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Interview mit Parteimitglied der Südtiroler Freiheit

Christoph Mitterhofer ist seit 2015 für die Südtiroler Freiheit im Gemeinderat von Meran, einer kleinen Stadt in Südtirol, tätig. Die ehemalig österreichische Provinz liegt im Norden Italiens und hat durch ihr Autonomiestatut die eigene Kultur bewahren können. Gerade Kultur ist dem 23-jährigen Bauer wichtig. Im Interview erzählt er über seinen Blickwinkel auf Flüchtlinge, Europa und Identität.

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Welche drei Worte fallen Ihnen zur aktuellen Flüchtlingsproblematik ein?
Christoph Mitterhofer: Probleme, Krieg, arme Menschen.

Südtiroler FreiheitNach einer Studie des Royal Institute for International Affairs aus London geht es Migrationsskeptikern nicht um die Konkurrenz am Arbeitsmarkt, sondern um Verlustängste der eigenen kulturellen Identität. Stimmen Sie dem überein und sind diese Ängste berechtigt?

Ich glaube, das trifft es auf den Punkt. Die einfachen Leute auf der Straße haben Angst, dass man ihnen etwas wegnimmt. Die Gebildeteren fürchten sich vielleicht auch vor einem kulturellen Identitätsverlust. Im Großen und Ganzen aber wird das kein Thema sein, solange die Krise oder Völkerwanderung in diesem Rahmen bleibt. Flüchtlinge, die nach Deutschland und Österreich gelangen, werden sich anpassen und der Stellenwert ihrer eigenen Kultur wird sinken.

Ein gutes Beispiel und irgendwie auch wieder nicht, ist Südtirol. Obwohl wir eigentlich eine österreichische Kultur sind, hat Südtirol viel von Italien angenommen, sich aber auch vieles behalten können, was Tradition angeht. Es ist eine Mischung entstanden. Nur ist die Frage, wie lange sich dieses Gleichgewicht noch hält. Auch das ist eine Frage bei Migrationsströmen. In einem Land wie Österreich mit acht Millionen Einwohnern und einer Million Migranten aus verschiedenen Kulturkreisen wird immer die Mehrheit die Minderheit beeinflussen.

Solange die Migranten die Minderheit bilden, gibt es kein Problem?

Ich sehe das weniger als Problem. Kulturelle Vielfalt ist immer etwas Positives für das Land. Nur gibt es gewisse Riten oder Bräuche, die hier nicht praktizierbar sind oder generell für mich nicht praktizierbar sind. Beispiele dafür sind die Beschneidung und Unterdrückung der Frau oder die Arbeitsmoral. Wenn aber Menschen aus anderen Kulturen herkommen, müssen sie sich anpassen um hier überhaupt mitzukommen. Wenn jemand knallhart seine Linie durchzieht, dann kommt er nirgends hin. Es braucht einen guten Kompromiss im Zusammenleben.

Die EU-Politik hat gezeigt, dass es Bewegungsfreiheit de facto nicht gibt. Ein Grund für Auflehnung oder Kritik?

Ich glaube ich spreche für alle Parteien quer durch die Bank, wenn ich sage, es gibt keine gemeinsame Flüchtlingspolitik. Die Situation hat uns eher gezeigt, dass die EU noch in den Kinderschuhen steckt. Keiner ist da, wenn es kriselt. Deutschland, Österreich und Schweden stehen alleine da und sind schon ans Limit gekommen. Die Grenzen wurden geschlossen, niemand will dem Anderen aushelfen. Da weiß man, was los ist. Die EU ist ein Wirtschaftsverbund und mehr nicht. Wenn es darum geht Geld zu machen, dann helfen wir gerne zusammen. Wenn es aber um soziale Themen geht, dann wird klar, auf welcher Seite wir stehen. Wir sind an einem schwierigen Tiefpunkt.

Es muss aber auch gesagt werden, dass jede Kultur ein anderes Sozialverständnis hat. Es gibt Unterschiede zwischen der nordischen oder deutschen Kultur und der von anderen EU-Staaten, ersichtlich wird das auch bei den Sozialleistungen.

Sehen Sie in der EU noch eine Zukunft?

Auf jeden Fall. Wir wollen es nicht Kalten Krieg nennen, aber es gibt ein Rasseln zwischen Russland, Amerika und China. Da braucht es definitiv ein starkes Europa, das als neutraler oder gemäßigter Boden eintritt. In Zukunft können wir uns sowieso nur behaupten, wenn wir uns zusammenschließen. Mittlerweile ist jede einzelne Volkswirtschaft voneinander abhängig.

Welche Herausforderungen bringt eine multikulturelle Gesellschaft mit sich?
Meine persönliche Meinung dazu ist, dass eine multikulturelle Gesellschaft als eine gemischte Kultur nicht viel Sinn hat. Ich finde es gut, wenn verschiedene Kulturen nebeneinander leben, denn jede Kultur ist erhaltenswert und soll respektiert werden. In einem Einheitsbrei mangelt es an Identität und man weiß nicht richtig, wo man dazugehört. Nehmen wir Südtirol. Wir haben eine Mischung zwischen deutsch und italienisch. Jemand ist überall dabei, nur nirgends richtig. Ich will damit nicht sagen, dass man sich nicht für andere Kulturen interessieren soll. Man sollte sich auch Zeit nehmen, sie kennenzulernen, nur sollte man bei der eigenen bleiben. In Zeiten wo Identitäten immer mehr gefragt werden, ist es gut eine zu haben. Mein Großvater sagte: ‚Ein Volk ohne Kultur ist ein armes Volk.`

Wenn jemand viele Kulturen lebt, aber keine richtig, dann weiß er nicht welchen Brauchtum er leben soll. Hat man da überhaupt noch einen Brauchtum? Ich fühle mich der deutschen Kultur angehörig, wir haben unsere hohen Feiertage, wo Musik gespielt wird, man die Tracht anzieht und die Fahne herausholt. Da ist das dann klipp und klar. Wenn sich jemand aber der italienischen und deutschen Kultur zugehörig fühlt, was macht er dann? Theoretisch könnte sich der Italiener beleidigt fühlen, wenn die Tiroler Fahne hergezeigt wird. Hier ist die Gefahr, dass dem Anderen auf die Füße getreten wird. Letztendlich muss aber jeder für sich entscheiden, was für ihn das Richtige ist.

Würden Sie zum neuen Extremismus in Europa noch gern etwas sagen?

Noch handelt es sich um keinen herkömmlichen Extremismus, allerdings kann Populismus ganz schnell zu Extremismus werden. Die Politik hat irgendwo versagt, denn man lässt Leuten Spielraum, die schnelle und einfache Antworten geben. In der Politik sind aber genau diese Antworten nie die Richtigen. Mittlerweile kenne ich das ganz gut: Erst mit dem Kennen vieler Aspekte, kann ein Aspekt verstanden werden. Deswegen glaube ich, dass die Tendenz in Europa wirklich schlimm ist. Wenn sich nicht irgendwann eine gemäßigte Front bildet, dann haben wir wieder ein Drittes Reich.

 

In Italien mit der Lega Nord, die FPÖ in Österreich, die Front National in Frankreich, in Belgien der Geert Wilders und seine Kameraden und auch in Schweden und Deutschland ist Rechtsextremismus zu spüren. Brisante Zeiten kommen auf uns zu, außer sie schießen sich selber ab, wie bei der Regierungszeit der FPÖ in Österreich. Sie waren nicht fähig zu regieren und sind schlagartig zusammengefallen. Es ist viel Lärm um nichts, viele lassen sich dennoch aufhetzen und kennen nicht so viele Aspekte der Problematik.

Gerade bei der Flüchtlingsthematik, sollte man schon wissen, woher eine Person kommt und wieso sie da ist. Einfühlungsvermögen und soziales Verständnis ist gefragt. Es ist richtig die ganze Situation kritisch zu betrachten. Wenn heute ganz Afrika auf dem Weg nach Europa ist, dann haben beide Kontinente ein Problem: Afrika hat keine Leute mehr und junge Männer sind die essentielle Lebenskraft, die Arbeiterklasse. Jede Volkswirtschaft lebt von den Einwohnern. Europa weiß nicht wohin mit den Menschen und steht vor der Aufgabe sie zu integrieren. Trotzdem ist kleinkariertes und egoistisches Denken fehl am Platz. Gerade Europa mit seiner christlichen Prägung, hat die Aufgabe sich um Flüchtlinge zu kümmern. Im Zeichen der Nächstenlieben können wir nicht Menschen auf der Straße verhungern lassen.

Leider konnten wir es nicht verhindern, dass Menschen keinen Unterschlupf in Europa erhalten haben. Das ist das Problem mit den Massen. Man tut, was man kann – man will aber auch nicht zu viel tun. Es ist eine Gradwanderung zwischen Willkommenskultur und einer aggressiven Gegenbewegung. Die Menschen sollen nicht zur Auswanderung nach Europa motiviert werden, andererseits will man sie auch nicht verhungern lassen.

Wie sollen wir auf rechtsextreme Menschen reagieren?

Das Schlechteste, was man tun kann und was in Österreich passiert ist, ist sie zum Feindbild zu erklären. Dadurch werden sie extrem nach oben gepusht. Sie sollen ernstgenommen werden, zum Gespräch eingeladen werden. Gemeinsam kann die Situation geklärt und nach Lösungen gesucht werden. So Unrecht haben sie nicht, jedes Land kommt an seine Grenzen.

Wären Ihrer Meinung nach sichere Wege aus den Herkunftsländern nach Europa möglich?

Nein, die Menschen können nicht unten abgeholt werden. Es würde durch Auffanglager in anderen Staaten außerhalb der EU die Souveränität dieser Staaten angegriffen. Wenn ein fremder Staat im eigenen Land Menschen zu sich holt, sorgt das sicherlich nicht für gute politische Beziehungen.

(Foto: Südtiroler Freiheit)

Anna L.

Anna Luther schreibt seit Februar 2015 bei backview.eu und interessiert sich für gesellschaftliche, kulturelle und politische Thematiken. Sie studiert in Wien Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Philosophie.

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