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Der war’s! Jetzt aber wirklich!

Ja wo ist denn jetzt das schuldige Gemüse? Nach und nach wird in Deutschland gar nichts mehr roh gegessen – doch die Quelle des EHEC-Erregers ist immer noch unklar. Ein kritischer Blick auf voreilig und unnötig zerstörte Existenzen.


Das Robert-Koch-Insitut warnt vor Gemüse aus Norddeutschland – vor allem Blattsalat, Tomaten und Gurken bürgten die Gefahr der neuen Killerbakterien EHEC. Das dürfe man auf keinen Fall mehr roh essen, schrieben die Journalisten fleißig bei der Deutschen Presse Agentur ab. Dann ruderte die dpa zurück.

Uups, Fehler unterlaufen, es waren gar nicht Blattsalat, Tomaten und Gurken aus Norddeutschland gemeint, sondern vielmehr in Norddeutschland. Also all jene Blattsalate, Tomaten und Gurken, die in Norddeutschland zum Verkauf angeboten werden. Aber da war es schon zu spät. Norddeutsche Gemüsebauern mussten ihre Ware tonnenweise vernichten, weil sie keine Abnehmer mehr fanden. Binnen Tagen gingen die ersten Kleinbetriebe Pleite. Hysterische Bürger scheuten Gemüsefächer im Supermarkt und Hofläden hatten es erst recht schwer. Aldi verzichtete vorsorglich auf Tomaten, Salat und Gurken aus norddeutschem Anbau.Aber dann, die Entwarnung: Die spanische Gurke war’s! Auf dem Hamburger Großmarkt hätte man sie gefunden. Und Edeka, Netto, Rewe und Penny reagierten natürlich sofort: Sie verbannten gleich alle spanischen Salatgurken aus dem Sortiment. Und wieder etliche Existenzen zerstört – dieses Mal in Spanien. Russland sprang auf den Hysteriezug auf und verhängte ein Importverbot gegen Gemüse aus Deutschland und Spanien.
Plötzlich die Rechtfertigung: Die spanischen Gurken, die Spuren von EHEC aufwiesen, seien von einem Laster gefallen. Nur die seien verseucht. Aber wer will jetzt noch Gurken essen? Die Proben ergaben: Auch die spanische Gurken, die vom Laster gefallen waren, waren nicht der Auslöser, selbst wenn sie leichte EHEC-Spuren aufwiesen.

Aber dann! Jetzt aber, endlich! Ein Restaurant in Lübeck, das war’s. Und deshalb wurden auch einfach so Restaurantname und Adresse in jedem Artikel erwähnt. Zum dritten Mal schon ohne vorher die notwendigen Tests abzuwarten. Eigentlich sind wir doch so stolz auf unseren Rechtsstaat – wie heißt es so schön, gerade bei Kachelmann gesehen: Im Zweifel für den Angeklagten. Aber jetzt müssen wir erst einmal Panik vor den Killerbakterien, der Killerseuche und den Todesbakterien verbreiten. Wen stören da schon etliche zerstörte Existenzen von Bauern und Restaurantbesitzern, die Zertifikate in den Händen halten, die besagen, dass ihre Ware EHEC-frei ist?

Wie bei den Tomaten, Blattsalaten und Gurken aus Norddeutschland und den (vom Laster gefallenen) spanischen Gurken war auch das Restaurant in Lübeck nicht der Auslöser der europaweiten Epidemie mit erschreckenden 22 Toten. Das macht bei rund 850 000 Toten im Jahr ja auch wirklich den Bruchteil aus – die Panik ist also durchaus berechtigt! Vor allem für all diejenigen Armen, die schon BSE und Schweinegrippe überlebt haben. Damals sind wir ja schon fast ausgestorben.

Zum Glück kam dann auch gleich schon die nächste, und vorerst letzte Warnung. Die Sprossen waren es! Diesmal aber wirklich! Die aus Norddeutschland, wo ohnehin die meisten EHEC-Fälle auftauchten. Ein Biohof im Kreis Uelzen sei es gewesen und deshalb wurde er auch gleich mal dicht gemacht. Esst keine Sprossen mehr und achtet darauf, was in eurem Salat ist, hieß es.
415 Proben sind EHEC-frei getestet worden. Der Biohof wird sicher noch eine Weile gegen die falsche Verdächtigung ankämpfen müssen – wer kauft bei einem Händler, der immerhin für drei Tage im Verdacht stand, gefährliche Todesbakterien zu transportieren?

Zum Glück haben die Ermittler schon einen neuen EHEC-Träger im Visier. Jetzt sollen es die Lieferanten und Produzenten für die Nahrungsmittel in Kantinen und Restaurants sein, sagt das Verbraucherministerium. Also im Grunde sind wir so schlau wie zuvor: Noch immer ist nicht klar, woher der EHEC-Erreger kommt. Aber wenn das Ausschlussverfahren noch ein paar Wochen weitergeht, gibt es sowieso keine Gemüsehändler mehr.

(Text: Miriam Keilbach)

Miriam K.

Miriam war 2007 im Gründungsteam von backview.eu. Sie volontierte beim Weser-Kurier in Bremen und arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre Themen: Menschen, Gesellschaft, Soziales, Skandinavien und Sport.

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