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Ein schönes Leben noch…

Letzte Woche war der Abiball. So langsam ist der Rausch ausgeschlafen und man fragt sich, was jetzt passiert. Abiturientin Miriam Gräf ist auf der Suche nach sich selbst – irgendwo zwischen Freiheit und Unklarheit.

AbiturSchnell versuche ich noch Fussel von meinem schwarzen Kleid ab zu fummeln. Auf hohen Schuhen und mit hochgesteckten Haaren gehe ich vom Auto über die Bushaltestellen und den Schulhof in die Aula. Auf dem Weg dahin schauen mich die Kinder, die gerade auf dem Weg nach Hause sind, komisch an. Ja, klar, so schick geht man ja nicht alle Tage in die Schule.

Es ist die akademische Feier. Ich erinnere mich noch gut an die Jahre, als ich als Unterstufenschüler mit meinen Freunden auf den Treppen vor der Schule saß. Man bekam früher Schul-Aus, wenn die „Großen” ihre Zeugnisse bekamen. Damals schon beneidete ich immer die Mädchen in den Kleidern und die anzugtragenden Jungs, denn sie hatten es geschafft. Sie sind dreizehn Jahre zur Schule gegangen, die sie mit ihrer Abschlussfeier krönten.

Meine Abschlussfeier
Ich fand es ziemlich merkwürdig in die Schule zu gehen; zu meiner akademischen Abschlussfeier. Sehr komisch sogar. Ich musste an die Zeit von früher denken und irgendwie begriff ich es gar nicht, dass es das jetzt einfach war. In den letzten Wochen ging es so schnell. Erst die Prüfungen, dann die wenigen Unterrichtstage, an denen man sich selbst schon nicht mehr als Schüler fühlte, dann die Mottowoche, das Unterrichtsende, die mündliche Prüfung, die ich so ziemlich in den Sand gesetzt habe. Und gerade einmal drei Tage nach den mündlichen Prüfungen schon die Abschlussfeier und der Abiball.

Dann saß ich da, neben meinen Brüdern und meinen Eltern. Vorne sprach die Schulleiterin, der Landrat, der Förderverein, der Oberstufenleiter. Geredet wurde über uns, der sehr spezielle Jahrgang, über das Erreichen des Abiturs, dass uns nun alle Türen offen stehen, über Freiheit, Träume und Wünsche. Es wurden Preise verliehen für die Jahrgangsbesten, für den engagiertesten im Jahrgang und den Schulpreis für besonders couragiertes und demokratisches Handeln. Eine Schülerin sang „Time to say goodbye” und wir bekamen endlich das Zeugnis überreicht. Ich hab das alles über mich ergehen lassen, ohne wirklich wahrzunehmen, zu verstehen, was das nun bedeutet.

Dafür hatte ich auch keine Zeit an diesem Tag. Nach einem kurzen Sektempfang und vielen Glückwünschen ging es schnell zum Friseur und direkt weiter zum Abiball. Ich dachte vorher, es würde ein trauriger Tag werden, wehmütig würde ich begreifen, dass die meist unbeschwerte Schulzeit nun vorbei ist, dass man die meisten nicht mehr wieder sieht, dass jetzt ein Leben beginnt, dass ungewisser nicht sein könnte. Doch, eigentlich war es ein sehr schöner Tag.

Erst der sehr formelle und offizielle Teil in der Schule, dann der glamouröse Abiball, den wir selbst gestaltet hatten. Eins fiel mir da schon auf: Dass Abitur ist ein sehr festlicher Akt. Irgendwie wird so getan, als ob es etwas ganz Besonderes sei, diesen Schulabschluss zu bestehen. So habe ich selbst das nie wahrgenommen. Es war eine Selbstverständlichkeit.

Nach dem offiziellen Teil des Balls, feierten wir noch bis in die Morgenstunden. Zum Glück habe ich an diesem Abend nicht wahrgenommen, dass das, der Abiball, nun die aller letzte Einheit meiner Schulkarriere sein wird, sonst hätte ich noch los geheult. Aber alles war so leger, locker, anders. Zum einen hatten wir den Ball selbst organisiert, was bedeutet, dass es keine einschläfernde Reden gab, sondern Gedichte über den Deutschkurs, Kurvendiskussion anhand des Mathekurses, eine Lehrer-Entführung und eine Lehrerausgabe des Herzblatts, das Programm war lustig, knapp, spannend, jugendlich eben.

Zum anderen begegnete man den einstigen Lehrern nun nicht mehr als Schüler, sondern als Mensch. Man trank mit ihnen ein Bier und durfte plötzlich „Du” sagen. Schon irgendwie seltsam. Man sprach über die vergangene Schulzeit, aber auch über das kommende, die Zukunftspläne, die Lehrer wünschten einem ein schönes Leben. Alle waren so glücklich. Wir haben es jetzt einfach geschafft, nun kann man endlich das machen, was man will. Alle haben Pläne, sind so euphorisch, alle haben Ziele, Wünsche und Träume. Alle denken, jetzt beginnt das Leben!

Erst Tage später begreife ich, dass es nun vorbei ist. Da kommt nichts mehr. Und plötzlich stehe ich da, als Abiturientin, ohne Schule, ohne Lehrer, ohne Verpflichtungen. Vollkommen frei – oder? Ich stehe da als Mensch, der nicht weiß wohin.

(Text: Miriam Gräf / Foto: Givany Hecht by jugendfotos.de)

Miriam G.

Wenn Miriam nicht gerade durch Russland reist, dann schreibt sie darüber. Ansonsten erzählt sie noch gerne von der großen Liebe oder schreibt Hassreden gegen Schokonikoläuse. Miriam ist freie Journalistin für verschiedene Online Medien, darunter generationanders.com und to4ka-treff. Seit 2013 ist sie Mentee im Mentorenprogramm der Jugenpresse und Jungejournalisten.de

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