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„Fabrikarbeiterinnen sind nicht nur Opfer“

Petra Dannecker ist Entwicklungssoziologin am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien. Ihre Dissertation trug den Titel „Zwischen Widerstand und Konformität“, Thema der Studie waren Arbeiterinnen von Bekleidungsfabriken in Bangladesch. Seitdem beschäftigte sie sich immer wieder mit dem Thema.[divide]

petra danneckerback view: Welchen Zugang hatten Sie bei Ihrer Forschung zu Fabrikarbeiterinnen in Asien?
Petra Dannecker:
Ich hatte zuvor schon in Bangladesch zu einem anderen Thema geforscht und bemerkte die Veränderung des Straßenbilds in der Hauptstadt Dhaka in den 1990er Jahren. Morgens und abends waren plötzlich immer sehr viele junge Frauen zu sehen auf dem Weg in die Fabriken und zurück. Das war außergewöhnlich und der Auslöser für die Studie. Aufgrund der lokalen islamischen geprägten Geschlechterordnung in Bangladesch war das Straßenbild vor dem Wachstum der Bekleidungsindustrie nicht sehr weiblich geprägt.

Aus wissenschaftlicher Perspektive ging es mir bei meiner Dissertation vor allem darum zu zeigen, dass Frauen und Arbeiterinnen nicht nur Opfer ökonomischer Restrukturierung und neoliberaler Ausbeutung sind. Das heißt, in meinen Arbeiten ging es mir nicht darum diese Strukturen in Frage zu stellen – aber aus einer feministischen und soziologischen Perspektive zu zeigen, dass trotz dieser Macht- und Ausbeutungsstrukturen Fabrikarbeiterinnen Widerstand leisten können und zu analysieren wie sich diese Form der außerhäuslichen Erwerbsarbeit auf ihre Lebens- und Arbeitssituation auswirkt. Letztlich ging es um das Sichtbarmachen der Arbeiterinnen.

Aus welcher sozialen Schicht stammen die Frauen?
Die Studie und auch andere Studien haben gezeigt, dass viele Frauen vom Land in die Stadt kommen, es findet eine interne Migration aufgrund dieser Arbeitsmöglichkeiten statt. Die Arbeiten in den Bekleidungsfabriken stellt für viele Frauen oft die einzige Alternative dar Erwerbsarbeit nachzugehen.. Außerhäusliche Erwerbsarbeit von Frauen wurde und wird zum Teil immer noch als unangemessenes weibliches Verhalten definiert, da sie zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Männern impliziert aber auch die Migration vom ländlichen in den städtischen Bereich ohne männliche Begleitung. Interessant war auch, dass ein großer Teil der Fabrikarbeiterinnen zuvor als Hausangestellte gearbeitet hatten und Fabrikarbeit war für sie ein Schritt zu größerer Unabhängigkeit bedeutet. Sowohl was die Lebens- und Arbeitssituation betraf aber auch die Möglichkeit Geld zu verdienen.

Wie sind ihre Arbeitsbedingungen in den Fabriken?
Die meisten westlichen Länder haben ihre Produktion ausgelagert und gerade der Bekleidungssektor kann gut ausgelagert werden, weil die Anforderungen nicht sehr groß sind. Es geht vor allem um monotone Arbeit an den Nähmaschinen. Die Produktionskosten können nur über Arbeitskosten verringert werden, Länder wie Bangladesch, China oder Kambodscha wurden deshalb aufgrund der Vielzahl sogenannter „unqualifizierter“ Arbeiterinnen besonders in den 80ern attraktive Standorte. Entsprechend sind auch die Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung und lange Arbeitszeiten sind die Regel, denn so können die Produktionskosten niedrig gehalten werden.

Ist die Arbeit für die Frauen nicht oft die einzige Überlebenschance? Wie sollen sie dann nicht als Opfer gesehen werden?
Die Frage ist der Zugang bzw. welche Perspektive und welchen Referenzrahmen wir ins Zentrum rücken. Oft haben wir einen sehr eurozentristischen Blick bei der Beurteilung der Arbeits- und Lebensbedingungen in Ländern des globalen Südens. Wichtig ist aber den Referenzrahmen für die Frauen vor Ort zu verstehen, der ein anderer ist. So stellen viele Frauen, insbesondere wenn sie vom Land in die Stadt ziehen um Geld zu verdienen, keine Belastung mehr für die eigene Familie dar und können eventuell über ihr Einkommen über den zukünftigen Ehemann mitentschieden. Die Tatsache sich mit anderen jungen Frauen ein Zimmer zu teilen, auch wenn’s im Slum ist, lockt mit dem Wegfallen des permanenten Drucks und der sozialen Kontrolle vonseiten der Familie oder der Gemeinschaft. Diese kleinen Handlungsspielräume werden von den Frauen aktiv mitgestaltet und zeigen, dass die Auswirkungen sehr komplex aber auch ambivalent sind.

Haben Sie die Frauen als gar nicht so unglücklich empfunden?

Ich hab die Frauen schon durchaus als unglücklich empfunden und zum Teil sehr unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen. Aber sie hatten auch Strategien entwickelt dies zu verändern, wie zum Beispiel der Arbeitsplatzwechsel um mehr zu verdienen. Sie positionierten sich auch gegenüber den Vorgesetzten um den Lohn auszuhandeln, es gab verschiedene kleine Formen von Widerstand. Bei meiner einjährigen Feldforschung konnte ich beobachten, dass die Frauen keine Schließung der Fabriken wollten. Ihnen war kein Mindestlohn wichtig, sondern, dass überhaupt der Lohn bezahlt wurde. Sie hatten auch mit Überstunden Probleme, vor allem aber beschäftigte sie die Frage, wie sie sicher nach den Überstunden nach Hause kommen.

Die Gewerkschaften in Bangladesch sind sehr stark männlich dominiert, weil die Kleidungsproduktion eigentlich der einzige Bereich ist, wo Frauen außerhäuslicher Erwerbsarbeit nachgehen. Daher haben sich die Gewerkschaften nur wenig auf die konkreten Bedürfnisse der Arbeiterinnen eingelassen. Frauen haben durchaus Vorstellungen davon, wie Arbeitsprozesse besser gestaltet werden können. Die Vorstellungen korrespondieren aber nicht unbedingt mit denen, die wir oder die männlichen Gewerkschaftsvertreter in Bangladesch haben.

Gibt es Frauenverbände in Bangladesch, die ihre Rechte vertreten?
Es gibt schon Frauen, die sich organisieren. Damals gab es noch eine Frauengewerkschaft, die Rechts- und Gesundheitsberatung angeboten hatte. Immer wieder leisten Frauen in der Fabrik Widerstand und stellen zum Beispiel alle Nähmaschinen ab. Wichtig an meiner Forschung ist es immer deutlich zu machen, dass wir genau hinschauen müssen, was die Forderungen und Bedürfnisse derer sind, die wir repräsentieren und unterstützen wollen. Das heißt auch, dass es nicht darum geht keine Kleidung mehr aus Bangladesch zu kaufen, sondern uns zu überlegen wieso ein T-Shirt nur zwei Euro kosten kann und wie wir mit unserem Konsum bzw. einem veränderten Konsumverhalten Strukturen produzieren und auch reproduzieren bzw. eben auch verändern können.

(Foto: Barbara Mair)

Anna L.

Anna Luther schreibt seit Februar 2015 bei backview.eu und interessiert sich für gesellschaftliche, kulturelle und politische Thematiken. Sie studiert in Wien Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Philosophie.

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