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Eine folgenschwere Entscheidung?

Wenn am 7. Februar die Welt nach Sotschi schaut, soll alles perfekt sein. Die Olympischen Spiele sind das Vorzeigeprojekt des Kremls – und damit Chefsache. Doch kurz vor Beginn der Spiele zeichnet sich ab: Mit der Wahl Sotschis als Austragungsort haben sich Russland und das Internationale Olympische Komitee keinen Gefallen getan. Immer deutlicher wird die Kritik an der Umweltzerstörung und der prekären Sicherheitslage.
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Winterspiele unter Palmen
Wenn man an Winterspiele denkt, dann denkt man nicht an Palmen. Man denkt an verschneite Skipisten und klirrende Kälte. Palmen haben in dieser Vorstellung nichts zu suchen. Eigentlich. Denn in Sotschi stellt sich die Lage etwas anders dar. Dort gibt es nämlich relativ viele Palmen. Sie sind, neben kilometerlangen Sandstränden und mediterranem Klima, der Grund, wieso die Schwarzmeerriviera das liebste Urlaubsziel der Russen ist. Ende Januar hat es hier 15 Grad. Plus.

Ökologischer Unsinn?
Die Spiele in Sotschi werden als die ersten Winterspiele in einer subtropischen Stadt in die Geschichte eingehen. Zwar werden die Ski- und Rodelwettbewerbe in der Bergregion um Krasnaja Poljana ausgetragen. Das Dorf liegt etwa 50 Kilometer nordöstlich von Sotschi und gilt mit 600 Metern Höhe als schneesicher.

Doch die Eishallen für die restlichen Wettbewerbe befinden sich direkt am Schwarzen Meer. Seit der Bekanntgabe des Austragungsortes kritisieren Umweltschützer die Wahl als ökologischen Unsinn. Sie hatten schon bei der Bewerbung Sotschis darauf hingewiesen, dass die Folgen für die Natur nicht abschätzbar seien und forderten eine umweltverträgliche Vorgehensweise bei den Bauarbeiten.

Auswirkungen auf Natur und Menschen
Doch die Mahnungen der Umweltschützer verhallten ungehört. Für den Bau der Sportstätten wurden bisher unberührte Gebirgsregionen geopfert, viele davon waren vorher als Nationalparks ausgewiesen. Beim Bau der Bahnverbindung zum Olympiapark in den Bergen wurden seltene Baumbestände abgeholzt und empfindliche Ökosysteme auf Jahre verschmutzt.Foto: Lucia Baur / jugendfotos.de

Die meisten Anlagen bekamen erst nach Baubeginn eine Umweltbegutachtung. Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen Baufirmen tonnenweise ihren Schutt illegal an Berghängen abladen. Als Folge wächst die Gefahr von Erdrutschen. Viele Menschen mussten bereits umgesiedelt werden, abrutschendes Geröll hatte ihre Häuser unbewohnbar gemacht.

Terrorismus – die unterschätzte Gefahr?
Neben den folgenschweren Konsequenzen für die Umwelt ist in den letzten Wochen noch eine andere Unwägbarkeit in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt, die die Wahl Sotschis als Austragungsort infrage stellt: die geografische Nähe zur politischen Unruheregion des Nordkaukasus. Zwei Anschläge erschütterten die Stadt Wolgograd in den letzten Wochen, die Terrorgefahr für die Winterspiele steigt.

Der Zusammenhang ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, Sotschi ist immerhin über 900 Kilometer von Wolgograd entfernt. Doch ein Blick auf die Landkarte zeigt: Im flächenmäßig größten Staat der Erde ist diese Entfernung ein Katzensprung. Sotschi gehört geografisch wie kulturell zur Region des Nordkaukasus und hat damit den Terror praktisch vor der Haustür.

Regionaler Konflikt mit langer Geschichte
Die Geschichte des regionalen Konflikts mit Russland ist mehr als 200 Jahre alt. War es im letzten Jahrhundert noch das Ziel der Bevölkerung, der russischen Expansionspolitik entgegenzutreten, ist die Stimmung in der ethnisch äußerst heterogenen Region heute stark von religiösen Strömungen beeinflusst.

Die Rebellen kämpfen für die Errichtung eines islamischen Kaukasusemirats und werfen Putin eine „blutige Besatzungspolitik“ vor. Sie verfolgen eine Guerillataktik und verüben fast täglich Anschläge auf russische Sicherheitskräfte. Unter den Scharmützeln zwischen Islamisten und staatlichen russischen Einheiten leidet allem die Zivilbevölkerung. Aber auch größere Anschläge sind keine Seltenheit: Die Geiselnahmen im Moskauer Dubrowka-Theater im Jahr 2002 und in einer Schule in Beslan 2004 mit mehreren hundert Toten zeugen davon.

Olympia als Provokation
Die Spiele in Sotschi sind für die Rebellen eine klare Provokation, ein für sie unerträgliches Symbol der russischen Herrschaft im Nordkaukasus. Sie wollen gewaltsam gegen diese Vormachtstellung vorgehen und haben im Vorfeld der Spiele mehrfach mit Anschlägen gedroht. Russland hat seine ohnehin schon strengen Sicherheitsvorkehrungen in der Region noch einmal verschärft. Mittlerweile bieten sogar die USA militärische Hilfe bei der Terrorabwehr an. Die Lage ist ernst, doch die Organisatoren der Winterspiele sprechen von „lückenlosen“ Sicherheitsvorkehrungen.

Prekäre Sicherheitslage
Auch das Nachbarland Georgien kann keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen bereitstellen – die abtrünnige Region Abchasien, deren Status völkerrechtlich umstritten ist und in der die georgische Regierung faktisch keinen Einfluss hat, beginnt gerade einmal 25 Kilometer südöstlich von Sotschi. Präsident Putin verspricht, die Spiele auch von dort aus ausreichend zu schützen – doch die prekäre Sicherheitslage ist seit Jahren bekannt.

Sotschi bekam bei der Bewerbung für Olympia nur den Zuschlag, weil Putin zuvor garantiert hatte, dass von den kriegerischen Auseinandersetzungen im Nordkaukasus keine Gefahr für die Spiele ausginge. Die Anschläge der letzten Wochen haben diese Behauptung nachdrucksvoll widerlegt.

Eine schlechte Wahl?
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung für Sotschi als Austragungsort kaum nachvollziehbar. Die Olympische Spielen in Sotschi weisen bereits eine negative Bilanz auf, bevor sie überhaupt begonnen haben: Die Folgen für die Umwelt und die Bewohner der Region sind schwerwiegend, gleichzeitig ist die Terrorgefahr allgegenwärtig.

Es bleibt zu hoffen, dass die Winterspiele friedlich über die Bühne gehen, doch ob die Sicherheit der Sportler und Besucher gewährleistet werden kann, wird sich erst in den nächsten Tagen zeigen. Putin und das Internationale Olympische Komitee müssen sich bis dahin zumindest die Frage gefallen lassen, ob ein anderer Austragungsort nicht die bessere Wahl gewesen wäre.

(Text: Anja Menzel, Foto: Lucia Baur / jugendfotos.de)

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