SüdenWeltenbummler

Die Frau, die Länder sammelt

Nina Sedano sammelt Papiertüten vom Beutel-Tee. Sie tauscht sie ein. „Nina Sedano. Ländersammlerin” steht auf der, die ihr Gegenüber erhält. „Die Leute können das bei Google eingeben, da findet man mich”, sagt sie. Eine Reise durch alle 193 anerkannten Länder in rund 40 Jahren.


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Turkmenistan. Die meisten Deutschen werden nicht einmal wissen, dass es dieses Land gibt. Für Nina Sedano war Turkmenistan das Ende. Das Ende einer langen Reise. Einer Reise durch alle 193 von der UNO anerkannten Länder der Welt. Es ist der 30. September 2011. Nina Sedano ist die erste deutsche Frau, die alle 193 Länder bereist hat – und sie ist mit 46 Jahren in Deutschland die jüngste Person, die so weit reiste.

Es fing wie bei so vielen an. Der erste Familienurlaub in Österreich, Reisen in die DDR. In den 80ern lernte die Frankfurterin dreimal auf einer Sprachschule in England. Sie besuchte ihre Brieffreunde in Deutschland, Italien und Frankreich, mit 20 machte sie einen Sprachkurs in Spanien. Dort lernte sie eine Griechin kennen, die sie besuchte.

Es folgte eine Reise in die USA, ihr erster Besuch in Übersee. Sie wohnte bei der Cousine ihrer Mutter. Ein Jahr später gewann sie einen erneuten Flug in die USA, als sie 23 Jahre alt war, reiste sie mit ihrer Mutter dorthin. Mit Thomas Gottschalk stand sie damals auf der Bühne. „Kaum zu glauben, dass ich ihm die Hand geschüttelt habe”, sagt sie.

Dabei, sagt sie, hätte sie anfangs nicht nur gute Erfahrung gemacht. In Nizza wurde das Auto aufgebrochen. In England verliebte sie sich mit 15 hoffnungslos in einen Engländer. Vom Sprachkurs kam sie mit angebrochenem Daumen und einer Bänderdehnung vom Squaredance zurück.

Die jungen Jahre der Weltenbummlerin

Nach der Schule machte Sedano eine Ausbildung zur Bürokauffrau in Wiesbaden und arbeitete dann 14 Jahre lang in Frankfurt im Kreditkartenbereich. Sie war unterfordert, jeden Abend ging sie zum Sprachkurs, lernte italienisch, spanisch, französisch und englisch. Sie leistete sich kein Auto, raucht nicht. So konnte sie sich zweimal im Jahr eine große Reise leisten. Große Reise nennt Sedano außereuropäische Reisen. „Ein paar Kleine kamen noch dazu.”

Auf 70 bis 80 Tage weg von ihrer Wohnung kam sie, als sie arbeitete. Alle Urlaubstage, Gleittage, Wochenenden – Sedano wollte raus. Leidenschaft und Neugierde antwortet Sedano, wenn sie nach den Gründen gefragt wird. „Alle 193 Länder zu sehen, war nie mein Plan”, sagt Sedano. „Es war auch als Kind kein Traum. Das Ziel kam erst auf, als ich bei etwa 160 Ländern war.”

Zusammen, sagt sie lächelnd und ein wenig stolz, war sie zehn Jahre nicht in der Heimat, obwohl sie in Frankfurt eine Eigentumswohnung hat. „Teuer war der Flug, Essen muss man ja egal wo man ist  und ich habe entweder bei Bekannten oder in Mehrbettzimmer in Hostels für vier bis acht Mark die Nacht übernachtet.”
Über einen internationalen Laufclub lernte sie Menschen überall auf der Welt kennen. Keiner kam sie besuchen. Aber sie besuchte sie. Auf 50 Reisen wohnte sie bei Bekannten über den Laufclub.

Der Weg zur Vollzeitreisenden
So richtig los ging es mit der Reiserei 2002. Bis dahin arbeitete sie. „Dann kam der Euro und ich hatte Angst. Ich dachte, ich gebe das Geld lieber aus.” Weil ihr Arbeitgeber sie nicht für ein Jahr freistellen wollte, kündigte sie. Über 90 Länder sah sie allein in den vergangenen zehn Jahren. Sie lernte noch portugiesisch, griechisch, russisch, arabisch und niederländisch.
Vor Ort muss kommuniziert werden. „Das öffnet Türen.” In Asien konnte sie viele nicht verstehen, „das tat mir leid.” Als nächstes will sie türkisch und suaheli lernen.

Hauptsächlich lebt sie vom Ersparten. Zwischendurch verdient sie sich etwas Geld mit Vorträgen und Seminaren dazu. Aber es könnte mehr sein. Derzeit schreibt sie ein Buch, so lange wie 2012 war sie seit 25 Jahren nicht in Frankfurt. Sie hofft, dass sie einen Verlag findet. Vielleicht findet sie sogar Sponsoren, kann für eine Hotelkette Hotels testen, als Reisebegleiterin arbeiten oder auf sonstige Weise fürs Reisen bezahlt werden.

Seit sie gekündigt hat, reist Sedano gleich mehrere Monate weg – immer mit dem Reiseführer im Gepäck. „Man muss über die Gepflogenheiten Bescheid wissen.” Zunächst war sie vier Monate in Osteuropa. Dann neun Monate Südostasien und neun in Zentralasien. Die Flüge innerhalb des Kontinents sind günstiger. Visa besorgt sie vor Ort, das ist praktischer, „manche sind nur für einen bestimmten Zeitraum gültig.” Zweieinhalb Monate war sie in Kanada, sechs Wochen in Neuseeland.

text sedanoUnvergessliche Erlebnisse auf dem gesamten Globus
Alle Ländernamen kann Sedano nennen, zu jedem Land hat sie ein Erlebnis im Kopf. Sofort. Taiwan? Hat sie bei einem Belgier gelebt. Bahamas? War sie mit einem Engländer bei einer Tanzstunde – obwohl sie totmüde war. Neuseeland? Gab es nur ein einziges Theaterstück in ganz Auckland. Sudan? Eine positive Überraschung, denn die Leute haben sie stark eingebunden. „Mit Ausnahme von Südafrika habe ich dort die nettesten Menschen getroffen.”

Nicaragua? Wurde sie fast überfallen. Kasachstan? Kam ein Betrunkener in ihr Zimmer. Chile? Eine lustige Autofahrt mit Freunden. Indien? Sagte sie eine Hochzeit ab, als sie erfuhr, dass sie arrangiert ist. USA? Eine Frau konnte in der Jugendherberge nicht schlafen, weil Sedano Atemaussetzer hatte. Bangladesch? Da hatte sie Geburtstag. Und wurde vom Universitätsdirektor zum Essen eingeladen und gefragt, was sie vom bevorstehenden Einmarsch der USA in den Irak halte.

Nur eine Szene kann sie nicht mehr zuordnen. Irgendwo in Südamerika saß sie auf einer Parkbank und beobachtete Ameisen. Auf Spanisch fragte eine Frau, ob ihr schlecht sei. „Es müsste Costa Rica gewesen sein, aber ich weiß es nicht mehr.”

England und Irland liebt Sedano schon seit ihrer Kindheit. „Gott sei Dank ist das nicht so weit weg, auch wenn ich schon seit zehn Jahren nicht mehr in England war.” Kanada und Neuseeland haben es ihr angetan – die Natur. In Kenia, Tansania und Namibia ist sie gern, der Tiere wegen. „Wenn ich sie beobachte, fühle ich mich klein. Das ist das Hier und Jetzt.”

Über kleine und größere Schwierigkeiten unterwegs
Äquatorialguinea und Somalia waren schrecklich, sagt sie. In Äquatorialguinea durfte sie die Hauptstadt Malabo, die auf einer Insel liegt, nicht verlassen, es gab keine Erlaubnis. Das war ihr zu langweilig. Wenn sie schon vor Ort ist, will sie auch reisen, alles sehen, Sehenswürdigkeiten, verborgene Ecken, Menschen treffen, sich unterhalten. „Die Willkür mag ich nicht.” In Somalia drängelten sich schon am Schalter beim Passstempeln Menschen vor. „Das war unhöflich – und bezahlen musste ich auch für die Ein- und für die Ausreise.”

Afghanistan empfand sie als gefährlichstes Land. Sie wird ruhig, wenn es darum geht. „Ich bin froh, dass ich da heil rauskam”, sagt sie. Es geht um eine Frau und eine arrangierte Ehe. „Es war heftig.” In den iranischen Botschaften wurde ihr viermal die Einreise verwehrt. Als Frau? Reisen? Alleine?

In der meisten Zeit reist Sedano alleine. Früher war sie verheiratet, da war ihr Mann mit dabei. Nach der Trennung ging sie ihre eigenen Wege. Dabei, sagt sie, fühlte sie sich in Frankfurt früher oft einsamer als unterwegs. Freunde vermisst sie, und Käsekuchen, wenn sie unterwegs ist. Frankfurt nicht. „Aber die Kultur fehlt mir. Ich gehe gern ins Theater.”

Eine Beziehung, das ist nicht möglich. „Die Männer warten nicht”, sagt sie. Und mitkommen wolle auch keiner. „Und die Männer wollen bei den Sprachen konkurrieren, das ist schade.” Sie braucht keine Konkurrenz, sagt sie. Sie will einen Mann finden, der drüber steht, dass sie so viel gesehen hat. Und für kurze Zeit funkeln ihre Augen genau so, wie wenn ihr wieder ein Erlebnis aus deinem fernen Land einfiel.

Die Wurzeln bleiben in Deutschland
Auswandern ist derzeit keine Option, sagt sie. „Ich hatte immer mehr Flügel als Wurzel.” Aber je älter sie werde, desto schwieriger sei das mit dem Auswandern. Sie wolle auf keinen Fall weg, so lange ihre Mutter noch lebt. 79 ist ihre Mutter jetzt. Und hat das Reisen auch entdeckt.
Bald hat sie die 100 Länder voll. Zusammen reisen sie dennoch nicht – die letzte gemeinsame Reise ging in die USA, vor 23 Jahren. Vielleicht, fügt sie an, lernt sie mal einen Mann kennen, für den sie in der Ferne bleibt. Nette Männer hat sie zwar kennengelernt, „aber bisher hat mich keiner beim Weiterreisen aufgehalten.”

„Ich habe viel Pomp und Reichtum gesehen, aber auch viel Armut”, sagt sie. „Das zeigt, wie gut es mir geht. Ich habe jeden Tag was zu essen und ich weiß, dass ich auch morgen was zu essen habe.” Als Kind war sie schüchtern, hat sich nie gestritten. Heute ist sie offener. In einigen Ländern klagten Einheimische ihr das Leid. Das System. Die Deutsche wird es dem System nicht verraten, nicht wie die Nachbarn, bei denen man das befürchten muss.

Sedano sagt, alles gesehen zu haben, gibt ihr eine innere Ruhe und Sättigung. Egal, was passiert, sie hat jedes Land gesehen, sagt sie. Im Moment reist Sedano nicht so viel. Das Buch hat Vorrang, zwei Drittel sind schon fertig. Nach Turkmenistan fuhr sie erst einmal nach Österreich und Italien. Es gibt noch viel zu sehen, aber Geld muss in die Reisekasse.
Sardinien, Korsika, Ibiza, Gran Canaria – kennt sie noch nicht. Derzeit ist sie auf Tour die Unesco-Welterben zu sehen. Vier Wochen war sie dieses Jahr unterwegs. „Aber das schaff ich nicht, das sind über 1000″, sagt sie – und fügt im nächsten Moment hinzu: „Aber die deutschen hab ich schon fast alle.”

(Text: Miriam Keilbach / Foto: Nina Sedano)

Miriam K.

Miriam war 2007 im Gründungsteam von backview.eu. Sie volontierte beim Weser-Kurier in Bremen und arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre Themen: Menschen, Gesellschaft, Soziales, Skandinavien und Sport.

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