Zeitgeschichte

Die Apokalypse – Tag des Untergangs oder der Erlösung?

Erdbeben, fallende Sterne und wütende Chaoswesen – die Schilderungen vom Ende der Welt gehören zu den schaurigsten, aber zugleich faszinierendsten Texten der Bibel. Zuletzt gerieten sie in den Mittelpunkt, als im Mai dieses Jahres eine kleine christliche Gemeinde in den USA mit großangelegten Werbeaktionen den bevorstehenden Tag des Gerichts ankündigte.
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Durch die Gemeinde in den Vereinigten Staaten geriet das Thema Weltuntergang in Verbindung mit dem christlichen Glauben in den Mittelpunkt des medialen Geschehens. Doch wie kommt es, dass ausgerechnet das Ende der Welt von jeher einen so prominenten Platz in der christlichen Tradition hat? Ist es nicht zynisch, dass Millionen Gläubige ausgerechnet das Ende der Welt herbeiwünschen, auf der sie leben? Oder gehört die Apokalypse heute zum längst überholten mythischen Erbe, das man bereitwillig den Filmemachern und religiösen Enthusiasten überlässt?

Weltreiche und Widerständler

Um zu verstehen, wie Verwüstung und Verwandlung der Welt zum Kernbestand der großen Weltreligionen wurde, muss man einen Blick zurück in die Religionsgeschichte werfen. Hier begegnet nämlich die Apokalypse nicht nur als Bedrohung, sondern immer zugleich als Erlösung. Erste Spekulationen darüber, dass es ein Ende der Zeiten geben wird, finden sich in der Bibel im Buch Daniel und bei einigen Propheten. Während in früheren Spekulationen nur davon ausgegangen wird, dass Gott eines Tages eingreift und Israels Feinde besiegt, steigert sich diese Erwartung bei der Endfassung des Daniel-Buchs schließlich in eine Gliederung der gesamten Weltgeschichte, deren Ende bevorsteht.Die Apokalypse in der Lutherbibel

Grund für diese Radikalisierung waren die Erfahrungen der Juden unter Antiochus IV, der den Jerusalemer Tempel umwidmen ließ und die darauffolgenden Aufstände blutig niederwarf. Für die Gläubigen gab es keine andere Erklärung, warum Gott dies zuließ, als, dass das Ende der Welt selbst bevorstünde.Seine eigentliche Blütezeit erreichte der Gedanke an ein Ende der Welt jedoch erst in den folgenden Jahrhunderten um die Zeitenwende. Wieder war der Anlass die Unterwerfung des eigenen Volkes durch ein Weltreich, diesmal das römische Imperium.

Viele der Verheißungen aus den früheren Texten sah man in der Gegenwart eingetreten, besonders als im Jahre 70 der Tempel endgültig zerstört wurde. Verschiedene Gruppen sammelten sich um charismatische Führer, die manchmal sogar mit dem verheißenen Messias identifiziert wurden, dem Boten Gottes für die Endzeit. In dieser aufgeheizten Stimmung entfaltete auch Jesus von Nazareth seine Wirkung, der schließlich wie viele andere Aufrührer gekreuzigt wurde.

Die Interpretationen des Lebens Jesu versuchten wiederum eine Erklärung zu finden, weshalb die Umkehrung der Verhältnisse erneut auf sich warten lässt, schließlich hatte dieser doch den unmittelbaren Einbruch des Reiches Gottes vorausgesagt. Man kommt zu folgender Formel, an der sich die folgenden Jahrhunderte abarbeiten werden: Einerseits hat die Endzeit bereits begonnen und ist in den feierlichen Versammlungen der Christen spürbar, andererseits steht die endgültige Wiederkunft Christi noch aus. Das Ende der Welt wird fröhlich herbeigesehnt, schließlich würde man selbst verschont bleiben, während die Gegner bestraft würden.
Außerdem stünde mit dem Weltende die Auferweckung aller Toten bevor. Unter den Verfolgungen nimmt man sogar den eigenen Tod in Kauf, schließlich könnte man als Märtyrer auf baldige Auferstehung hoffen. Von den zahlreichen, teils abstrusen Visionen des Weltendes, die kursierten, erschien jedoch nur die sogenannte Johannes-Apokalypse auf Dauer überzeugend – auch, wenn ihr kryptisches Repertoire von Zahlenspielen, Tieren und Engeln ebenfalls alles andere als eindeutig ist.

Wann kommt das Ende der Welt?
Wenn die Endzeit bereits begonnen hat, bleibt jedoch die Frage, wann genau das Ende der Welt bevorsteht. Glaubte die erste Generation noch, dass Jesus zu ihren Lebzeiten wiederkommen würde, pendelte sich mit der Zeit eine gewisse Gelassenheit ein, spätestens seitdem man im vierten Jahrhundert Reichsreligion wurde. In Krisenzeiten bekam die Apokalypse jedoch immer wieder neue Brisanz: So glaubte man während der Kreuzzüge, die Befreiung der heiligen Stätten könnte der Wiederkunft Christi ein wenig auf die Sprünge helfen.

Es verwundert nicht, dass auch in der Reformationszeit die apokalyptischen Gedanken hoch im Kurs standen. Luther selbst identifizierte gar den Papst mit dem Antichristen, der ebenso wie die anmarschierende Armee der Türken ein Zeichen für den Untergang der Welt sei. Mit den Jahren mäßigt Luther seine radikalen Ankündigungen des Weltuntergangs jedoch wieder.

Seine eigentlichen Fans hat die Weltende-Idee stets nicht bei den Großkirchen, sondern bei kleineren Gruppen gehabt. Zum Beispiel glaubte man im Täuferreich von Münster 1534-35 das himmlische Jerusalem errichtet zu haben. Einen besonderen Akzent auf die Frage des Termins legten die sogenannten millienaristischen Bewegungen. Diese berufen sich auf die Angabe aus der Offenbarung, wo nach dem Ende der Welt ein tausendjähriges Friedensreich vorweg geht. Während viele die Zahl symbolisch deuten, lädt sie andere immer wieder zu Spekulationen ein, wann dieses Reich denn begonnen haben könnte beziehungsweise beginnen wird. Insbesondere seit dem 17. Jahrhundert gibt es immer wieder Berechnungen nach der Bibel, wann der Tag kommen wird.

Heiße Kandidaten waren der 18. Juni 1836 für den Pietisten Albrecht Bengel oder der 22. Oktober 1844 für Joseph Miller, den Begründer der Siebenten-Tags-Adventisten. Auch bei den Zeugen Jehovas haben Mitglieder schon mehrmals in ihrer Geschichte den Weltuntergang vorausgesagt. Während einige Gruppen nach dem erwarteten Weltende zerfielen, kommt es meistens zu Umdeutungen und Neuinterpretationen. So auch bei jener Gruppe, die im Mai diesen Jahres vor dem Tag des Gerichts warnten, und nun folgern, dass Gott mit den Entrückungen doch noch bis zum Oktober diesen Jahres wartet.

Das Weltende in der zeitgenössischen Theologie
Im theologischen Mainstream hingegen lässt sich schon seit der Aufklärung eine gewisse Zurückhaltung beim Thema Weltende feststellen. Genaue Berechnungen lassen sich schon mit Verweis auf die Bibel abweisen, sagt doch beispielsweise Matthäus 25: „Ihr wisst weder Tag noch Stunde!”

Seit die Welt durch die Naturwissenschaften immer genauer erklärt werden kann, wird auch fraglich, ob überhaupt ein Weltende in Form einer spektakulären Katastrophe zu erwarten ist. Viel wichtiger ist für den modernen Menschen die Frage, ob es für den Einzelnen ein Leben nach dem Tod gibt. Der Apokalypse-Gedanke wird zwar nicht verworfen, jedoch nimmt sein Stellenwert immer weiter ab. Insbesondere die Vorstellung, dass der wiederkehrende Christus über Gut und Böse richtet, wird zunehmend befremdlich empfunden, vor allem, wenn sie als „Druckmittel” für moralische Bevormundung benutzt wird. Stattdessen wird der Aspekt betont, dass bereits in der Gegenwart das Reich Gottes beginne, zum Beispiel durch gelebte Nächstenliebe. Statt eine böse alte Welt gegen die schöne neue auszuspielen, wird nach metaphorischen Aussagen über den Menschen gesucht, die hinter den biblischen Bildern stehen. Hier befindet man sich auch philosophisch in guter Gesellschaft, zum Beispiel mit der Utopie Ernst Blochs, der die Hoffnung als Grundbedingung des Menschseins begreift.

Ironischerweise dreht sich angesichts der Bedrohung der Welt durch die moderne Zivilisation der theologische Fokus gar: Seit Mitte des letzten Jahrhunderts mahnt man zur „Bewahrung der Schöpfung” – die Apokalypse wird also nicht mehr als Kommen Gottes befürchtet, sondern als Katastrophe der menschlichen Überheblichkeit und Gier. Ob in diesem Fall eine neue Welt vom Himmel kommt, bleibt abzuwarten.

(Text: Sebastian Helwig / Foto: http://www.hst.mdh.se/digitbooks/Luthertestamentet_web/)

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