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Die Leiden des jungen Erstsemesters

Was Bologna vom klassischen Studentenleben übrig ließ ist sowieso mickrig – die aktuellen Probleme stellen die Nerven der Studienanfänger schon vor Studienbeginn auf eine harte Probe. Wo bleibt die Freude aufs Studium? back view zeigt die Schwierigkeiten der Erstsemester anhand von drei Beispielen.


Hannah, 20, Medizinstudentin in Jena, der Münchner Student Sebastian und die Darmstädterin Teodora, sind drei der 500 000 Neu-Studenten in Deutschland. Für back view berichteten sie von ihren Erfahrungen vom Schulende bis zum Studienstart. Im Wintersemester 2011/2012 gibt es so viele Studienanfänger wie nie zu zuvor. Die Ingenieursstudiengänge verzeichnen hierbei mit Abstand den größten Zuwachs (110 000 Studenten). Sowohl im sprach- und kulturwissenschaftlichen Sektor, als auch in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, in der Mathematik und den Naturwissenschaften liegt ein Anstieg der Studierendenzahl zwischen 30 000 – 50 000 Studierenden vor, vergleicht man die Zahlen aus 2007 und 2010.

Doch nicht nur die Studierenden müssen sich mit „neuen” Problemen wie der Wohnungsknappheit, Studienfinanzierung und dem Ansturm auf die Universitäten und Fachhochschulen Deutschlands auseinandersetzen. Auch der Staat, die Länder und die Unis selbst müssen mit Platzmangel, Betreuungsproblemen, Hörsaalstau und Ähnlichem umgehen. Die geschätzten Mehrkosten durch die erhöhte Studierendenzahl belaufen sich auf 1,5 Milliarden Euro.

Gute Chancen durch Männerdomäne
Teodora, 20, entschied sich bewusst gegen den Bewerbermarathon und konnte sich gleich in ihren Wunsch-Studiengang an der Technischen Universität Darmstadt einschreiben. Ihr Studiengang „Elektro- und Informationstechnik” erleichterte es ihr auch, eine Wohnung zu finden, da die Frauenquote durch die technische Ausrichtung der Universität relativ gering ist, und man so natürlich leichter an WG-Zimmer kommt, für die Frauen gesucht werden.
Auf Immatrikulationsbescheinigung und Semesterticket wartet sie aber immer noch, obwohl ihr 200 Personen umfassender Vorkurs (davon 13 Frauen) schon lange begonnen hat und sie in Darmstadt bereits wohnt. So läuft sie jeden Tag munter in das Studentensekretariat, um nach dem aktuellen Bearbeitungsstand zu fragen und jeden Tag bekommt sie die gleiche Antwort: „Kommen Sie doch bitte morgen wieder”.

Teodora machte schnell Erfahrung mit Problemen bürokratischer Natur, bevor sie die Universität auch nur einmal von innen gesehen hatte. Als Privatversicherte benötigte sie die Bescheinigung einer gesetzlichen Krankenkasse für die Universität. Bis sie herausfand, dass sie doppelt versichert war und nur die Bescheinigung der gesetzlichen, nicht aber die der privaten Krankenkasse eingeschickt werden müsse, war der Abiturientin das erste graue Haar schon gewachsen. Kooperationsbereitschaft? Fehlanzeige.

Der Hürdenlauf von Hochschulstart.de
Hannah, 20, die vermeintlich perfekte Medizinstudentin ist eine der 44 000 jungen Menschen, die sich zum Wintersemester 2011/2012 für Medizin bewarben. Da allerdings nur 8750 Plätze zur Verfügung stehen, liegt die durchschnittliche Wartezeit auf einen Studienplatz bei sechs Jahren. Abiturnote 1,1, sehr gut gemeisterter Medizinertest, der die ohnehin schon traumhafte Abiturnote nochmals nach oben katapultiert, Wunschuni: Heidelberg.

Die Bewerbung für das Studienfach Medizin erfolgt über das Portal „Hochschulstart” und bei der betreffenden Universität selbst. Dabei erstellt man eine Art „Wunschranking” der Hochschulen, wo man gerne landen würde. Nach zwei Monaten erfuhr Hannah, dass sie im Vorauswahlverfahren sei und ab dem 1. September telefonierte sie sich von Warteschleife zu Warteschleife, um dann zu erfahren, dass sie nur auf der Warteliste sei und sich doch bitte bis zum 22. September gedulden möge, um zu erfahren, wo es für sie hinginge. Zu diesem Zeitpunkt sind natürlich alle anderen Zusagen der Universität längst verschickt und damit so gut wie alle Wohnungen bereits vergeben.

Die Wartezeit im Sommer verkürzte Hannah sich mit dem verpflichtenden Krankenpflegepraktikum in einem Kasseler Krankenhaus. Diese Zeit bestätigte ihr, dass sich Mühe, Zittern, Warten und Ärgern doch lohnen würden.
Am 22. September stand dann fest, dass es Jena in Thüringen wird und die extrem schwierige Wohnungssuche begann. Lustige Erfahrungen à la: „Wohnen wie Harry Potter-9 Quadratmeter” und mit bis zu 30 Mitkonkurrenten um eine Wohnung oder ein WG-Zimmer zu buhlen, härtete sie bei ihrem Wohnungskampf ab. Nun hat sie endlich eine Wohnung ab dem 1. Dezember gefunden und wird sich bis dahin per „Couchpendeln” und Zwischenmiete durchhangeln.
Dazu muss man sagen: Die Stadt Jena bietet auch ein Programm für Kaltzelten über den Winter für 300 Euro monatlich an; eine Alternative?!

Maklerparadies München
Für Sebastian, 19, lief bisher sehr vieles glatt: er bewarb sich an der renommierten Technischen Universität der bayerischen Landeshauptstadt für den Studiengang „Maschinenbau und Management“, der die technischen und wirtschafts-kommunikationstechnischen Anforderungen verbindet. Am selben Abend der Bewerbung bekam er auch schon die vorläufige Zusage aus München.

Das achtwöchige Vorpraktikum, das von der TU vorgeschrieben wird, konnte er praktischerweise an seinem Heimatort beim Volkswagenwerk Kassel absolvieren, dem europaweit größten Autobauer. Die Wohnungssuche gestaltete sich weitaus schwieriger, obwohl er damit vergleichsweise früh starten konnte, da er ja seine Zusage für den Studienplatz bereits am 26. Juni in den Händen hielt.

Nicht nur die erhöhten Mietpreise, sondern auch der Zugang zu den Wohnungen waren eine Herausforderungen. Sebastians Erfahrung nach führt kein Weg am Makler, dessen Gunst, und der Maklerprovision vorbei. Von den besichtigten Wohnungen kamen nur zwei in die engere Auswahl­ – die „freiwillige” Selbstauskunft natürlich als Voraussetzung zu diesen. Nachdem er den Mietvertrag zu einer Wohnung schon in den Händen hielt und ein persönliches Gespräch mit der Vermieterin hatte, kam am nächsten Tag dann doch die unpersönliche Absage ins Haus geflattert und Sebastian stand wieder ohne Dach über dem Kopf da.
Der letzte Versuch war dann auch der passende: 30 Quadratmeter für stolze 400 Euro kalt – exklusive Maklercourtage versteht sich. Ziemlich teuer, werden einige sagen, doch im Münchener Vergleich ist diese Wohnung ein Schnäppchen.

Natürlich ist nicht alles schlecht im neuen Wintersemester, doch es bleiben zumindest Zweifel, ob eine derartige Masse an Problemen in den nächsten Monaten und Jahren überhaupt zu lösen ist, oder wie eine weitere Verschlimmerung der Problematik seitens der Universitäten und der Politiker zukünftig verhindert werden kann.

(Text: Lisa Brüßler)

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