Westen

Einfach glücklich sein

Die deutsche Jugend gilt als die Generation der Pessimisten und charakterlosen Lebenslauf-Designer. Dabei hat sich gezeigt, dass die junge deutsche Generation besser ist als ihr Ruf. Doch wie steht sie im internationalen Vergleich da? back view ist für euch der Frage nachgegangen, was die Jugend der iberischen Halbinsel von der deutschen unterscheidet.

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Es ist früher Abend in Lissabon. Durch die Wohnung im Stadtzentrum klingt Gitarrenmusik und Gesang. Auf den zwei Matratzen am Boden des kleinen Zimmers sitzen vier Jugendliche und genießen den Moment. Edwin spielt Gitarre und singt “Libertade para dentro da cabeça” (Freiheit in den Kopf) – er ist 24 und kommt aus Brasilien. Daneben sitzt die 22-jährige Spanierin Sofia und bastelt ein paar neue Ohrringe. Auf der zweiten Matratze sitzen Tine (22) aus Deutschland und Raul (27) aus Portugal.
Es sind vier Jugendliche aus vier verschiedenen Nationen, deren Wege sich hier in Lissabon kreuzen. Was macht die Jugend ihrer jeweiligen Herkunftsländer aus? Worin unterscheiden Sie sich?

Eine UNICEF-Studie zur Lage der Kinder und Jugendlichen in den Industriestaaten hat ergeben, dass Deutschland im internationalen Vergleich nur Mittelmaß ist. Betrachtet man die Studie genauer, wird klar, dass Jugendliche in anderen Ländern andere Denkweisen und Prioritäten haben. So sind die Spanier, die nach den Niederlanden, Schweden, Finnland und Norwegen insgesamt den fünften Platz belegen, zufriedener als deutsche Jugendliche. In der Kategorie ” Subjektives Wohlbefinden” belegen Sie sogar den zweiten Platz. Dass die Spanier optimistischer in die Zukunft blicken als deutsche Jugendliche, wird auch in einem Gespräch mit Sofia deutlich.
Auf die Frage, ob sie Angst habe einmal keinen oder keinen guten Job zu finden, antwortet sie ohne zu zögern: “Nein auf gar keinen Fall. Ich lebe doch nicht, um zu arbeiten. Ich arbeite, um zu leben!” und etwas zu finden, womit sie am Ende des Monats ein bisschen Geld hätte, sei ihrer Meinung nach kein Problem.

Sofia studiert Biologie und macht gerade ihr ERASMUS-Semester in Lissabon. Die Mehrheit der deutschen Studierenden hat Angst, nach dem Studium keinen guten Job zu finden. Dabei ist das durchschnittliche Bildungsniveau in Deutschland höher als in Spanien und auch die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland deutlich niedriger als die in Spanien. Viele Studierende, die fünf Sprachen beherrschen, renommierte Praktika absolviert haben und einen Topabschluss anstreben schauen in Deutschland trotzdem pessimistisch in die Zukunft. Sofia hat noch nie ein Praktikum gemacht, ist zum ersten Mal außerhalb Spaniens und spricht, neben ihrer Muttersprache Spanisch, ein klein wenig Englisch.

Noch unzufriedener als Tine aus Deutschland, blickt der Portugiese Raul in die Runde. Wenn er an die Zukunft denkt, möchte er am liebsten das Land verlassen. Er sieht in Portugal keine berufliche Zukunft für sich. Die meisten Portugiesen, sagt er, machen das, was sie nicht machen wollen. Er arbeitet als Informatiker und fügt hinzu, dass er seinen Job hasse, aber er habe damals nach der Schule Informatik studiert, weil für diesen Bereich das Risiko der Arbeitslosigkeit am geringsten gewesen sei. Passend zu dieser Aussage belegt Portugals Jugend in der Kategorie ” Subjektives Wohlbefinden” den 16. Platz.

Ihre Generation sei wohl deshalb so zufrieden weil sich die Situation Spaniens seit den ersten freien Wahlen, nach der Franco-Diktatur, im Jahr 1977 Stück für Stück verbessert habe und die Bevölkerung stetig mehr Freiheiten bekommen habe. Ihre Generation sei deshalb viel unabhängiger und liberaler, als die Ihrer Eltern und könne sich viel besser selbst verwirklichen, erklärt Sofia. Außerdem leben sie ihrer Meinung nach, im Vergleich zu den deutschen Jugendlichen etwas mehr in ihrer eigenen Welt. Ihre Generation würde sich nicht so sehr dafür interessieren, was im Rest der Welt passiert. Ihre “Welt” sei eben mehr Spanien und damit seien sie glücklich. Auf die Frage, welche Ziele Sie für die kommenden Jahre hat, antwortet sie: “Simplemente ser feliz – de qualquier manera.” Einfach glücklich sein – egal wie.

Bleibt nur die Frage, warum die jungen Nachbarn, die Portugiesen so unzufrieden sind. Eine Portion spanischer Optimismus würde sowohl der deutschen als auch der portugiesischen Jugend gut tun. Schließlich hat die deutsche Jugend am wenigsten Grund , pessimistisch in die Zukunft zu blicken. Deutschland ist als erstes europäisches Land auf dem Weg aus der Wirtschaftskrise, während Portugal und Spanien noch mit der öffentlichen Verschuldung zu kämpfen haben. “Ihr Europäer bekommt doch eh alles geschenkt”, sagt der Brasilianer Edwin, der die ganze Zeit über geschwiegen und Gitarre gespielt hat. Er würde gerne in Portugal seinen Master machen. Für dieses Jahr ist dieser Traum erst einmal geplatzt. Er bekommt die Studiengebühren nicht zusammen.

Verallgemeinern und auf alle Jugendliche übertragen lässt sich sicherlich keine Studie, dennoch gibt es Einstellungen, Haltungen und Lebensweisen, die sich in verschiedenen Ländern unterschiedlich ausprägen. Gerade das macht ja auch den Austausch mit anderen jungen Menschen auf der ganzen Welt so interessant und spannend.

(Text: Eva-Maria Steger)

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