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Happy End ohne Traumprinz?

In Schweden werden Kinofilme seit kurzem danach bewertet, ob sie „geschlechtergerecht“ sind. Der sogenannte „Bechdel-Test“ untersucht die Frauenrolle im Film. Ein Kriterium dabei ist, ob die Frauen im Film andere Gesprächsthemen als Männer haben. Erstaunlich viele Filme, auch Kinderfilme, fallen durch, weil die Protagonistinnen im Gespräch nur auf Männer fixiert sind.
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Die Ergebnisse des „Bechdel-Tests“ ließen mich stutzig werden: Wie sehr werden Kinder von überholten Geschlechterklischees geprägt, die ihnen in Büchern und Filmen gezeigt werden? Und vor allem: Kann es überhaupt ein Happy End geben für weibliche Hauptrollen ohne eine Hochzeit mit ihrem Traumprinzen? Denn gerade im Bereich der Kinderbücher und –filme ist das Klischee der Prinzessin, die nur darauf wartet, von ihrem Märchenprinzen errettet zu werden, weit verbreitet.

Ich fasste den Entschluss, der Sache anhand meiner eigenen Sozialisierung durch Kinderfilme und –bücher auf den Grund zu gehen. Hat der Konsum dieser Medien meine Rollenvorstellungen von Frau und Mann bis ins Erwachsenenalter geprägt? Ich untersuchte also einige meiner damaligen Lieblingsfilme und -bücher daraufhin, wie meine Lieblingsheldinnen dargestellt wurden.

Prinzessin verliebt sich in Prinzen

Keinen Film habe ich als Kind öfter gesehen als „Arielle, die Meerjungfrau“. Arielle ist mit ihrem Leben als Meerjungfrau unzufrieden und wünscht sich sehr, ein Mensch zu sein. Sie verliebt sich in den Prinzen Eric. Um ihm nahe zu sein, lässt sie sich auf einen Pakt mit der Meerhexe Ursula ein und wird für kurze Zeit ein Mensch.

Sie muss es schaffen, dass sich Eric innerhalb von drei Tagen in sie verliebt und ihr den Kuss der wahren Liebe gibt. Nach einigen Irrungen und Wirrungen stirbt die Hexe, und Arielle wird ein Leben als Mensch an der Seite ihres Prinzen geschenkt.

„Nur wer schweigt, der kriegt auch einen Mann“

Der Pakt, den Ursula und Arielle schließen, beinhaltet, dass Arielle Ursula mit ihrer Stimme bezahlen muss. Als Arielle zögert, bemerkt Ursula treffend: „Die Menschenmänner lieben kein Geplapper. Nur wer schweigt, der kriegt auch einen Mann.“ Damit überzeugt sie Arielle und trotz ihrer Zweifel lässt sie sich auf den Pakt ein.

Hier wird klar ein veraltetes Rollenklischee beschrieben: Eine Frau, die eine eigene Meinung hat, ist für Männer unattraktiv. Gelänge es dem Film im Anschluss, zu beweisen, dass diese Annahme nicht zutrifft, könnte Arielle als Vorbild für junge Mädchen gelten. Doch hier liegt der Schwachpunkt des Films: Er beweist nicht das Gegenteil, sondern zementiert die herkömmlichen Klischees.

Denn wie in vielen anderen Disney-Filmen besteht Arielles Mission darin, sich selbst zu finden: Sie kann noch so hübsch, erfolgreich und unabhängig sein – Erfüllung findet sie nur in einer Liebesbeziehung, für die sie bereit ist, alles aufzugeben – ihre Stimme genauso wie ihr bisheriges Leben. An einer Stelle erkennt sie: „Wenn ich ein Mensch werde, kann ich nie wieder bei meinem Vater oder meinen Schwestern sein?“ Ursula antwortet: „Du hast recht – aber dafür hast du deinen Mann!“

MaedchenAlles aufgeben fürs Happy End?

Das ist der große Schwachpunkt des Films: Arielle hat alles, was man sich nur wünschen kann. Sie hat einen Vater, der sie über alles liebt und darüber hinaus auch noch König der Meeresvölker ist. Sie sieht fabelhaft aus mit ihrer geschmeidigen roten Mähne und der türkisen Flosse. Sie hat den besten Freund der Welt – Fabius, den Doktorfisch – und lebt in der Unterwasserwelt, die so anders, so viel aufregender ist als die Welt der Menschen.

All das gibt sie auf für einen Prinzen, den sie kaum kennt. Als Kind habe ich mich oft gefragt: Wenn es möglich ist, Arielle in einen Menschen zu verwandeln – wäre es nicht auch möglich, ihren Prinzen in einen Wassermann zu verwandeln, damit die beiden zusammenbleiben können? Arielle entscheidet sich für das Leben an Land und damit dafür, gewöhnlich zu sein. Der Film schafft es nicht, überzeugend zu zeigen, dass Frauen nicht alles aufgeben müssen, um mit einem Mann zusammen zu sein.

Motorrad statt Hochzeit

Das komplette Gegenteil stellt „Prinzessin Pfiffigunde“ dar, ein Bilderbuch, das ironisch mit der Vorstellung des Traumprinzen bricht. Pfiffigunde ist hübsch und reich, weswegen sie alle Prinzen zur Frau haben wollen. Doch Pfiffigunde hat keine Lust zu heiraten. Sie ist ein wildes Mädchen und spielt lieber mit ihren Drachen im Schlossgarten. Doch als ihre Eltern sie drängen, endlich zu heiraten, beschließt Pfiffigunde, ihren Verehrern knifflige Aufgaben zu stellen. Ob Spritztouren auf ihrem Motorrad oder das Füttern ihrer Hausdrachen – kein Bewerber schafft es, ihre Anforderungen zu erfüllen. Bis Prinz Prahlschnalle kommt.

Der Prinz ist nicht nur gutaussehend und charmant, sondern kann auch die Aufgaben trickreich meistern. Als er denkt, er hätte es geschafft, muss er feststellen, dass Pfiffigunde noch pfiffiger ist als angenommen. Sie gibt ihm einen Zauberkuss, der ihn in eine fette, warzige Kröte verwandelt. Prahlschnalle verlässt das Königreich fluchtartig. Als die anderen Verehrer vom Schicksal des Prinzen hören, will keiner mehr um Pfiffigundes Hand anhalten und sie kann ein glückliches, lediges Leben führen.

Happy End auch ohne Traumprinz

Meine Mutter, die mir „Prinzessin Pfiffigunde“ damals geschenkt hatte, meinte einmal zu mir, dass es vor 20 Jahren gar nicht einfach gewesen sei, ein Kinderbuch zu finden, in dem das Happy End nicht die Hochzeit der Protagonistin mit dem Traumprinzen darstellt. Pfiffigunde entscheidet sich bewusst gegen eine Hochzeit und will lieber alleine bleiben. Diesen Wunsch setzt sie mit allen Mitteln durch. Ihr Glück hängt nicht von einem Mann ab, sie ist sich selbst genug und damit der Gegenentwurf zu Arielle, die nur an der Seite ihres Prinzen glücklich sein kann.

Natürlich lassen sich auch hier die Geschlechterrollen kritisieren: Die Männer werden darauf reduziert, nur an der Prinzessin interessiert zu sein, weil sie Geld hat und gut aussieht. Und Pfiffigunde stellt Aufgaben, die von vornherein unlösbar sind, um sich ihre Verehrer vom Leib zu halten. Doch als endlich jemand kommt, der ihren Anforderungen genügt, erschrickt sie über ihre eigene Courage und der Prinz wird mit einem Fluch belegt. Das ist klar überzogen, doch trotzdem machte mir dieses Buch als Mädchen klar: Das Glück einer Frau muss sich nicht über einen Mann definieren – ein Happy End kann es auch ohne Traumprinz geben.

Erwachsener Blick auf Kindheitsheldinnen

So unterschiedlich die Beispiele auch sind, die ich hier genannt habe, so machen sie doch deutlich, dass jedes Kinderbuch und jeder Kinderfilm Geschlechterrollen kommuniziert, sei es absichtlich oder unabsichtlich. Daran ist nichts verwerflich – im Gegenteil: es ist richtig, dass Kinder früh begreifen, dass es unterschiedliche Werte und Lebensformen gibt, die vielleicht anders sind als die Rollenverteilung in der eigenen Familie. Doch der erwachsene Blick auf Kinderbücher und –filme zeigt: Es ist wichtig, dass man sich der Geschlechterrollen bewusst ist, die in diesen Medien transportiert werden. Und es ist wichtig, mit den Kindern darüber zu sprechen.

Natürlich hat sich seit meiner Kindheit viel geändert. War ein Buch wie „Prinzessin Pfiffigunde“ vor 20 Jahren noch innovativ, gibt es mittlerweile sehr viel mehr Bücher und Filme, die die traditionelle Rollenverteilung hinterfragen. Trotzdem bleibt die Frage: Wie sehr beeinflussen mich die Geschlechterrollen meiner Kindheitshelden noch heute? Darauf lässt sich keine klare Antwort finden. Sicher ist: Ich habe davon profitiert, dass mir während meiner Kindheit sowohl die traditionelle als auch der modernen Rolle der Frau gezeigt wurden und ich mir meine eigene Meinung über Geschlechterklischees bilden konnte.

Ob mich das zu einer Arielle oder eher zu einer Prinzessin Pfiffigunde gemacht hat, kann ich nicht beurteilen. Dass ich seit über drei Jahren Single bin, könnte dafür sprechen, dass meine Erwartungen wie bei Pfiffigunde zu hoch sind. Wer braucht denn schon Männer für ein Happy End? Andererseits: Könnte es nicht sein, dass ich einfach nur etwas länger auf meinen Traumprinzen warten muss?

(Text: Anja Menzel / Foto: Petra Heber by jugendfotos.de)

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