Sport

Großer Mann ganz schwach

Klitschko haut Solis in der ersten Runde K.O.
Es sollte der ganz große Kampf werden. Die erste ernsthafte Bewährungsprobe seit einiger Zeit für Vitali Klitschko. Doch es kam ganz anders, Odlanier Solis überstand nicht eine Runde. Das Fußvolk auf den Rängen schoss Giftpfeile auf den Loser am Boden. Doch der fand sich nach dem Kampf im Krankenhaus wieder.

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Die Lanxess-Arena in Köln war zum Bersten gefüllt, die drückende Erwartung schwebte förmlich über den Kontrahenten. Die üblichen Wortgefechte waren samt bitterböser Blicke schon vor Kampfbeginn ausgetauscht worden. Das Kraftprotzen-Gebaren muss nicht unbedingt immer ganz ernst genommen werden, dennoch war die Brisanz vor dem Duell spürbar.

Keine drei Minuten
Immerhin lautet der Vorwurf an die Klitschko-Brüder immer wieder, sie würden sich nur Fallobst in den Ring stellen lassen. Mit Solis stellte sich Vitali nun ein Kontrahent in den Weg, der viel vor hatte und auch hochgelobt wurde. Die Lobeshymnen verstummten jedoch schnell. Sehr schnell. Der Kampf war keine drei Minuten alt, da fuhr Klitschko die rechte Pranke Richtung Solis‘ Schläfe aus. Dieser wankte – von der Schelle dermaßen benebelt – rückwärts. Dabei verdrehte er sich das Knie, riss sich das Kreuzband und zog sich zudem einen Knorpelschaden zu. Der große Mann erschien hier ganz schwach.

Kein Wunder, dass er danach wacklig auf den Beinen stand. Es war nur noch ein Bein, das funktionierte. Der Ringrichter musste die Gesundheit des Kubaners schützen, ein Fortsetzen des Kampfes hätte keinerlei Sinn gemacht. Mit dem technischen K.O. brandete jedoch in Köln kein Jubel auf den Rängen auf. Die Zuschauer schrien und pfiffen, sie wollten mehr Show für ihr Geld sehen. Wer 50, 100 oder mehr Euro für eine Karte ausgegeben hat, lechzt nach mehr als nur knapp drei Minuten Boxsport.

Verbalgeplänkel auf Pressekonferenz
Auch Vitali Klitschko war nicht sonderlich angetan vom Betragen seines Gegenübers. Klitschko beharrte auf der Schlagwirkung seines Punch. Dass Solis mit malträtiertem Knie niemals hätte weiterboxen können, wurde da flugs übergangen. Immerhin ein bisschen Geplänkel – wenn der Kampf schon nach nur einer Runde vorbei ist.

Dieses Verbalgeplänkel ging dann auf der Pressekonferenz nach Kampfende weiter. Klitschko-Manager Bernd Bönte stieß ins gleiche Horn wie sein Schützling: Der Schlag war ausschlaggebend für den technischen K.O., nicht die Verletzung. Ahmed Öner, Solis-Promoter, schoss Verbalinjurien in Richtung Bönte. Für seine Verhältnisse reagierte er noch überaus besonnen. Öner war im Februar 2010 wegen Nötigung, Erpressung, Körperverletzung und weiterer Delikte zu 22 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Was ist dagegen schon ein „Halt die Fresse” auf einer Pressekonferenz?

Hampelmänner in Handschuhen
Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt jedoch, dass Solis mit seinem flotten K.O. in prominenter und zahlreicher Gesellschaft ist. Im August 1993 schickte Gerald McClellan nach nur 20 Sekunden Jay Bell auf die Matte. Der bisher kürzeste WM-Kampf.

Im Schwergewicht – also der Gewichtsklasse der Klitschko-Brüder – machte Herbie Hide 1998 nach nur 52 Sekunden kurzen Prozess mit Damon Reed. In der höchsten Klasse ist das bisher der ewige Rekord, da kann auch Klitschko nicht mithalten.

Wer den Amateuren des Boxsports zuschaut, muss sich auf noch kürzere Duelle einstellen. Die Kontrahenten werden dann schnell zu Hampelmännern in Handschuhen degradiert. Anders ist die Rekordzeit von vier Sekunden zwischen Russell Rees und Des Sowden nicht zu erklären. Auch der berüchtigte Mike Tyson verdrosch einen Gegner in seiner Amateurzeit in nur acht Sekunden.

110 Runden sind Rekord
Wer das andere Extrem anstrebt, braucht auf Zuschauerseite viel Sitzfleisch. Epochale 110 Runden, damit über sieben Stunden, bekämpften sich 1893 Jack Burke und Andy Bowen. Drei Schiedsrichter wurden verschlissen, der vierte entschied dann auf „Unentschieden!” Ein gnädiges Urteil nach sieben Stunden Kopfhinhalten.

Davon waren Klitschko und Solis weit entfernt. Wieder einmal zeigte sich ein vermeintlich bedrohlicher Herausforderer des Ukrainers als zu schwacher großer Mann. Selten aber war ein Duell derart schnell entschieden. Nur ein genauer Blick in die Geschichtsbücher zeigt, wie lange Solis eigentlich durchgehalten hat – im Gegensatz zu einigen, früheren Boxkameraden.

(Text: Jerome Kirschbaum)

 

 

Jerome K.

Jerome schreibt am liebsten über Sport, wenn er denn nicht selbst auf einem Platz steht. Seit Oktober 2010 verdingt sich Jerome als Schreiberling für back view, neben den Leibesübungen widmet er sich sich auch politischen Themen. Im wahren Leben musste Jerome zahlreiche Semester auf Lehramt studieren, um dann schlussendlich doch etwas ganz anderes zu werden.

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