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„Entwicklungsländer können vielleicht auf Atomkraft verzichten, aber für Europa ist es zu spät.”

Eins hat die Katastrophe von Fukushima erreicht: Es wird viel über die negativen Auswirkungen der Kernkraft geredet. Aber wird auch etwas getan? back view hat einige Franzosen in der Fußgängerzone in Metz um ihre Einschätzung gebeten.

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alexandreAlexandre, 20, ist in der literarischen Vorbereitungsklasse für die Grandes Écoles:
„Ich glaube nicht, dass eine ähnliche Maßnahme wie in Deutschland in Frankreich möglich wäre. Seit den Anfängen der Atomkraft verfolgt Frankreich eine andere Politik und kann nicht auf seine Atomkraft verzichten. Ich glaube aber, dass die Fukushima-Katastrophe hier schon etwas auslöst, es gab Demonstrationen. Es haben zwar nicht viele Leute demonstriert, aber es war schon mal ein Anfang. Es wird etwas bewegt, auch in Bezug auf die Mentalität. Wir fangen an, uns zu sagen, dass die Kernenergie vielleicht keine so sichere Energiequelle ist, wie wir immer dachten. Ich persönlich finde, dass einige Punkte zur Kernenergie nochmal neu überdacht werden müssen, besonders, was die Sicherheit angeht. Aber in Japan ist die Situation auch anders als in Frankreich, hier gibt es ja keine Erdbebengefahr.”

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Aouda, 35, kümmert sich um ihren Sohn:
„Ich habe die Reaktionen nicht wirklich verfolgt. In den nächsten Jahren werden wir sicherlich die menschlichen Auswirkungen dieses Dramas erleben. Frankreich ist in dem Sinne betroffen, als dass endlich die Kernkraft Gegenstand einer Debatte wird. Außerdem wird Fukushima auch einen Einfluss auf die Wirtschaft haben, weil in Japan ja viele Sachen produziert werden.”

nathanaelNathanaël, 24, ist letztes Jahr mit dem Studium fertig geworden, reist für vier Monate nach Südamerika:
„Ich habe Biologie studiert, daher kenne ich mich etwas aus, was die Langzeitfolgen betrifft. Halbwertszeiten, Abfall-Lagerung oder radioaktiver Ausfluss aus dem zerstörten Kraftwerk sind sicher große ungelöste Probleme, die auch in den nächsten Jahren aktuell bleiben werden. Wir müssen einen Weg aus der Atomkraft herausfinden, anders geht es nicht. In Frankreich wird es leider schwer, weil Kernenergie einer der florierenden Wirtschaftszweige ist. Die ganzen Interessen, die hinter der Atomkraft stecken, verhindern einen baldigen Ausstieg. Eine Neuorientierung braucht sicher noch sehr viel Zeit. Deutschland und Italien beziehen ja viel Strom von uns, wenn wir unsere Atommeiler abschalten würden, könnte das auch auf europäischer Ebene Probleme machen. Wenn die Deutschen sich jetzt dazu entscheiden, einige ihrer Atommeiler vom Netz zu nehmen, kaufen sie nur mehr Atomstrom von uns, das Ergebnis bleibt ungefähr dasselbe. Es ist keine internationale Lösung.”

Sidibe, 26, Student:
„Die Katastrophe hat bewirkt, dass die Leute an der Technologie zu zweifeln beginnen. Erneuerbare Energien wären eine Lösung, Solarzentralen und Windkraftwerke. Für die Menschen ist das Risiko geringer im Vergleich zu einem Atomkraftwerk. Erneuerbare Energien sind eine gute Alternative, obwohl sie nicht die gleiche Produktivität erreichen können wir Atomkraft. Allerdings wäre eine Umstellung in Europa mit solch hohen Kosten und Aufwand verbunden, dass es wohl kaum durchzuführen ist. Für Entwicklungsländer ist es vielleicht eine Alternative, weil die Strukturen noch nicht so festgefahren sind, aber Europa hat keine Wahl, die Atomkraft muss weiter genutzt werden. In Europa wird selbst eine Katastrophe wie Fukushima auf lange Sicht nichts bewirken.”

roxaneRoxane, 17, Schülerin:
„Es ist eine gute Idee, erst mal ein paar Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen, man könnte so etwas auch in Frankreich und anderen Ländern ausprobieren. Allerdings glaube ich nicht, dass Frankreich das mit sich machen lassen würde. Ich würde mehr nachhaltige Energien fördern, und, wenn sie ausreichend entwickelt sind, die Atomkraft abschaffen. Ich glaube aber nicht, dass es wirklich irgendwann passiert.”

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(Umfrage und Fotos: Anna Franz / Zeichnungen: Christina Koormann)

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