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Ein kleiner Zettel und das große Besinnen

Als klar wird, dass seine Ehefrau eine Nierentransplantation benötigt, war Frank-Walter Steinmeier sofort klar: Er wird ihr helfen. Während im Moment etwa 12 000 Menschen in Deutschland auf eine rettende Organspende bis zu acht Jahren warten, spendete der ehemalige Vizekanzler ein eigenes Organ für seine Partnerin. Die Operation glückte und setzte womöglich eine Änderung im Transplantationsgesetz in Gang.


Diese Organspende des Sozialdemokraten fand nicht nur in den Medien Gehör. Es entwickelte sich eine öffentliche Diskussion, die viel mehr beinhaltet, als nur das (Nicht-)Ausfüllen eines kleinen Stück Papiers, was danach im Portmonee verstaut wird. Zwar sind nun diese neuen Pläne für eine Gesetzesänderung dabei, umgesetzt zu werden. Doch reicht das wirklich aus?

Wir alle werden irgendwann einmal sterben. Doch die wenigsten denken, zumindest ab und zu, daran oder machen sich tiefgründige Gedanken darüber. Während in der Werbung zu Haufe Anti-Aging-Creme angepriesen wird und im Nachbarviertel wieder ein Fitness-Studio aufmacht, sterben Tag für Tag Menschen, viele im Krankenhaus oder, wenn schon älter, auch mal im Seniorenheim. Der Tod ist nicht mehr um uns. Unsere Gesellschaft hat das Siechtum ausgeblendet, im Zeitalter von Genetik und Gesichtsstraffung gibt es das Ableben nicht mehr.

Friedhöfe werden von den jungen Leuten nur noch selten besucht – und wenn dann wirklich ein von uns geliebter und nahestehender Mensch stirbt, holt uns die Wahrheit ein: Plötzlich werden wir auch mit unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert. Unsere täglichen Probleme – egal, ob unser Chef in Wirklichkeit keine Ahnung hat oder der Kaffee schon wieder 50 Cent mehr kostet – erscheinen uns auf einmal so nebensächlich. Für einen kurzen Augenblick begreifen wir, wie kostbar das Leben ist. Doch schon beim Verlassen der Beerdigungszeremonie setzen wir diesen Gedanken ein Ende und ärgern uns, weil die U-Bahn fünf Minuten Verspätung hat. Der eigene Exitus, wieder wurde er verleugnet.

organspendeDas Mittragen eines ausgefüllten Organspendeausweises bedeutet aber eine direkte Auseinandersetzung mit dem eigenen Ende des Lebens. Mit ihm erkenne ich meinen eigenen Tod an, ich gestehe meine Menschlichkeit ein und werde, jedes Mal, wenn ich ihn in der Geldbörse anschaue, grausam daran erinnert, dass morgen alles vorbei sein kann – und wie viele Makel ich als Homo Sapiens eigentlich besitze. Doch niemand wird gerne daran erinnert. Ich möchte nicht im Verstand haben, dass der Nächste, der womöglich diesen Ausweis sieht, ein Arzt ist, der meinen Gehirntod feststellt.

Nur dann nämlich ist eine sinnvolle Organentnahme möglich – wenn das Herz noch schlägt und die gewünschten Organe weiterhin mit Blut versorgt. Deswegen werden Motorradfahrer so oft auf ihr Hobby in diesen Zusammenhang angesprochen. Diese verletzen sich am ehesten am Kopf.
Sollte also die EEG-Nulllinie eintreten, bestätigen zwei Ärzte unabhängig voneinander den Tod des nun ehemaligen Patienten. Die Sorge, dass man als Organspender vorzeitig von den Medizinern aufgegeben wird, ist alleine durch den Hippokratischen Eid, den diese Doktoren schwören, unbegründet. Auch die doppelte Bestätigung des Todes soll den Leuten die Angst vor dem Ausweis nehmen.

In der schwarz-gelben Regierungskoalition wird nun seit einiger Zeit eine neue Politik diesbezüglich diskutiert, um die Tabuisierung der Transplantation und dem damit verbundenen eigenen Tod zu umgehen. Einige Landesgesundheitsminister fordern eine einheitliche Änderung des Gesetzes, welches jedem zum Organspender machen soll, der nicht selbst widerspricht.
Doch kann ich die Menschen dazu verpflichten, sich mit dem Thema Organspende tatsächlich konkret auseinander zu setzen und bereits in frühen Lebensjahren zu einer Entscheidung zu zwingen? Fällt es durch diese scheinbare Willkür des Staates nicht leicht, an die Politik des Dritten Reiches zu denken – an die Experimente von Mengele? Steinmeier sorgte mit seiner Aktion für den öffentlichen Disput und eine Wahl aus drei Möglichkeiten:

Erstens: Es bleibt alles so, wie es ist.
Dies führte zu einem Koalitionsstreit – man könne die Bürger nicht zu einer Entscheidung für oder gegen die eigene Organentnahme zwingen, außerdem setze die Entscheidung für die Organspende Vertrauen in die Transplantationsmedizin voraus und sollte aus eigenem Antrieb heraus getroffen werden, so ein Positionspapier der FDP.
Zweitens: Jeder Bürger bekommt die Wahl zwischen Ja und Nein.
Diese Alternative wird vom SPDler Steinmeier präferiert, auch äußern sich in einer Umfrage der Techniker Krankenkasse 40 Prozent der Befragten dafür. Die gewählte Entscheidung würde dann auf Krankenkassen-Chipkarte, Führerschein oder Personalausweis festgehalten.
Drittens: Die Union orientiert sich am bestehenden System von Frankreich oder Österreich.
Nur wenn der potentielle Spender zu Lebzeiten seinen Unmut zur Organspende geäußert hat, steht sein Körper zur Entnahme nicht zur Verfügung. Übrigens sollte man dies als deutscher Urlauber beachten – erleide ich in den besagten Nachbarländern den Hirntod, bin ich ohne schriftliche Ablehnungsbekundung Kandidat, um bis zu acht Kranken ein Leben in neuer Qualität zu ermöglichen.

Angesichts der Tatsache, dass jeden Tag drei Patienten während der Wartezeit ihrer Organ-Insuffizienz erliegen, erscheint natürlich Variante drei naheliegend. Doch, da wir – wie erwähnt – jeden Tag unsere eigene Unsterblichkeit zelebrieren, nicht über den Gedanken einer eigenen Organspende nachdenken, haben die Bürger weder die Gelegenheit, ihre Ablehnung dazu zu äußern – noch ihre Zustimmung darzulegen. Im Falle des Todes bleiben nun die Angehörigen verunsichert zurück, ohne wirklich zu wissen, was der Verblichene gewollt hätte.

Nur ein Viertel aller Deutschen hat heute einen Organspendeausweis. Das heißt nicht, dass die anderen drei Viertel der Transplantation ablehnend gegenüber stehen. In der Umfrage der Techniker Krankenkasse wurde auch deutlich, wie viele bereit waren, sich so einen Ausweis zuzulegen, vollkommen unwissend über die bestehenden Möglichkeiten. Da reicht es nicht aus, dass Prominente wie Eva Padberg, Gregor Gysi, Sophia Thomalla oder die Band Silbermond einen Ausweis haben und damit Reklame betreiben.

Es muss ein Wandel durch die Gesellschaft gehen, in der die Großstadtanonymität und Hektik zurückgesteckt werden – und wir wieder erkennen, dass auch unser Dasein befristet ist, egal, ob wir dann am Ende auf einem Organspendeausweis ein JA oder ein NEIN ankreuzen.

Weitere Informationen unter organspende-info.de

(Text: Eric Elert / Foto: organspende-info.de)

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