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Eine Postkarte aus Bali oder ein Brief aus der Klinik?

Wir alle wüssten gerne, was sich hinter Nachbars Tür abspielt. Allerdings pflegen wohl die wenigsten Leute einen so guten Umgang mit ihnen, dass man hinter dem freundlichen “Hallo” zwischen Glasbausteinwand und Treppengeländer dem tatsächlichen Menschen nahekommt.
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Ungewolltes Post-Sharing
Um den tatsächlichen Lebensumständen von nebenan näher zu kommen, ist ein verirrter, oder sogar eigenhändig aus dem Ursprungsbriefkasten entwendeter Brief von Meier-Müller-Schulz eine willkommene Gelegenheit – und vor allem ein Nervenkitzel! Was ist da wohl drinnen? Mach ich den jetzt echt auf trotz Briefgeheimnis? Halte ich den Klebestreifen über dampfendes Wasser, um keine Spuren zu hinterlassen?

PostkartenErste Anregungen, was bei solchen Aktionen zum Vorschein kommen kann, gibt es in verschiedenen Onlineforen. Dort wird ausführlichst über das Thema der neugierigen Nachbarn diskutiert. Man liest beispielsweise von Einschreiben, die vom Nachbarn angenommen und gleich mal geöffnet wurden – ist ja auch spannend so ein Brief mit Klinik-Logo.

Man kann sich nicht an der eigenen Fantasie ergötzen, ob nun nebenan bald frei wird, weil der Krebs bereits im Endstadium ist oder, ob es die Nachsorgeuntersuchungsergebnisse einer Organtransplantation sind. Und schon wird aus dem ach so netten Nachbarn mit den Eigenschaften „korrekte Mülltrennung“ und „absolute Einhaltung der Hausordnung“ (inklusive Erinnerung aller anderen daran) ein Täter mit erhobenem Brieföffner!

Ein Postopfer berichtet im Internet sogar davon, dass er und seine Frau eine künstliche Befruchtung vornehmen lassen wollen und bei Abholung der Post nebenan vielleicht schon heiß diskutiert wurde, wer das denn wohl bezahlt und ob das ethisch überhaupt vertretbar sei.

Wer’s findet darf’s behalten!?
Scheinbar stecken zudem des Öfteren Briefe im falschen Kasten und sind auf diesem Weg der Fähigkeit zur Bekämpfung des hartnäckigen Neugierde-Monsters in jedem von uns überlassen. Es ist ja auch spannend! Ein bisschen wie ein Ü-Ei ohne Schokolade, aber mit sicher weiter reichenden Konsequenzen als ein paar Kalorien mehr.

Denn das Postgeheimnis ist nicht dadurch aufgehoben, dass der Brief im falschen Kasten liegt oder der Empfänger falsch geschrieben oder sogar verzogen ist. Tatsächlich kann man gegen den unautorisierten Öffner Strafanzeige stellen, die bei Verhandlung sogar zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr führen kann.

Straffreie Alternative
Wem der eigene Briefkasten aber immer noch zu langweilig ist, dem wird zum Beispiel auf postcrossing.com geholfen. Dort kann man sich anmelden und Postkarten in die ganze Welt verschicken und anderen den täglichen Gang zum Briefkasten deutlich versüßen.
Zudem erhält man dann selbst ebenfalls Postkarten, manchmal sogar von Ländern, von deren Existenz man überhaupt nichts wusste. Auf den Karten finden sich dann meist Informationen über Sehenswürdigkeiten, den Absender oder auch über Traditionen des Landes wie zum Beispiel Hochzeitsrituale.

Es besteht außerdem die Möglichkeit, auf dem eigenen Profil Wünsche anzugeben, was für Karten man bevorzugt oder auch, worüber man gern etwas erfahren möchte. Eine tolle Idee von Paulo Magalhães, der so schon über 21 Millionen Mal legal Freude in die Briefkästen dieser Welt verteilt hat.

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Über den Drang, sich in die Tiefen anderer Facebookprofile zu stürzen
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(Text & Foto: Julia-Friederike Barbier)

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