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Digital und dann?

Was bleibt, wenn wir einmal nicht mehr sind? 98 Jahre, fast ein ganzes Jahrhundert, das ganze Leben meines Großvaters liegt auf dem Tisch. Zwischen den verschiedenen Büchern und Heften sticht sein Tablett hervor. In seinen letzten Jahren entdeckte er damit noch eine völlig neue Welt. Nun ist er nicht mehr, doch was bleibt? Alles ist vergänglich doch das Internet vergisst nie. Ein Besuch der Digina 2017, der Messe zum digitalen Leben und Tod.[divide]

Digina 2017

Was bleibt vom digitalen Leben?

„Aber wir reden über alles, die sexuelle Revolution, aber Tod ist nach wie vor ein Tabuthema“, bedauert Oliver Wirthmann, Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur e.V. Trotz immer größerer Nutzerzahlen, haben über 80% noch keine Vorsorge getroffen, was einmal mit ihren Daten geschehen soll, wenn sie einmal nicht mehr sind. Die Digina 2017 beschäftigte sich mit dem Thema digitales Leben, digitaler Nachlass und digitales Nachleben.

Heute sind bereits 9 von 10 Deutschen regelmäßig im Internet. Folgt man den Ergebnissen der ARD/ZDF-Onlinestudie so verbringt jeder User im Schnitt 149 Minuten im Netz, User zwischen 14 und 29 Jahren sogar 274 Minuten. Kurzum, immer mehr Momente unseres Lebens finden online statt. Das Leben wird immer digitaler, hinterlässt Spuren. Laut einer Schätzung von einer IBM Watson generiert jeder Mensch im Laufe seines Lebens eine Million Gigabyte, etwa 300 Millionen Bücher, Daten im Laufe seines Lebens. Dies war der Auslöser für den Blog Digital Danach. Hier bloggen die beiden Münchner Buchwissenschaftler und Soziologen Dennis Schmolke und Sabine Landes regelmäßig zu Fragen rund um den digitalen Nachlass.

Es lebe der Digitalfriedhof!

„119 Fragen sind es im Schnitt, die ein Bestatter braucht um eine Bestattung zu organisieren“, erklärt der evangelische Pfarrer Dr. Rainer Liebold. Jedoch habe sich diese Branche seit 1980 sehr verändert. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Bestatter nahezu verdoppelt. Der wichtigste Grund für eine Kirchenmitgliedschaft sei heute vor allem der Wunsch nach einer kirchlichen Beerdigung wie, er weiter erläutert. Dabei wisse insbesondere ein Pfarrer viel über die Wünsche und Erwartungen von Angehörigen. Hier sieht er wie in vielen anderen Bereichen auch einen Trend zu Individualisierung; – „der letzte Gang wird immer selbstbestimmter.“ Jedoch machen Bestatter den Geistlichen zunehmend Konkurrenz und bieten spezielle Angebote, die etwa freie Redner beinhalten oder solche mit christlichen Touch.

Während der Körper immer virtueller wird, so wird die Seele immer visueller. Dies zeigt das Beispiel des Online Friedhofs Soulium- Straße der Besten. Jeder Nutzer hat die Möglichkeit ein eigens Grab für Verstorbene anzulegen, dieses mit persönlichen Bildern, Lieblingsmusik zu gestalten. Besucher haben die Möglichkeit eine Nachricht im Kondolenzbuch zu hinterlassen. Diese Angebote finanzieren sich vor allem über Werbung, was der Theologe bedauert. “Erinnerung und Trauer werden immer ein Bedürfnis bleiben“, unterstreicht er. Liebold betreibt die Website vernetzte Kirche, mit dem Ziel das seelsorgerische Angebot der Kirchen zu erweitern, eine religiöse Antwort auf die Digitalisierung zu geben. Langfristig möchte Liebold mit seinem Team einen digitalen Friedhof etablieren, der eine individuelle Gestaltung der Grabstätte nach eigenem Geschmack ermöglicht, aber auch ergänzend seelsorgerische Angebote für Angehörige anbietet, digitales und religiöses miteinander verbindet.

Digina 2017

Erzähl mir die Geschichte vom Tod!

„Wenn ich mein Handy weglege, wer bin ich dann“, fragt der Journalist und Autor Richard Gutjahr. Bereits heute ist einer von 300 Facebook Nutzern tot. 2098 wird deren Zahl die Zahl der Lebenden übersteigen. „Jeder Facebook User hat mindestens einen Facebook Freund, der bereits nicht mehr lebt, ohne dass wir davon wissen“, erläutert die Unternehmerin Agnieszka Walorska. Was aber soll man vererben, was bleibt, wenn die Facebook Freunde nicht mehr sind? Dieses Handy verbindet nicht nur Menschen, sondern auch Leben und Tod miteinander. Die Krankenschwester Daniela Caruso beschäftigte der letzte Anruf auf dem Handy ihrer Tochter vor deren Tod. Ein Umstand, der sie lange umtrieb, da sich das Handy nicht entsperren ließ.

Aufmerksam wurde Gutjahr vor allem nach den Anschlägen von Nizza und München. Als Augenzeuge vor Ort in Nizza wurde Gutjahr plötzlich bewusst, dass er keinen Überblick über sein digitales Leben und potenzielles Erbe habe, ein Zeitpunkt zu handeln. „Dieses Problem ist zwar erkannt, aber nur unzureichend rechtlich bisher geregelt“; gibt die Anwältin Christiane Warnke zu bedenken. Zwar regelt Paragraph 1922 des BGB die Ansprüche des Erben, dies schließe aber nur physisches ein, wie etwa Endgeräte. An dieser Stelle konkurriert das Erbrecht mit dem Persönlichkeitsrecht, dem Telekommunikationsrecht, Datenschutz.

Was gibt es zu erben?

Aber was gilt es zu vererben, wenn Google, Facebook und Co mehr über unsere Familie wüssten, als wir selbst, gibt Gutjahr zu bedenken. Entscheidend sei es daher vor allem sich zunächst einen Überblick über das eigene digitale Erbe zu verschaffen, wie Tatjana Halm von der Verbraucherzentrale Bayern zu bedenken gibt. „Festplatten statt Socken zu Weihnachten“, dies ist die Antwort des Journalisten Richard Gutjahr. Jedes Jahr schenkt er seiner Familie Festplatten auf denen sie und er selbst die Inhalte des Jahres abspeichern. Dies sei vor allem ein wichtiger Prozess sich selbst noch einmal das vergangene zu vergegenwärtigen. Wichtig sei dies vor allem, da das Persönlichkeitsrecht nicht vererbbar ist, es besteht kein Anspruch auf die Herausgabe von Daten durch Anbieter etwa von Sozialen Medien. Daher rät die Anwältin Halm einen „digitalen Nachlassverwalter“ zu bestimmen, der Zugang zu allen wichtigen Konten und Inhalte habe. Hierzu sei aber vorab ein Überblick durch den Erblasser essentiell.

„Das Persönlichkeitsrecht ist nicht vererbbar. Entweder man gestattet einen umfänglichen Zugriff auf alle digitalen Inhalte, oder man lässt bestimmte Inhalte schützen“, betont die Anwältin für Ehe und Familienrecht Christiane Warnke. Anders gefragt, wollen die Hinterbliebenen das ganze Leben wieder aufrollen? Die Krankenschwester Daniela Caruso hat sich bewusst dazu entschieden, nur die letzten drei Stunden vor und nach dem Tod ihrer Tochter auf dem Handy wieder herstellen zu lassen.

„Wenn das Handy weg ist, dann ist es weg, dazu habe ich keinen Bezug. Erinnerungen, wenn sie etwa auf Facebook auftauchen, belasten immer wieder. Aber nur ich habe diese persönlich erlebt“, beschreibt sie ihren Umgang mit dem digitalen Nachlass. Was wollen wir unseren Angehörigen hinterlassen ist wohl die wichtigste Frage. Der Journalist und Familienvater Richard Gutjahr hat hierauf eine einfache Antwort: „Alles was ich digital und analog als wertvoll betrachte. Das wertvollste was man aufbauen und vererben kann ist aber das Vertrauen. Dies kann kein Facebook oder Richter tun.“

Digina 2017

Was kommt nach dem Tod, wenn der Tod nicht mehr kommt?

Wohl kaum eine Frage hat die Menschheit mehr beschäftigt, als die Frage nach dem danach. Was kommt nach dem Tod? Aber moderne Kommunikationsformen lassen die Toten wieder auferstehen. Michael Jackson, der King of Pop, tanzte mit dem Tod einen Moonwalk auf den Billboard Music Awards 2014. Celine Dion (*1968) sang ein Duett mit dem King Elvis Presley (+1977) bei American Idol. „While I can dream, please let my dream come true”, so singen die beiden Künstler, die sich niemals persönlich begegnet sind. Memento mori, bedenke dass du sterblich bist, der Traum danach unsterblich zu werden hat die Menschheit immer fasziniert.

Ohne, dass wir es merken kommunizieren wir heute bereits mit künstlicher Intelligenz, etwa in Form von Chatbots. Der Journalist James Vlahos entwickelte den ersten Dadbot. Als dieser merkte, dass sein Vater nicht mehr lange zu leben hatte, setzte sich James mit ihm zusammen und ließ sich Geschichten aus seiner Jugend erzählen. Entstanden sind etwa 203 Seiten, welche nun nach dem Ableben des Vaters diesen auch weiterhin in digitaler Form am Familienleben teilhaben lassen. Derzeit laufen bereits erste Anläufe von Griefbots, welche die Stimmen von Verstorbenen konservieren sollen, sodass sie auch weiterhin mit uns sprechen können.

Einen Schritt weiter gehen Projekte wie die Vorstellung eines Brainternet. Auf diese Weise sollen die Gehirne aller Menschen mit dem Internet verbunden werden, eine Art übergeordnete Intelligenz geschaffen werden, was der Futurist Ray Kurzweil als „Singularity“ bezeichnet. Aber vielleicht braucht es nicht mal mehr das Gehirn in Zukunft. Visionen wie die Vorstellung eines „Mind Upload“ beschäftigen sich mit der Idee, das menschliche Gehirn einzuscannen, Zelle für Zelle in einen Rechner zu übertragen um dieses dann in eine virtuelle Welt zu laden. Projekte wie LifeNaut versuchen bereits unsere biologischen Grenzen zu überschreiten. Auf Basis von Fotos, Audios, Videos und ähnlichen sollen digitale Avatare, Abbilder entstehen. Ob auf diese Weise unser Verstand und Leben unbegrenzt oder wir hirnlos werden, diese Frage bleibt jedem einzelnen selbst zu beantworten.

Leben wir für das Leben!

Die Digina 2017 betrachtete die Themen digitales Leben, digitaler Nachlass und digitales Nachleben aus technischen, juristischen, philosophischen aber auch persönlichen Blickwinkeln. Die Grundfrage bleibt, was bleibt, wenn wir nicht mehr oder unsterblich sind? Der Transhumanismus vertritt die Auffassung die nächste Evolution sei keine biologische, sondern eine technologische, an deren Ende wir den Tod überwinden, vielleicht ewig leben könnten. Jedoch ist die Frage, wenn wir ewig leben, wofür leben wir dann noch?

Am Ende des Tages bleibt festzustellen, wie der Tod zum Leben gehört, so gehört der digitale Tod zum digitalen Leben. Es gibt viele Angebote auf dem Markt, wie sich zeigte. „80% derer die heute in ein Reisebüro gehen, wissen nicht wohin sie eigentlich reisen wollen. Ähnlich ist es bei einem Bestatter oder Anbieter für digitalen Nachlass. Ein guter Anbieter ist jemand, der ein individuelles Angebot für jeden einzelnen macht“, betont Oliver Wirthmann vom Dachverband der deutschen Bestatter. Dabei lehrt die Geschichte vom Boanlkramer, dem bayerischen Sensenmann, dass der Tod nicht etwas schreckliches ist. Viel eher lädt der Boanlkramer freundlich ein, ihn zu begleiten auf zu einer Reise ins Jenseits.

Es zeigt sich, der Tod gehört zum Leben, wie das Leben zum Tod. Dabei gibt es keine juristische Definition, wann ein Mensch tot ist. Tot ist nur wer vergessen wird. In diesem Sinne bleibt zu sagen: „Ruhe in den Frieden, denn egal ob analog, digital oder emotional, wir bleiben verbunden“. Es ist erst der Tod, der das Leben lebenswert macht.

Stephan R.

Stephan interessiert sich für Warum und die Welt: Seit 2014 gehe ich für backview.eu scheinbar alltäglichen Dingen auf den Grund, betrachte warum manches so ist wie es ist. Wenn ich nicht gerade an einer neuen Idee für einen Artikel sitze, beschäftige ich mich gerne mit Fotographie oder Fremdsprachen oder widme mich meinen Politikstudium.

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