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Deutschland jammert über die Sozialpolitik – doch was ist mit Zivilcourage?

Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Soweit man das zumindest durch den strubbeligen, langen, grauen Bart erkennen kann. Er lächelt mich an, dann sieht er wieder herab zu meiner Hand und zu dem quadratischen Päckchen Brot, das ich ihm hinhalte. Seine eine Hand umklammert immer noch den Stock zur Rechten, die andere hält er hinter dem Rücken verschränkt. Es steigt mir ein Geruch in die Nase, der nicht unbedingt wie frisch gewaschen riecht. Wie auch? Wie lange er die Kleidung am Leibe trägt, kann man nur erahnen. Seine Haare sind lang, grau, zottelig und ungepflegt. Ich schätze ihn auf 60 Jahre. Seine Nase ist schief, ob er mal zusammengeschlagen wurde?
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Er sieht mit wechselndem Blick immer zwischen dem Brot und mir hin und her. Ich sage, dass das Brot für ihn ist. Wieder sieht mich dieser Mann mit seinen klaren Augen an. Ich mache noch einmal mit meiner Hand die Bewegung des Hinreichens zu ihm. Er sagt zu mir, dass ich es doch essen solle. Ich verneine und sage, dass es für ihn ist. Er zieht die verschränkte Hand hinter dem Rücken hervor und nimmt das Paket, bestehend aus durchsichtiger Plastiksichtfolie, in der das Brot eingepackt ist, mit leuchtenden Augen. Er verstaut es wie einen Schatz in seinem kleinen Wagen, wo noch allerhand mehr „Prömel” und Habseligkeiten seinen Platz haben. Man kann wohl sagen, es ist sein Zuhause?! Alles was er besitzt ist das, was er an seinem Leibe trägt und das, was in dem Wagen verstaut ist. Er bedankt sich mehrfach bei mir und lächelt mich an.

Es ist nur einer von vielen, an denen wir ungeachtet vorbei gehen. Oft nimmt man sie nicht mehr wahr, weil man sich unbewusst Scheuklappen zugelegt hat. Vielleicht auch aus Angst, man könnte selbst bald der nächste sein, der in eine ähnliche Situation geraten könnte. In Deutschland nimmt die Armut leider immer weiter zu und die Grenze zwischen arm und reich klafft immer weiter auseinander.

Dieser Mensch, dem ich das Brot gab, ein einfaches günstiges Brot vom Discounter neben an, fing an zu erzählen, dass er schon seit den 70ern auf der Straße wohnt, er verheiratet war, auf der ganzen Welt unterwegs war, mehrere Sprachen spricht – fing sogar an Spanisch zu sprechen – zudem hat er schon jemanden sterben sehen. Was auch immer diesen Mann mit dem grauen Bart und kleinen Wagen genau auf die Straße trieb, dieser Mensch hat seinen Grund.

Zivilcourage fängt nicht erst beim Einschreiten bei Gefahr an. Nicht erst, wenn man in Prügeleien für das Opfer Partei ergreift, nicht erst, wenn man viel Mut aufbringen muss, um helfen zu können oder zu wollen. Leider hört man zurzeit aus der aktuellen Presse verstärkt von Spendenorganisationen, die mit einer Negativmitteilung bezüglich Spendenmissbräuche behaftet sind. Unsicherheiten sind somit bei der Gesellschaft vorprogrammiert. Wo kann ich überhaupt noch helfen? Wem kann ich trauen? Wo kommt mein Geld wirklich bei den Bedürftigen an?

Die Bahnhofsmission zum Beispiel ruft immer wieder nach ehrenamtlichen Helfern auf. Aufgrund rückläufiger Kirchensteuern oder öffentlichen Mitteln ist die Bahnhofsmission verstärkt auf Spenden und Zuwendungen angewiesen. Vielleicht kann man somit da anfangen, wo man benötigte Hilfe mit eigenen Augen sieht. Sei es, wenn man Hilfsbedürftigen als ehrenamtlicher Helfer hilft oder eben bei kleinen Dingen im alltäglichen Leben.
Zum Beispiel auch im Hinblick, wenn man selber alt ist und einem der Regenschirm aus der offenen Tasche fällt und man Schwierigkeiten hat sich zu bücken oder man im Supermarkt vor den großen hohen Regalen steht und für seinen Liebsten eine Tafel Schokolade mitbringen möchte. Nussschokolade sollte es sein, aber man kann erstens die Farben der unterschiedlichen Sorten nicht auseinander halten und lesen kann man die Aufschrift auch nicht mehr.

Man braucht nur durch die Straße zu gehen, immer mit einem offenen Auge für die Welt und die Menschen um einen. Man weiß nie, was einem selbst mal passiert und in welche Situation man selber mal gerät.

Ich finde jeder sollte sie haben. Eine Courage.

(Text: Astrid Nisch)

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