InternationalPolitik

Hochmut kommt vor dem Fall

Island. Land der Geysire und Gletscher, Heimat von Björk, Sígur Rós sowie diverser anderer spezieller Musiker und Künstler. Doch auch dieses besondere Fleckchen Erde blieb von der Finanzkrise nicht verschont. back view-Redakteurin Katrin Kircheis berichtet direkt aus Island darüber, wie die Finanzkrise die Insel getroffen hat und welche Entwicklungen dadurch in Gang gesetzt wurden.
[divide]

proteste_island

Tausende zog es in den letzten Jahren auf die kleine Insel im Nordatlantischen Ozean, allerdings nicht nur wegen der landschaftlichen Schönheiten und schon gar nicht wegen des, wenn auch sehr gesunden, rauen Klimas. Es waren Arbeiter aus aller Welt, hauptsächlich aus Dänemark, Polen und Deutschland sowie dem Baltikum. Gastarbeiter, wie es sie nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland und Österreich gab. In den achtziger Jahren wurde Island mit Geldgeschäften und vagen Spekulationen quasi über Nacht zu einem der reichsten Länder Europas und der Welt.

Die Wirtschaft ist auch hauptsächlich vom Fischexport abhängig, Island gewann in den drei Kabeljaukriegen gegen das Vereinigte Königreich von Großbritannien, die bisher einzigen Kriege der Geschichte in denen ohne Waffen gekämpft wurde, die Vorrechte und Lizenzen der Fischgründe um das eigene Land. Zudem begannen Industrie und Tourismus zu florieren, hauptsächlich mussten aber zunächst die Bedürfnisse der Isländer selbst erfüllt werden. Die konnten fröhlich und unbegrenzt Kredite vom, so dachte man, unerschöpflichen Vermögen der Banken aufnehmen und diese beliebig und ganz ohne Zinsen zurückzahlen.

Der Leitzins lag bei ungefähr zwölf Prozent, das angelegte Geld vermehrte sich rasant. Man brauchte Bauarbeiter und Architekten um Häuser sowie Straßen zu bauen. Man brauchte Autos. Große Autos, teure Autos. Restaurants, Hotels, ausländische Köche, Busfahrer, Kellner, Zimmermädchen, Aupairs. Denn die Isländer wollten Essen gehen, mit ihren protzigen, für die Hauptstadt Reykjavík völlig ungeeigneten Geländewagen direkt vor den Eingang der Geschäfte fahren und sich vor allem nicht selbst um ihre verzogenen Kinder kümmern müssen.
Man flog nach London zum Mittagessen, auf die Kanaren zum Billigurlaub oder nach Miami zum shoppen.  Ja, Island war reich und versteckte es auch nicht. Solange alle zufrieden waren, fragte auch keiner nach oder konnte meckern. Eine typische Spaßgesellschaft, die mit Brot und Spielen ruhig gehalten werden konnte. Einkaufszentren und Fast Food nach dem amerikanischen Vorbild, der „amerikanische Traum” auf Island. Wen interessiert es da, was die Regierung macht? Passt eh alles.

Versteht mich nicht falsch, die Isländer sind, größtenteils zumindest, keine schlechten Menschen. Vielleicht ein wenig ungebildet, naiv und definitiv verschwenderisch. Zwei Generationen, die in Saus und Braus aufwuchsen und es einfach nicht anders kennen. Ältere Generationen haben den Wohlstand sicher ebenfalls genossen, war das Land doch bis in die 1950er Jahre hinein bettelarm und die Menschen ernährten sich nach wie vor ausschließlich von Schafzucht und Fischfang.

Noch vor einem Jahr hätte ich gedacht, diese Situation, dieser unfassbare Wohlstand und diese Ignoranz gegenüber dem Rest der Welt würden sich niemals ändern. Klar, Währungsinflationen hat Island in den Jahrzehnten zuvor schon oft erlebt, auch seit Dezember 2007 spürte man deutlich einen Kursabfall der Isländischen Krone.
Dennoch brach das, was Anfang Oktober mit diesem kleinen Land geschah, völlig unerwartet und absolut ungerechtfertigt über diese Menschen herein. Eine Finanzkrise und pleite gegangene Banken schwappten mit voller Wucht aus den USA über den Atlantik nach Europa und legten alles lahm. Genau wie Ungarn traf es Island hierbei am Schwersten – mit einem Staatsbankrott. Beide Länder waren, wieder über Nacht, komplett pleite.

Die Folgen?
Teilweise verheerend. Die Bürger ließ man anfangs vollkommen uninformiert, keiner wusste, was wirklich geschehen war und was noch kommen würde. Die anfängliche Neugier wich schließlich der Angst vor dem Unbekannten, der Angst, die Regierung und die Banken könnten schon alles verspielt haben und bald geht es dem persönlichen Besitz an den Kragen. Geschäfte und Unternehmen stoppten sämtliche Investitionen, Lieferungen blieben aus, da die Isländische Krone als Zahlungsmittel nicht mehr akzeptiert wurde.

Die Währung konnte nicht mehr eingetauscht werden, von isländischen Konten konnte weder Geld in Ausland überwiesen werden noch konnte man Geld empfangen. Die Auszahlung oder der Umtausch in andere Währungen war nur mit Vorweisen eines Flug- oder Fährtickets und bis zu einer bestimmten Summe möglich. Reihenweise wurden die Menschen von einem Tag auf den anderen aus ihren Jobs entlassen, das sonst so leere Arbeitsamt füllte sich plötzlich mit langen Schlangen, die einst prall gefüllten Ordner mit Jobangeboten blieben dagegen leer. Viele Ausländer verließen das ehemalige Gehaltsparadies, bevor es zu spät war.

Die Isländer waren wieder sich selbst überlassen, enttäuscht über die Absage des großen Vorbilds USA, selbst in finanziellen Schwierigkeiten, ihnen mit Subventionen unter die Arme zu greifen. Geholfen haben schließlich der große Bruder Dänemark, Russland und der Internationale Währungsfond. Die Nationalbanken wurden verstaatlicht, die größte von Schweden aufgekauft. Um das eiserne Schweigen der Regierung zu brechen, fing man in Reykjavík an, vor dem Parlament zu protestieren, selbiges mit Eiern und Tomaten zu bewerfen, ein mutiger Anarchist hisste die „Bonus”(Islands Diskountsupermarkt)-Flagge mit einem Schwein als Symbol um auf die billige und dreckige Art der Staatsoberhäupter aufmerksam zu machen.
Die Proteste häuften sich, zum Schluss versammelten sich täglich Gruppen und Grüppchen vor dem Parlament. Man lieferte sich Auseinandersetzungen mit der Polizei, die nicht gerade für ihre zimperliche Art bekannt ist, und stürmte sogar das Hauptrevier, um zu Unrecht verhaftete Anarchisten und Protestler zu befreien. Die Situation schien zu eskalieren.

Als schließlich offiziell wurde, dass die Pensionskassen geleert wurden, um Schulden zu bezahlen, forderte man den sofortigen Rücktritt von Regierungsmitgliedern, Ministern und vor allem der Bankchefs. Fahnen der Banken wurden auf offener Straße angezündet, die zuvor noch kleine und missachtete Gruppe von Anarchisten, die größtenteils auch Gründer der Gruppe Saving Iceland sind, wuchs in diesen Wochen beachtlich.
Die Situation lässt sich durchaus mit der antikapitalistische Bürgerbewegung 2002 in Argentinien vergleichen, denn auch das südamerikanische Land ging durch Spekulationen und Verspielen von Privatgeldern bankrott und verschuldete sich hoch. Der Ruf „Es ist Zeit, dass ihr geht!” an die Regierung hallte Tag für Tag durch die Straßen. Viele Isländer müssen nun am eigenen Leib spüren, dass Verschwendung und Kapitalismus Schattenseiten haben – Verlust von Erspartem, Pfändung von Autos, Sommerhäusern Geschäften. Urlaub auf Kuba gestrichen. Luxusgüter, die in einem Land, das pleite ist, keinen Platz haben.

Konfrontiert mit einer Existenzangst, die man bis dato in Island so nicht kannte. Viele müssen um ihren Job fürchten, bereits Arbeitslose hoffen mit der Unterstützung, die sie bekommen, auszukommen. Ganz zu schweigen von der Frage, wie lang Island sich diese finanzielle Hilfe noch leisten kann. Die Arbeitslosenquote stieg von mageren 0,2 Prozent auf 4,8 Prozent, das heißt rund 14.500 von nur insgesamt 300.000 Isländern sind ohne Job.

Misstrauen gegenüber der Politik
Das einstige Vertrauen in die Regierung, die dieses gute Land nach Meinung der Bewohner ruiniert hat, wich Unmut und Hass. Im Moment hat Island, nach der Amtsenthebung und teilweise dem freiwilligen Rücktritt der meisten Minister und vor allem der korrupten Bankvorsitzenden, eine Übergangsregierung, zum ersten Mal mit einer Frau, Anna Sverrisdóttir, an der Spitze. Vielleicht wird sie es auch sein, die das Land nach den offiziellen Neuwahlen im Mai weiterregiert. Sverrisdóttir hält einen EU-Betritt Islands für unumgänglich, die Regierung und die Europäische Union beraten sogar über ein Schnellaufnahmeverfahren in den kommenden Jahren.

Fakt ist, dass das Volk nun ein sicheres soziales Netz und eine demokratische Regierung braucht sowie ein Banksystem, dass nicht von kriminellen Investitionen und  unvorsichtigen Spekulationen durchzogen ist. Die Preise sind, war es vorher ja auch nicht gerade billig, angestiegen, die meisten Lieferungen wie Lebensmittel müssen schließlich importiert und nun in Euro oder US-Dollar bezahlt werden. Für Touristen hingegen ist, durch eine Inflationsrate von rund fünfzig Prozent, alles um die Hälfte billiger. Die Währung hat sich zwar im Moment recht stabil eingepegelt, doch ist es schon ein Unterschied, ob man für einen Euro einhundertfünfzig statt vorher achtzig bis einhundertzwanzig Isländische Kronen bekommt. Kauft man die Kronen allerdings schon vor dem Urlaub in einem der EU-Länder, sind es locker zweihundertachtzig Kronen pro Euro.

Ein großes Problem sehen die Naturschützer von Saving Iceland derzeit auch darin, dass die Wirtschaft mehr denn je auf industrielle Investitionen von außerhalb sowie dem Verkauf und die Nutzung von natürlichen Ressourcen angewiesen ist. Sie sehen kaum eine Chance gegen große amerikanische Aluminiumkonzerne wie Alcoa und Alcan, die nun erst Recht ohne Rücksicht auch Verluste mehr und mehr Schmelzwerke und Staudämme planen und bauen. Die letzte erhaltene Wildnis Europas droht der Finanzkrise früher oder später zum Opfer zu fallen. Grundstücke werden zu Spottpreisen verkauft, im Norden Islands haben die USA Ölquellen entdeckt. Die Lizenzen für dessen Förderung versuchen sich prädistinierte Ölstaaten wie Norwegen unter den Nagel zu reißen.

Die Isländer sind jetzt nicht arm, sie werden sich sicher an die neue, in der westlichen Welt ganz normale, Situation gewöhnen. Die isländischen Banken waren einfach zu groß, zu reich, zu mächtig geworden, man riss ihnen den Boden unter den Füßen weg. Aus der Traum vom gelebten Reichtum. Ein Land mit gerade einmal 300.000 Einwohnern steht nun einem Schuldengebirge von umgerechnet 63 Milliarden Euro gegenüber – vergleichbar in etwa mit den Staatschulden Italiens. Allein ein Drittel davon schulden sie deutschen Banken.

Und wenn ich in einigen Jahren wieder durch Reykjavík spaziere, werde ich sicher auch ein paar mehr Obdachlose sehen als die vier, die ich damals noch, vor der Krise, persönlich kannte…

(Text & Foto: Katrin Kircheis)

Schreibe einen Kommentar