere Kulturen.

Während ihres ersten Europabesuches 2010 beklagte sich Jayne aus Texas zum Beispiel gerade darüber bei mir. Wir als Europäer hätten es ja viel leichter eine neue Sprache zu lernen. Hier ist die nächste Grenze ja auch nie weit entfernt und es hat praktische Vorteile, Französisch, Italienisch oder Spanisch zu können. Oder eben Englisch. Das kann hier ja irgendwie jeder, zumindest ein bisschen.
Jayne gehört zu den Amerikanern, die es trotzdem versuchen mit der Fremdsprache. Doch auch als Französischstudentin fällt es ihr sichtlich schwer, bei unserem Paris-Besuch einen Kaffee zu bestellen. Ich frage sie, warum das so ist und bekomme eine ganz ehrliche Antwort. „Jeder spricht Englisch. Darauf verlassen wir uns ganz gerne. Es ist vielleicht auch ein bisschen arrogant, aber am Ende ist es einfach so: Wir müssen keine andere Sprache lernen, die ganze Welt lernt ja schon für uns Englisch!”

Sie selbst findet das übrigens schade; als Philosophie und Kunsthistorik-Studentin beschäftigt sie sich größtenteils mit den europäischen Altmeistern auf diesen Gebieten. Sie ist fasziniert von Europa, würde gerne später hier leben und kam 2011 auch zurück für ein Semester in Paris. Sie gehört zu einer neuen Generation. Zu den Studenten, die fasziniert sind von unserer Seite des Teiches.

Das gute alte Europa
Die Austauschstudenten an unserer Uni sind da ähnlich. Hier gibt es nicht nur Dichter und Denker, sondern auch Relikte aus vorangegangenen Kulturen und alten Zeiten, die es so in Amerika einfach nicht gibt. Viele sind gerade deshalb für ihr Austauschsemester nach Deutschland gekommen. Burgen und Schlösser stehen grundsätzlich auf der To-do-Liste, die meisten Besucher wollen nach Paris oder Rom oder in Dublin Guinness trinken. Das sind die amerikanischen Vorstellungen von Europa. Kultur, Geschichte und viel, viel Bier.

Jennifer aus Seattle hatte ähnliche Vorstellungen als sie auf unsere Seite des Teiches reiste. Als Geschichtsstudentin hat sie sich hier natürlich besonders wohl gefühlt. Auch Österreich hat ihr gut gefallen, was aber sicherlich ebenso daran liegt, dass ihre Vorfahren von dort kommen und sie neben europäischer Geschichte auch ihre eigene Herkunft erforschen konnte. Jennifer war fasziniert von dem europäischen Stolz auf unsere lange Geschichte, den sie wohl speziell in London gespürt hat. Und auch ihr ist aufgefallen, dass uns hier drüben sehr viel an Bildung und Kultur liegt – das ist in den Staaten leider nicht immer so.

Vicky aus Georgia hat noch zusätzliche Beweggründe für ihren Wunsch, einmal nach Europa zu kommen: „The reason I want to go to europe is definitely the food!” Sie würde sich über das europäische Essen am Meisten freuen. Aber auch sie interessiert sich für die europäische Kultur und würde gerne die verschiedenen Länder genauer erforschen.
Interessanterweise findet sie auch die Infrastruktur in Europa besser als in Amerika, wo es, abgesehen von den Großstädten, immer noch kaum öffentliche Verkehrsmittel gibt. Und in der amerikanischen Diskussion über ein öffentliches Gesundheitssystem ist ihr aufgefallen, dass wir das hier ja schon größtenteils haben – ihrer Meinung nach ist das definitiv ein Vorteil, die Europäer seien deshalb gesünder.

Truthahn versus Kaffee
Aber wirklich viel Wissen über Europa gibt es in Amerika immer noch nicht. Als ich zum Beispiel Norval in Seattle kennen lerne und ihm erzähle, ich habe noch nie Pumpkin Pie probiert, muss er gleich mehrmals nachfragen. „Noch nie? Das gibt es doch nicht! Aber das ist doch traditionelles Thanksgiving Essen.” Tja, haben wir aber nicht hier, Thanksgiving und Truthahn und so.
Dafür haben wir guten Kaffee, da waren wir uns dann auch beide wieder einig. Gegen Amerikanischen Kaffee gewinnt grundsätzliche jede Konkurrenz. Und wenn ich nächsten Herbst in Seattle bin, werde ich europäischen Kaffee mitbringen. Dazu gibt’s dann Pumpkin Pie von Norval – dann ist der Kulturaustausch zumindest kulinarisch schon mal geglückt.

Meine damalige Austauschpartnerin sagt heute übrigens, ihre Zeit in Deutschland war eine unbezahlbare Erfahrung, für die sie heute noch dankbar ist. Andere Kulturen zu erleben und mehr über Deutschland zu erfahren hat ihren Horizont erweitert. Es half ihr auch, ihren eigenen Bundesstaat Wisconsin etwas besser zu verstehen, da es dort viele Deutsche Einwanderer gibt, die den Staat sehr geprägt haben.
Sie freut sich schon auf ihren Deutschlandbesuch diesen Herbst und ist gespannt, was sie jetzt, knapp zehn Jahre später, hier antreffen wird. Dinge wie Politik, Wirtschaft oder gesellschaftliche Aspekte haben sie bei ihrem ersten Besuch als 16-Jährige natürlich noch wenig interessiert. Das ist heute sicherlich anders, sagt sie.

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(Text: Carolin Schmitt)

Carolin S.

Ich habe 2009 angefangen für back view zu schreiben, damals vor allem im Bereich *Sport*. Mittlerweile schreibe ich auch über andere Themen und versuche mein Studium der Anglistik und Amerikanistik auch ab und zu mit meinen Artikeln zu verknüpfen.

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