OstenWeltenbummler

Indien in Dolby Surround

Vier Monate lang hat Sophie in diesem Sommer in Indien gelebt und gearbeitet. Dabei hat sie die indische Kultur und Lebensweise durch die Menschen und Orte denen sie in diesem Jahr begegnete auf eine ganz eigene Weise kennengelernt. Für back view berichtet sie von ihren ganz persönlichen Indien-Erfahrungen.

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luisa abril 12 447Mit dem Reisen ist es wie mit….ja womit eigentlich? Für mich ist es so, als ob jemand die Stop-Taste drückt und eine andere CD einlegt. Die neue Platte erzählt eine spannende Geschichte und man lässt sich von ihr forttragen. Nicht immer gefällt einem, was man hört, sie hat ihre Längen und ihre Tiefen, aber in jedem Fall ist alles neu.

Meine CD namens „Indien” enthält jede Menge solcher Titel, denen ich in diesem Jahr vier Monate lang lauschen durfte und nach denen ich jetzt – drei Monate später – erst eine ganze Weile kramen musste. So tief waren sie schon wieder in den Schubladen des Alltags vergraben.
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Track 1: Bitte beachten Sie die Straßenverkehrsordnung
Das Thema Straßenverkehr ist für Indien-Neulinge wohl eine der größten Herausforderungen. Die Aufmerksamkeit des Indien-Besuchers wird unweigerlich zu allererst auf das lärmige Getöse gelenkt, welches in diesem schönen Land vor allem die Städte fest im Griff hat.
Ein Spezifikum des indischen Verkehrs ist dabei: Die Hupe. Das in Deutschland recht verpönte Instrument wird hierzulande meist nur zur Aggressionsbewältigung eingesetzt wird. Meist kommt man ohne sie zurecht.Nicht so in Indien: Hier sind die Hupgeräusche den ganzen Tag über ominpräsent und in 8 Prozent der Fälle haben sie folgende Botschaft: „Achtung, hier komm ich und ich werde auf gar keinen Fall bremsen!” In den meisten Fällen beinhaltet diese Aussage auch noch eine zweite und zwar: „Aufgepasst, ich überhole dich jetzt.” Man tut also gut daran, Hupgeräusche immer ernst zu nehmen, auch wenn sie nur allzu häufig vorkommen.
Übrigens, gibt es nicht nur ein Hupgeräusch, sondern hunderte Verschiedene. Manche Spaßvögel lassen auch ganze Melodien erklingen, wenn sie ihre Hupe benutzen. Nervtötende “Tä tä tä”-Hymen sind da keine Ausnahme.

dsc_0067Prinzipiell gilt: Je lauter die Hupe, desto grösser das Fahrzeug. Zwar kann eine Motorradhupe ganz gut von einer PKW Hupe unterscheiden, aber die Hupe eines Kleinwagens nicht unbedingt von einem Jeep.Warum das wichtig ist? Bei einem Jeep empfiehlt es sich, ihm die komplette Straße zum Überholen zu überlassen und auf den Sandstreifen zu fahren, bei einem PKW ist die Straße breit genug für zwei. (Ich sollte vielleicht an dieser Stelle kurz erwähnen, dass ich mich in Indien mit einem gemieteten Schrottmoped fortbewegt habe, welches allerdings trotzdem zu erstaunlichen Geschwindigkeiten in der Lage war.) Busse hört man meistens direkt, erstens hupen sie durchgängig, zweitens so ohrenbetäubend laut, dass man anschließend kurzzeitig taub wird.
Ganz gemein sind Traktoren. Die haben eine normale PKW Hupe, sind aber teilweise mit einer ganzen LKW Ladung Holz bepackt, sodass Platz für zwei auf der Straße in jedem Fall nicht mehr gegeben ist. Glücklicherweise sind die meisten so langsam, dass man eher selbst überholen muss und nicht umgekehrt.

Generell ist zu sagen: Möglichst passiv fahren. Denn: Es gibt im Prinzip keine Regeln für den Verkehr, was zu folgender allgemeingültiger Regel führt: Der aggressivste Fahrer gewinnt. Das heißt, wenn einem ein vollbesetzter Bus entgegenkommt, kann man sicher sein, dass auch er einem keinen Platz auf der Straße machen wird. Deswegen hieß meine allgemeingültige Regel in Indien auch: Ausweichen, ausweichen, ausweichen. Denn so ein Moped zieht halt meistens den Kürzeren.

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Stop-Taste
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Track 2: Monoton, monoton, monoton am Telefon…
Für alle die es noch nicht wussten: Indien liegt im Bereich der Entwicklung von neuen Technologien ziemlich weit vorne. Es ist das Land der Gegensätze, von unglaublicher Armut und maßlosem Reichtum. Und alle haben ein Handy. Die Leute haben vielleicht kein fließend Wasser und zeitweise keinen Strom, aber sie sind immer mobil und erreichbar.
Für mich wurde das Thema Handy leider zu einem dauernden Problem, denn unglücklicherweise haben die InderInnen zwar ständige Erreichbarkeit zu bieten, aber keine dazu passenden Datenschutzgesetze. Auf diese Weise können wahnsinnig nervige Situationen entstehen, wie zum Beispiel die Folgende:luisa abril 12 447
Jedesmal wenn ich im Internet meine Handynummer angeben musste (um Busse zu buchen oder Ähnliches), bekam ich danach Anrufe und SMS von fremden Personen.
Anfangs war das noch nicht so dramatisch, da haben nur irgendwelche Leute auf Tamil – das ist die Sprache des Bundesstaates Tamil Nadu – geredet und dann habe ich wieder aufgelegt.Eines schönen Tages jedoch, rief eine neue Nummer gleich dreimal hintereinander an, sodass ich schließlich den Anruf angenommen und recht unfreundlich zu verstehen gegeben habe, dass ich keine weiteren Anrufe mehr wünsche: “Never call me again. Never ever”.

Das hat den Anrufer dann auch verschreckt. Leider aber nur sehr kurzzeitig. Mitten in der Nacht bekam ich einen weiteren Anruf und zweimal (!) folgende SMS : “Your voice is super so……So….please mse ( message) reply me or call me 10 000 time please good night darling…”

Jaa..wir haben alle sehr gelacht. Dummerweise hat er das mit den 10 000 Anrufen dann selbst übernommen. Und verfolgte mich auf diese Weise noch mehrere Wochen.
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Stop-Taste und Vorspulen.
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Bonustrack: Ein Fazit?
Wie fasst man vier Monate knapp zusammen? Ich habe bislang noch nicht einmal erzählt, wo ich genau war, noch was der Zweck meiner Reise war. Und ich halte es ehrlich gesagt auch für nebensächlich.
Denn das sind nur Fakten, die nichts über Indien aussagen, nichts über die Kultur, die Menschen, das Land. Ich war in Chennai, in Mumbai, in Bangalore, in Kerala, in Goa, in Kodaindisches essenikanal und in Hampi. Aber was sagt uns das jetzt?
Ich habe alles das gesehen, was an klischeehaften Vorstellungen in den Köpfen von Deutschen und anderen Nicht Indern herumgeistert, die Kühe, die bunten Tempel, die Menschenmassen und die Todkranken auf den Straßen. Denn all das gibt es dort. Aber es gibt eben noch sehr viel mehr und vieles davon kann ich nicht einmal ansatzweise beschreiben.
Das Essen zum Beispiel. Wie soll ich Gewürznoten beschreiben, die es in Deutschland nicht zu kosten gibt? Wie beschreibt man den Stolz, dass man es trotz Monsungewitter sicher mit dem Moped nach Hause geschafft hat oder die Panik, wenn einen plötzlich ein Affe anfällt? Oder das Gefühl von permanentem Schweiß und Dreck auf der Haut?
Sowieso fühle ich mich in der Rückschau, als wäre ich kopfüber in eine Parallelwelt gefallen und so manches Mal habe ich auch die Orientierung verloren. Indien ist anders. Einfach anders. Natürlich gibt es auch Gleiches, gerade in Mumbai findet man dann doch viele bekannte Dinge wieder (zum Beispiel Coffee Shops oder Mc Donalds) aber bei Vielem musste ich auch kapitulieren.
Und aus diesem Grund schließe ich auch an dieser Stelle und hinterlasse nur diesen unfertigen Eindruck, den wohl jeder und jede nur für sich selbst vervollständigen kann, der aber interssiert und neugierig machen kann auf den kompletten Soundtrack einer echten Indien-Erfahrung.
(Text und Fotos: Sophie Rister)

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