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Die Lüge der Politikverdrossenheit

In den vergangenen Jahren hat es sich in Deutschland immer mehr eingebürgert, dass in Zeiten des Wahlkampfes über die Politikverdrossenheit des Volkes diskutiert wird. Die Deutschen hätten kein Interesse an Politik, so die allgemeine Meinung – doch, wenn man genau hinschaut, sind die Politiker selbst schuld.

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Die Wahlbeteiligung wird wohl 2013 ein neues Rekordtief erreichen und Medien sowie Politiker kritisieren die Politikverdrossenheit der Bürger – doch Schuld hat nicht das Volk. Zwar wird gerne unser fehlendes Interesse am politischen Geschehen und an Entscheidungsprozessen reklamiert, aber das Problem ist ein ganz anderes.

Heute sind Spitzenpolitiker keine unantastbaren Führungsfiguren mehr. Sie stehen Tag und Nacht unter Beobachtung, müssen sich für jede Mimik und Gestik rechtfertigen und jeder noch so uninteressierte BILD-Leser freut sich darüber, wenn Angela Merkel etwas gegen die Gleichberechtigung von Homosexuellen sagt oder Peer Steinbrück Wein bei LIDL kauft.

bundestagDas zerbrochene Bild eines Idealpolitikers
Früher haben wir zu einem Bundeskanzler und zu wichtigen politischen Führungsfiguren noch ehrfürchtig hinauf gesehen. Es waren Menschen, vor denen wir Respekt hatten und, die wir nur im äußersten Notfall wagten zu kritisieren. Es verkörperte das Ideal eines Politikers, der im Fernsehen wichtige Staatsbesuche empfing, der wegweisende Entscheidungen durchsetzte, auch gegen Widerworte und, der uns in der Zeitung mit einem selbstsicheren Grinsen überzeugte.

Damals waren es noch Menschen, denen wir vertrauten, von denen wir dachten, sie würden das Land schon ordentlich führen. Zumindest geschickter und gewinnbringender, als wir es selbst je könnten. Heute, da wir jeden Fehltritt – egal ob politisch oder privat – dieser öffentlichen Personen nicht nur kennen, sondern auch noch eskalierend medial zerpflücken, ist dieses Spiegelbild einer unantastbaren Führungsfigur längst zerbrochen.

In den Trümmern am Boden sehen wir zwar nach wie vor die ein oder andere mächtige und rechtschaffende Scherbe. Allerdings eben auch die vielen abwertenden und diskreditierenden Bruchstücke eines öffentlichen politischen Geschehens.

Die schwammigen Politiker
Hinzu kommen die zunehmend verschwimmenden Inhalte der Spitzenpolitiker, die nicht mehr für ihre persönlichen Überzeugungen eintreten, sondern vielmehr für die Themen, die von der Allgemeinheit gewünscht werden. Früher traten Politiker mit einem Programm, einem klaren Ziel an, das sie unter allen Umständen durchsetzen wollten. Heute treten bringen sie schwache Thesenpapiere an, das eine möglichst breite Masse im Volk erreichen soll und diese werden am Ende doch nur zur Hälfte durchgesetzt.

Politik ist keine Spielwiese mehr von fixen Inhalten, für die Spitzenpolitiker und Parteien konsequent einstehen. Es ist viel mehr zu einer verzweifelten und ausnahmslosen Suche nach der durchaus wechselnden Mehrheit im Volk verkümmert.

Politikverdrossenheit kommt von oben
Schuld an der niedrigen Wahlbeteiligung ist deshalb nicht die Politikverdrossenheit der Deutschen. Ich würde sogar behaupten, dass wir so politisch interessiert sind, wie nie zuvor. Und genau das ist das Problem. Wir vertrauen eben nicht mehr nur einfach darauf, was in der Hauptstadt beschlossen wird.

Wir hinterfragen viel mehr, decken Missstände auf und wollen wissen, für was ein Abgeordneter im Bundestag steht, welche Nebeneinkünfte er hat, welche Interessen er wirklich vertritt. Und wir fragen uns, wie wir Politiker vertrauen können, ihnen unsere Stimme geben sollen, wenn diese doch sowieso für keine festen Überzeugungen mehr einstehen. Wir brauchen endlich wieder eine klare und strukturierte Politik. Für diese Bundestagswahl ist diese Forderung sicherlich nicht mehr umsetzbar. Vielleicht aber in der Zeit nach der Ära Merkel.

(Text und Foto: Konrad Welzel)

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Konrad W.

Konrad hat back view am 06. April 2007 gegründet - damals noch in diesem sozialen Netzwerk StudiVZ. Mittlerweile tobt sich Konrad ganz gerne im Bereich SEO aus.

2 Gedanken zu „Die Lüge der Politikverdrossenheit

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