Die Querulanten
Wenn FuĂballprofis sich dem kommerziellen System widersetzen
Am 4. Spieltag der zweiten Bundesliga war es Kevin Pannewitz, der sein Team Hansa Rostock mit einem Tor nicht vor der 1:3-Niederlage gegen Ingolstadt bewahren konnte. Pannewitz traf zum zwischenzeitlichen 1:1 – eigentlich eine triviale Randgeschichte.
Pannewitz – Karriereende wegen Alkoholeskapaden?
Was jedoch zu erwĂ€hnen bleibt: UrsprĂŒnglich war Kevin Pannewitz vor Saisonbeginn schon lĂ€ngst abgeschrieben gewesen bei seiner Hansa. Sein unprofessioneller Lebensstil lieĂ die Aktien des 20-JĂ€hrigen rapide sinken. Alkoholeskapaden und durchzechte DiskonĂ€chte schreckten sogar Werder Bremen ab. Die Hanseaten standen kurz vor der Verpflichtung des hoffnungsvollen Talentes.
Dann aber wurde Pannewitz Ende 2010 zum ersten Mal suspendiert, er war alkoholisiert beim Training erschienen. Kurz darauf verlor er seinen FĂŒhrerschein, im Juli dieses Jahres dann die wiederholte Suspendierung. Werder Bremen verlor das Interesse am Trunkenbold, auch in Rostock schĂŒttelt man den Kopf ĂŒber den ausufernden Lebensstil.
Paul Gascoigne mit Kultcharakter
Pannewitz geht mit 20 Lenzen jenen Interessen nach, die viele seiner Altersgruppe umtreiben. Frauen, Alkohol und PartynĂ€chte, dazu fettiges Essen – das passt nicht zum strukturierten, erfolgsorientierten Bundesligasystem. Pannewitz windet sich aus dem Bundesligaalltag, er riskiert damit aber auch seine Karriere, denn Partys und Eskapaden passen nur wenig zum öffentlichen Bild.
WĂ€hrend Paul Gascoigne noch Kultcharakter hatte, weil auch er extravagant und Querulant galt, ist das FuĂballgeschĂ€ft insgesamt weichgespĂŒlter und darĂŒberhinaus strukturierter und durchdrungener. Keine Emotion auf der Trainerbank bleibt ungeahndet, FuĂballer bandeln mit dem Boulevard und Unternehmen an.
Poves – der spanische Revoluzzer
Auch Javi Poves machte sich in der jĂŒngsten Vergangenheit einen Namen als AuĂenseiter, als Querulant im KommerzfuĂball. Poves beendete seine junge Karriere bei Sporting Gijon, weil er den ĂŒberbordenen Kommerz im FuĂball nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Der 25-JĂ€hrige soll neben Karl Marx auch Adolf Hitlers âMein Kampf“ gelesen haben, die Bankenkrise und die ungerechte Globalisierung lieĂen ihn nicht nur an dieser Welt sondern vor allem am Mikrokosmos FuĂball zweifeln. Es wird eine heile Scheinwelt vorgegaukelt, die Poves so nicht weiter unterstĂŒtzen konnte. Ein Geschichtsstudium soll nun neue Wege und Erkenntnisse bringen.
Ein FuĂballer, der lieber die Geschichte dieser Welt studiert, als von mehreren Zehntausend Zuschauern bejubelt zu werden, das ist ein feines Kontrastprogramm zu sonstigen Geschehen. Es erinnert in AnsĂ€tzen an Thomas Broich, der nach der groĂen ErnĂŒchterung in Deutschland sein Seelenheil in Australien suchte und letztendlich auch fand.
Hochgejubelt und demontiert
Broich wurde branchenĂŒblich hochgejubelt, spielte diese Rolle als neues Jungtalent gerne mit und wurde spĂ€ter ebenso branchenĂŒblich demontiert. Bei den Brisbane Roar fand âMozart“ den idealen Fluchtort, sein Refugium bietet nicht nur Sonne und Palmen. Es bietet vor allem eine Ruhe, eine gröĂere Distanz und mehr Menschlichkeit.
Denn letztendlich ist es jene Menschlichkeit, die Kevin Pannewitz als 20-JĂ€hrigen in die Diskos in und um Rostock trieb. Sie wurde ihm jedoch bei jeder seiner Suspendierungen zum VerhĂ€ngnis. Der Querulant im Kommerzsystem steht auf der Kippe, wie sagte George Best, der gröĂte aller Hedonisten, so schön: âIch habe viel von meinem Geld fĂŒr Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben … den Rest habe ich einfach verprasst.“
(Text: Jerome Kirschbaum)
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