KulturLiteratur

Hyper-(Klischee)

Es ist ein Klischee: Der Asiate lebt für die Arbeit. Er steht sehr früh auf, trägt immer korrekte Kleidung und grüßt stets freundlich. Selbst am Wochenende widmet er sich der Firma. Sein Leben ist geprägt von einer Hektik, die er selbst mit stoischer Gutmütigkeit ignoriert. Immer weiter, den eigenen Weg bahnen durch die Herde der Leidensgenossen.


[divide]

Byung-Chul Han ist kein solcher Klischeeasiate. Der in Seoul geborene Philosoph lebt und publiziert in Deutschland, einem Land das sich nach Max Weber der Bürokratie verschrieben hat (was zunächst einmal jeglicher Hektik widerspricht) und er widmet sich als Dozent den Geisteswissenschaften, anders als der Kischeelandsmann, den man eher beim hantieren mit mathematischen Formeln und chemischen Zusätzen vermutet. Betrachtet man ein Foto von ihm, kann man die Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen in wenigen strengen Linien erahnen und erkennt gleichzeitig die energetische Ruhe eines gelehrten Mannes.

Und dann das: Gleich zu Beginn der Lektüre seines Buches „Hyperkulturalität”, in dem er sich mit der Findung eines neuen Kulturbegriffes in Zeiten des allumfassenden Globalisierungsprozesses beschäftigt, befindet man sich in Gesellschaft der bedeutendsten Philosophen der Geschichte – und ist versucht, sich in die Rolle des Unwissenden zu flüchten. Dabei ist es nicht das geballte Wissen der Superlative, das einem Angst macht, nein, es ist der Rhythmus der ins Stocken bringt: Der Leser hastet den Begriffen hinterher, findet kaum Zeit sie einzuordnen, bevor sich die nächste geistige Lawine der Terme auf einem niederwalzt, und man sich zumindest hier in den Klischeevorstellungen bestätigt fühlt: Rushhour!

Hans Überlegung, dass die kulturellen Ausdrucksformen ihre ursprüngliche örtliche Bindung verlieren und sich im globalen Hyperraum nicht mehr eingrenzen lassen – die Kultur wird zur Hyper-kultur ent-grenzt und ent-ortet, setzt sich beim Lesen im Gedächtnis fest. Dies gibt nach Han das heutige Lebensgefühl, die Position des Menschen zur Welt wieder.

Phänomene wie Ort, Weg, Schwelle, Fremdheit, Vernetzung, Aneignung und Identität werden neu analysiert und machen eine Neudefinition der eigenen Zugehörigkeit nötig – der Mensch als „Tourist im Hawaiihemd” im unendlichen Raum der Indentifikationsmöglichkeiten, auf der Suche nach einer neuen Heimat: „Der hyperkulturelle Tourist ist ein anderer Name für das defaktifizierte Dasein. Er muss nicht erst physisch unterwegs sein, um Tourist zu sein. Er ist schon bei sich selbst anderswo und unterwegs. Es ist nicht so, dass man als Tourist das Haus verlässt, um später als Einheimischer zu sich zurückzukehren. Der hyperkulturelle Tourist ist schon bei sich zu Hause ein Tourist. Er ist bereits im Hier dort.

Nirgends kommt er endgültig an.” Was hier so schwebend und träumerisch klingt – in entspannter Lage zu konsumieren – wird dem Leser im Folgenden über Hürden aus endlosen Komposita und schwindelerregenden geistigen Windungen näher gebracht. Hans Begriff der Hyperkulturalität bedeutet kein „entweder – oder” sondern impliziert ein „und … und … und”, Globalisierung verbindet nicht nur, sondern schafft und vernichtet die elementaren Grenzräume, in rasantem Tempo, dem Han seinen Schreibstil anzupassen weiß, nur: der Leser bleibt oft ermüdet zurück.

Fazit ist: Wer die Muße zur intellektuellen Schatzsuche im Schweinsgalopp hat, ist hier genau richtig. Han läutet das Ende der Stereotypen und Klischees ein, es beginnt das Zeitalter des freundlichen Hyper-, das versucht alle Eigenarten zu berücksichtigen. Und Hyper- ist auch bei seinem eigenen Werk das richtige Stichwort: Hyper-Schnelligkeit, Hyper-Wissen, Hyper-kompakt. Hyper-Kultur eben. Typisch asiatisch eben.

(Text: Kristina Hellhake)

Schreibe einen Kommentar