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Humanitäre Hilfe und die Europäische Union

Ob für Hungersnöte oder Kriegsopfer, das Deutsche Rote Kreuz oder Brot für die Welt – humanitäre Hilfe trägt ein Stück dazu bei, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das ist zumindest die gängige Meinung. Die Wahrheit ist leider nicht immer so einfach: effektiv oder doch eher destruktiv?


Plakate mit Bildern von meist afrikanischen Kindern mit leeren Schüsseln oder von auf Krücken gestützten Opfern von Landminen hängen in allen U-Bahn-Stationen. Die Zeitungen und Zeitschriften sind voll damit. Alle rufen dazu auf, ein paar Euro zu spenden; dem Kind eine Portion Mais zu kaufen und dem Mann eine Prothese. Wer der Aufforderung folgt, kann seinen Teil dazu beitragen, dass Anderen geholfen wird – sogar von der Steuer kann man diese gute Tat absetzen. Und damit die Hilfe auch ankommt und nicht in den falschen Taschen verschwindet, spendet man meist an die bekannten Organisationen mit den großen Namen.

Auch die Europäische Union beteiligt sich kräftig an der humanitären Front: seit 1992 stellt das Europäische Amt für humanitäre Hilfe (ECHO) Gelder zur Verfügung, die durch Partnerorganisationen, wie das Rote Kreuz, verteilt werden. 2010 kam so mehr als eine Milliarde Euro knapp 20 Millionen Menschen in 60 Ländern zugute. Zusammen mit den Spenden der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten macht dies die EU zum größten Spendengeber für humanitäre Hilfe der Welt.

Getreu der Philosophie der humanitären Hilfe gibt das ECHO an, nach den Prinzipien der Neutralität, Unbefangenheit und Unabhängigkeit zu agieren. Die Autorität einer offiziellen europäischen Behörde sollte den Hilfsaktionen in Übersee also ein gewisses Maß an Legitimität und vor allem Effizienz und Effektivität verleihen.

Gut gemeint, aber nicht immer wirklich gut

Und doch ist humanitäre Hilfe oft nicht die perfekte Lösung, die sie sein sollte. Auch die Unterstützung der EU kann nur so gut sein, wie die Arbeit ihrer Partnerorganisationen. Dass diese unfreiwillig Kriege verlängern und Krisen verschlimmern, anstatt sie zu verbessern, ist ein oft wiederholtes Mantra der Spenden-Kritiker.

Tatsächlich müssen die Organisationen, die die Hilfe vor Ort zu implementieren versuchen, besonders in Kriegsgebieten mit vielen Problemen kämpfen. Korrupte Regierungen leiten Spenden an das Militär um und zwangsrekrutieren Männer, die sich zur Essensausgabe versammeln oder lassen sich selbst und ihre Truppen von den Helfern aus dem Ausland aufpäppeln.
Im schlimmsten Fall werden Hungersnöte absichtlich provoziert oder, wie in Sierra Leone Anfang des Millenniums, Menschen medienwirksam verstümmelt, um immer noch mehr Spenden anzuregen. Die Hilfsaktionen laufen somit Gefahr, dem amtierenden Regime oder dem Militär indirekt unter die Arme zu greifen. Neutralität und Unbefangenheit können hier auch ein Fluch sein.

Gleichzeitig birgt humanitäre Hilfe das Risiko, ihre Empfänger abhängig zu machen, wenn nicht auch die Wirtschaft mit aufgebaut wird. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Regierung die Bevölkerung nun komplett vernachlässigt, da diese ja anderweitig versorgt wird. Zudem können die Waren nur an einzelnen Punkten des Gebiets verteilt werden, sodass ein große Anzahl an Menschen sich dort konzentrieren. Solche Ansammlungen oder Flüchtlingslager führen wiederum zu ganz eigenen Problemen.

Die Hilfsaktionen der EU im Speziellen beinhalten zusätzlich die Komplikation der steigenden Bürokratie. In den 1990er Jahren war die Schaffung einer eigenen Einsatztruppe des ECHO angedacht, die jedoch nie in die Realität umgesetzt wurde.
Stattdessen werden Brennpunkte vor Ort identifiziert, und die Informationen und das Geld dann über das Parlament in Brüssel an die entsprechenden Nicht-Regierungs-Organisationen weitergeleitet. Dies kostet nicht nur Zeit, sondern schafft auch Intransparenz, sodass die Wirksamkeit einzelner Aktionen schlechter beurteilt werden kann.

Ein ethisches Desaster
Ein trauriges, wohlbekanntes Beispiel, das die vielen Mängel der internationalen Hilfe illustriert, sind der Bürgerkrieg in Ruanda und seine Folgen Mitte der 90er Jahre. Mitglieder des Hutu-Stammes begingen systematischen Völkermord am Tutsi-Stamm, der etwa 800 000 Opfer forderte; drei Viertel der gesamten Tutsi-Bevölkerung. Nach einem Gegenschlag der Tutsi floh ein Großteil der Hutu-Bevölkerung über die Grenze nach Goma im damaligen Zaire.

Als Antwort auf den Bürgerkrieg flossen 1,5 Milliarden US-Dollar an humanitärer Hilfe nach Goma. Die Empfänger der Spenden waren jedoch zum überwiegenden Teil Hutus. Unter ihnen viele Verantwortliche für den Völkermord, die nun Steuern auf die Gelder erhoben und damit den Krieg aus dem Exil heraus weiter finanzierten. Zwei Jahre später fiel eine Armee der Tutsi über die Flüchtlingslager her und ermordete tausende Hutus. Die Projektleiterin des französischen Zweiges der Ärzte ohne Grenzen nannte diese humanitäre Intervention ein “totales ethisches Desaster”.

Fehlende Verantwortung
Doch selbst wenn die Hilfsorganisationen in einem Krisengebiet letztendlich mehr Schaden als Nutzen gebracht haben, wird am Ende meist keine negative Bilanz gezogen. Nicht-Regierungs-Organisationen werden nur von sich selbst überwacht und schreiben ihre eigenen Berichte. Öffentlich über die Probleme der eigenen Organisation mit Korruption zu sprechen, ist eben keine gute Eigenwerbung, verhindert aber auch den Informations- und Erfahrungsaustausch in der Branche, und somit auch Fortschritte. Die eigentlichen Empfänger der Hilfsgüter haben meist keine Möglichkeit, die Organisationen strafrechtlich oder anderweitig zu verfolgen.

Die Finanzierung durch eine Institution wie die EU kann jedoch zumindest im Theoretischen eine transparentere Verwaltung der Güter voraussetzen. Im Praktischen steht aber oft auch hier die Bürokratie im Weg.

Reformen sind dringend nötig
Letztendlich kann die Botschaft aber auch nicht der Ruf nach dem Ende der Hilfsorganisationen sein – zweifelsohne wird humanitäre Hilfe weiterhin an vielen Orten der Welt benötigt. 90 Prozent der Opfer von Kriegen sind Zivilisten, und auch vor Naturkatastrophen, können sie sich nicht ausreichend selbst schützen. Die Krisenherde sind vielfältig und Wegschauen ist nicht möglich. Die Verantwortung und der Anstoß zu einer Veränderung liegen bei der EU, den Vereinten Nationen und den Organisationen selbst.

Zunächst einmal muss sichergestellt werden, dass die Hilfe nicht wie Wasser in ein bodenloses Loch gegossen wird, sondern das Gegenstück zum gleichzeitigen Wiederaufbau einer funktionierenden Wirtschaft im betroffenen Land bildet. Auch sollten die Betroffenen, auf die die Hilfe abzielt, nicht lediglich als ausgestreckte Hände betrachtet werden. Vielmehr sollten sie so weit wie möglich in Entscheidungsprozesse und Evaluationen miteinbezogen werden. Niemand kann besser beurteilen, ob die benötigte Hilfe tatsächlich ankommt.
Zu guter Letzt wurde in der Vergangenheit die Einführung eines Beauftragten angeregt, der die Aktionen der Hilfsorganisationen überwacht und bewertet, um für Transparenz und mehr Verantwortung von Seiten der Organisationen zu sorgen.

Am Ende besteht die Herausforderung darin, möglichst schnelle, unbürokratische und reibungslose Hilfe zu leisten, und diese gleichzeitig mit größtmöglicher Transparenz und dem effektiven Identifizieren von Problemzonen zu kombinieren. So viel und so wenig Hilfe wie möglich, überall aber auch nur da, wo sie wirklich benötigt ist, sollte das Motto sein. Keine leichte Herausforderung; wohl aber auch nicht die größte, vor der die EU derzeit steht.

(Text: Janine Schulz)

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