Menschen

Die Qual der Wahl

Auf die Frage nach den Zielen im Leben eines Mannes bekomme ich von vielen meiner Freunde eine identische Antwort: Ein Haus bauen, einen Sohn zeugen und einen Baum pflanzen. In jedem von uns schlummert klammheimlich das Bild der Familie, die glücklich vereint in einem Reihenhäuschen jeden Morgen gemeinsam am Frühstückstisch sitzt.
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Realistisch betrachtet, dürfte dieses Ideal einer Familie mit Haus und Garten bei einigen von uns allerdings leichte Risse haben. Gründe dafür gibt es viele, der triftigste könnte wohl das Streben nach der persönlichen oder beruflichen Entfaltung sein.

Jenseits von Richtig und Falsch
Meine Freundin Cora lebt seit zwei Jahren in einer Fernbeziehung. Nach tränenreichen Gesprächen hatte sich ihr Freund Marco dazu entschieden, weit weg von seiner großen Liebe seine beruflichen Träume zu verwirklichen.

Der Begriff „Fernbeziehung” sorgt bei vielen von uns für einen schmerzhaften Absturz von Wolke 7, so auch bei Cora. Somit lag die Entscheidung der beiden mit Sicherheit jenseits von Richtig und Falsch.

Betrachten wir die Entscheidung gegen die örtliche Nähe gleichzeitig als eine Entscheidung gegen die emotionale Nähe, dann ist die Fernbeziehung eher aussichtslos. Zugleich bleibt zu berücksichtigen, dass die örtliche Nähe durchaus auch den Verlust der emotionalen Nähe bedeuten kann. Man könnte sich daran gewöhnen, dass der/die Partner/in immer abrufbar ist. Wie es im Leben aber nun einmal so ist, hat alles seine Vor- und Nachteile, die jeder für sich selbst abwägen muss.

no risk – no fun
Ein Mann hat klare Ziele in seinem Leben: Ein Haus bauen, einen Sohn zeugen und einen Baum pflanzen. Früher oder später kommt jeder zu diesem Schluss, doch im 21. Jahrhundert wird dies immer weiter nach hinten in der Lebensplanung gerückt.

Dazu kommen Frauen, die eben nicht mehr Hausfrau sein wollen, sondern auch eine Karriere anstreben. Manch eine Dame kann sich noch nicht einmal mit 30 vorstellen, sesshaft zu werden, sich für einen Mann des Lebens zu entscheiden und Kinder zu bekommen.
Das war vor 50 Jahren noch ganz anders. Aber war es wirklich besser? No risk – no fun! Das ist meine Meinung. Ins geheim wollen wir doch alle irgendwann eine Familie gründen und einen festen sozialen Rückhalt haben. Doch es muss ja nicht gleich mit 20 so sein. Das wird schon noch werden!

Denn nur, wer flexibel ist und sind noch nicht komplett festgelegt hat, kann auch kurzfristig Chancen im Leben ergreifen. Dann kann man den neuen Job am anderen Ende der Republik oder die Stelle im Ausland annehmen – und muss dabei nicht mehr als die Wohnung und das Auto zurücklassen. Denn die guten Freunde bleiben einem auch in der Ferne.

Schwieriger ist es natürlich mit dem Partner. Aber bei den meisten kommt früher oder später der Zeitpunkt, an dem andere Prioritäten gelten. Nämlich genau der Konterpart: Der Zeitpunkt, an dem man sich niederlässt und endlich spießig wird. Die Zeit, zu der plötzlich andere Dinge in den Vordergrund rücken – nämlich das Zusammenleben mit dem Partner, die Familiengründung und der Bau des Eigenheims mit einem ordentlichen Gartenzaun.

Diese Entscheidung muss individuell und persönlich getroffen werden. Bei den meisten kommt aber früher oder später dieser Zeitpunkt. Und auch in einer Fernbeziehung kann man dem entgegen sehen. Und vielleicht schaffen es ja auch Cora und Marco. Denn der Gedanke an ein absehbares Ende der räumlichen Trennung hilft nämlich über so manch einsamen Moment hinweg.

(Text: Laura Gassner)

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