Der Reiz des Reisens
Unterwegs in der Zeit
Wer eine Reise tut, der kann etwas erzĂ€hlen. Seit Anbeginn bewegten sich die Menschen ĂŒber die Erde. Ihre Spuren berichten davon. Diesen Spuren wollen wir folgen und uns auf eine Zeitreise machen. Einsteigen bitte, die Geschichte des Reisens beginnt.
Einmal gehen wir um die ganze Welt
Jeder Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Steh auf und mach die auf den Weg Unser deutsches Wort fĂŒr lĂ€nger andauernde Fortbewegung an einen anderen Ort kurz Reise leitet sich von dem altgermanischen Verb risan, heute englisch to rise ab. Reisen bedeuten seinen Wortsinn nach also schlicht aufstehen.
Als sich die Vegetation in Afrika verĂ€nderte und die AbstĂ€nde von Ast zu Ast gröĂer wurden, begannen unsere prĂ€historischen Vorfahren aufzustehen und sich in der Savanne anzusiedeln. Ein aufrechter Gang bot nicht nur mehr Sicherheiten sondern war besser geeignet durch das hohe Grasland zu blicken. Auf der Verfolgung von Beutetieren aber auch die den stetig steigenden Konkurrenzdruck der immer gröĂeren Gruppen begannen unsere UrvĂ€ter und UrmĂŒtter Schritt fĂŒr Schritt die Erde zu besiedeln. Vor etwa 40.000 Jahren erreichten sie schlieĂlich auch Europa. Reisen liegt also schon in unseren Genen.
Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass die erste bekannte LektĂŒre unserer abendlĂ€ndischen Tradition ein Reisebericht ist. In der Odyssee beschreibt der Held Odysseus seine Abenteuer durch die damals bekannte Welt. Ăber 20 Jahre brauchte er, eher er wieder seine Heimat sehen durfte. Heute geht das natĂŒrlich viel schneller und bequemer. Jeder Winkel der Erde, sogar der Mond kann mit modernsten Transportmitteln in kĂŒrzester Zeit erreicht werden. Dank GPS und Navi gehören solche Irrfahrten der Vergangenheit an. Aber stellen wir uns einmal vor, wir könnten sogar durch die Zeit reisen. Warum machten sich Menschen frĂŒher auf den Weg? Wie reiste man damals? Pack die Uhren ein, die Zeit fliegt mit uns davon.
Alle Wege fĂŒhren nach Rom
Na, eine gute Reise gehabt? Willkommen im alten Rom. Wenn wir uns einmal umsehen, so werden wir feststellen, viel los entlang der Via Appia, der Via Germanica und der Via Raetia. Einige Pferde, vereinzelt WĂ€gen und Kutschen und sehr viele FuĂgĂ€nger sind unterwegs. Eine kleine Umfrage zeigt, LegionĂ€re sind auf dem Weg nach Britannien, Boten ĂŒbermitteln Briefe an die Senatoren. HĂ€ndler sind unterwegs nach Massilia oder reiche Römer in Richtung Ferien nach Brindisium. So anders waren die GrĂŒnde fĂŒr eine Reise vor 2000 Jahren also nicht. GröĂter Reiseveranstalter war die römische Armee, welche ihre Legionen bis in die entfernten Winkel des römischen Reiches brachte. Ein gut ausgebautes StraĂennetz ermöglichte es den StreitkrĂ€ften schnell voranzukommen. Ihnen folgten zumeist HĂ€ndler, die nach der Erkundung bzw. auch Eroberung der Gebiete neue MĂ€rkte erschlossen. Neben diesen HauptgrĂŒnden gab es auch bereits in der Antike einen gewissen Tourismus.
Der lateinische Begriff fĂŒr GeschĂ€ft oder Arbeit negotium ist die Verneinung von Otium, der Muse oder Freizeit. Sklaven durften nicht, der Plebs konnte die Stadt nur selten verlassen. Daher war es vor allem einer wohlhabenden adeligen Schicht vorbehalten zu reisen. Zu den beliebtesten Zielen gehörten die Pyramiden von Ăgypten, Griechenland wegen seiner RhetorikkĂŒnste und nicht zuletzt Rom selbst. Die wohlhabenden Römer kamen bei Verwandten und Freunden unter, ein Gastrecht, welches meist bereits ĂŒber Generationen bestand und vererbt wurde.
Wer reist, glaubt mehr zu wissen
Alle Wege fĂŒhren nach Rom. Insbesondere ab 300 herrschte regelrecht Stau auf den groĂen römischen âAutobahnenâ. Um die Grenzen des Reiches zu schĂŒtzen waren in den AuĂengebieten des Reiches germanische StĂ€mme angesiedelt worden. Sie sollten Schutz gegen Angriffe nach auĂen bieten. Als das Reich jedoch zusammenbrach verstanden viele germanische StĂ€mme die Einladung, âKomm ein bisschen mit nach Italienâ mehr als wörtlich. Mehrfach wurde Rom geplĂŒndert, die Völkerwanderung setzte ein.
Damit war auf einmal Schluss mit den StĂ€dtetrips, die urbane Kultur der Römer verfiel. Mit dem Ende der Völkerwanderung um 600 bildete sich eine agrarische Gesellschaft heraus. Selbst in den ehemals dichten StĂ€dtebebauungen wurde nun Vieh gehalten und Felder bestellt. Kleine Dörfer und erste Burgen waren geprĂ€gt vom VerhĂ€ltnis von Knecht und Leibeigenschaft. Besitzende, was nicht umsonst diesen Wortstamm hat, saĂen praktisch auf ihrer Scholle. Doch schon damals gab es erste Jetsetter. Gesandte, besser bekannt unter ihrem griechischen Namen Apostel, begaben sich auf Reisen. Irland, dass die Wirren der Jahrhunderte weitgehend unbeschadet hatte, entsandte Geistliche wie den Heiligen Bonifatius, den Missionar der Deutschen, welche das Christentum unter die Germanen brachten. Ebenso war der Kaiser mangels Schrifttum und StĂ€dten darauf angewiesen aus dem Sattel sein Reich zu regieren. Erst langsam ab dem 12. Jahrhundert entwickelten sich die Klöster und Pfalzen zu ersten StĂ€dten in Deutschland. Ihr Vorteil lag in im Schutz durch die Burg und dem Frieden im Inneren, denn das Leben war nicht ungefĂ€hrlich.
âDas Beste was man von Reisen mit nach Hause bringen kann, ist eine heile Hautâ, lautet ein persisches Sprichwort. So muss es vielen Reisenden ergangen sein, denn fernab der sicheren Stadtmauern lauerten RĂ€uber, Wegelagerer, Gefahren. Die Stadt zu verlassen barg immer ein groĂes Risiko. Karawanen, wie zum Schutz der Pilger nach Mekka, boten auch Handelsreisenden und fahrendem Volk eine gewisse Sicherheit auf ihren Touren. Darum waren die Tourneen der Gaukler oder die ersten Lieferdienste der HĂ€ndler gern gesehene GĂ€ste. Neben Unterhaltung und exotischen Waren brachten sie die neusten Nachrichten aus aller Welt mit. Insbesondere der Handelsreisende Marco Polo und sein Reisebericht Made in China sorgten damals im 13. Jahrhundert fĂŒr Furore.
Reisen war gefĂ€hrlich â aber Reisen bildete schon damals. Ăhnlich wie heute war eine Art Erasmusaufenthalt sehr beliebt. Viele ZĂŒnfte fĂŒhrten die Walz ein. Auf Wanderschaft sollten die Handwerksgesellen Erfahrung sammeln und ihre Ausbildung vollenden. Kaufleute schickten ihre Söhne nach Italien um die Sprache zu erlernen und den Kaufmannsberuf zu erlernen. In dieser Zeit entstand das erste Bankwesen und Venedig setzte die Segel gen Osten als eine der wichtigsten SeemĂ€chte seiner Zeit.
Da waren wir noch nicht, da wollen wir wieder hin
âVolle Kraft voraus, Segel in den Wind unsere Fahrt beginntâ, brach 1492 der Genuese Christopher Columbus gen Indien auf, wie er dachte. Doch als es am 12.Oktober 1492 hieĂ âLand in Sichtâ betraten Columbus und seine MĂ€nner nicht nur Neuland sondern eine neue Zeit. Die âMundus Novusâ, wie sie der Namensgeber der Neuen Welt Amerigo Vespucci beschrieb, rief auf Segel zu setzen. Das Zeitalter der Entdeckungen war angebrochen.
âWer an der KĂŒste bleibt, kann keine neuen Ozeane entdeckenâ, wusste der Weltumsegler Magellan. SchlieĂlich siegte der Entdeckerdrang und die Neugier ĂŒber die Angst des Ungewissen. Immer neue Gebiete, Inseln gar Kontinente wurden entdeckt, die Terra Incognita wurde immer gröĂer und spannender. Zwischen den Ozeanen die klaren festen Strukturen des Mittelalters zu halten, schien hierin utopisch. In diesen Zeiten entstanden viele Werke wie âUtopiaâ von Thomas Morrus 1512, die vom Leben auf fiktiven Inseln berichten, der Gesellschaft damit einen Spiegel vorhielten. Gullivers Reisen von Jonathan Swift sind damit nicht einfach als Abenteuerroman zu verstehen, sondern vor allem als Kritik am reinen vernunftbetonten, mechanistischen Menschenbild der AufklĂ€rung.
Neugier, Abenteuer aber auch die Suche nach besseren Lebensbedingungen begegnen dem Reisenden durch die Zeit immer wieder. Als eine der ersten wagten die PilgervĂ€ter den Sprung ĂŒber den Ozean, viele Auswanderer in die ganze Welt folgten. Aber manchmal liegt das Ferne auch so nah. Im 17. Jahrhundert kam es in Mode, dass adelige Sprösslinge auf Kavaliersreisen durch Frankreich, Italien, Spanien und das Heilige Land gehen. Auf diese Weise sollten die Jugendlichen die europĂ€ische Geschichte kennenlernen, Fremdsprachen ĂŒben und die Kunst der Diplomatie erlernen.
Endlich beginnt der Urlaub
âMan reist ja nicht um anzukommen, sondern um zu reisenâ, schrieb einst der Dichter Goethe. Bis dato war Reisen immer zweckgerichtet gewesen, zum Handel, aus Glaube oder aus Entdeckerdrang. Das scheinbar sinnlose reisen zum VergnĂŒgen war bis dahin unbekannt.
Erst als sich GroĂbritannien anschickte Weltmacht zu werden, sollte sich dies Ă€ndern. Wohlhabende Briten begannen sich immer stĂ€rker fĂŒr die Welt um sie herum zu begeistern und diese zu bereisen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass noch vor Ăsterreich und Deutschland 1857 der erste Alpenverein in England entstanden war.
Die Welle der Reiselust war in Gang gesetzt. Am 5. Juli 1841 veranstalte der Baptistenprediger und Abstinenzler Thomas Cook die erste Pauschalreise. GĂŒnstigere Preise machten es nun auch BĂŒrgern möglich die Welt zu erkunden. Kurz darauf eröffnete 1863 Carl von Stangen in Breslau das erste deutsche ReisebĂŒro. Individuelle Reiseerlebnisse wurden durch die Leistung des Carl von Baedeker möglich. Waren vorher die Touristen auf die Dienste von lokalen Reisebediensten angewiesen, konnten sie nun dank seiner wertvollen Hinweise selber entscheiden, wie die Reise zu gestalten sei. Sogar der berĂŒhmte Lawrence von Arabien hatte stets einen Baedeker ĂŒber PalĂ€stina dabei, frei nach dem Motto: âKings and governments may err but never Mr. Baedekerâ. Es ging in die weite Welt hinein. Die Bedeutung des Reisens und der MobilitĂ€t wurde frĂŒh erkannt. Bereits in der Allgemeinen ErklĂ€rung der Menschenrechte 1789 wird die Reisefreiheit als Grundrecht verankert und findet sich auch in ihrer modernen Form von 1949 wieder.
Mit der Sehnsucht nach dem Unendlichen war auch die RĂŒckbesinnung zur Natur verbunden. In den Wirren zwischen den napoleonischen Kriegen, den Revolutionen und Restaurationen boten die ersten Wandervereine den Menschen ein GefĂŒhl von Freiheit und Sorglosigkeit. Dies war auch wichtig, den Sorgen hatten die Menschen genug bei langen Arbeitstagen und geringem Lohn. PrĂ€gte die Sechstagewoche noch den mittelalterlichen Arbeitsalltag wurde der Sonntag erst 1895 zum geschĂŒtzten Ruhetag. Doch an Urlaub war lange nicht zu denken, die Erlaubnis wegzugehen, was urloup ursprĂŒnglich bedeutete, war lange nicht gegeben.
Erst in den 1930er Jahren etablierte sich der Jahresurlaub, der jedoch von der NS-Propaganda missbraucht und instrumentalisiert wurde. Darauf folgten die Schrecken des Krieges und die entbehrungsreiche Zeit, die Urlaub und Ferienreisen lange Zeit als fernen Traum erschienen lieĂen. Mit dem Wirtschaftswunder ging es jedoch endlich hinaus.
âDie Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davonâ, wusste schon der Kirchenvater Aurelius Augustinus und die Deutschen blĂ€ttern seitdem eifrig die Seiten ihrer ReisefĂŒhrer und Reisekataloge. Seit 1963 regelt das Bundesurlaubsgesetz unsere schönste Zeit des Jahres. ZunĂ€chst nach Ăsterreich, Italien, Frankreich, mit steigendem Wohlstand ging es schlieĂlich in die ganze Welt. Heute sind wir Reiseweltmeister in einem grenzenlosen Europa, das die FreizĂŒgigkeit von Personen als Grundprinzip verankert hat. Doch die Welt kommt auch nach Deutschland. Das Land im Herzen Europas mit seiner bewegten Geschichte und seinen vielen regionalen Eigenheiten wird bei auslĂ€ndischen Besuchern immer beliebter. Die Welt kommt sich nĂ€her, Beziehungen, Kontakte ĂŒber alle Grenzen werden immer mehr. Ob daheim oder im Ausland, die Welt ist zu Gast bei Freunden.
Urlaub vom Urlaub nehmen?
Damit sind wir am Ziel unserer Zeitreise angelangt, der Beginn der Urlaubszeit. Jedes Jahr das gleiche Schauspiel, wenn sich Blechlawinen ĂŒber deutsche Autobahnen ergieĂen und gen Ferien rollen. âDer neue Trend im Tourismus- von der Mittelalterburg zur Bettenburgâ, beschrieb einst der Aphoristiker Helmut GlaĂl den modernen Tourismus. Zwischen unzĂ€hligen anderen Erhohlungssuchenden ist es nicht einfach Ruhe und das Besondere zu finden, oder wie es Hans Magnus Enzensberger ausdrĂŒckte: â Der Tourismus zerstört das was er sucht, indem er es findet.â Anreise, Abreise und doch stĂ€ndige Erreichbarkeit sowie der Wettbewerb um die besten Urlaubsbilder gehören heute dazu. Aber ist das noch Erholung? Die Kunststudentin Zilla de Born konnte ihren Freunden und Familie glaubhaft vermitteln, sie sei auf Reise durch SĂŒdostasien, obwohl alle Urlaubsbilder Teil eines groĂen âFakebookingâ waren.
Vielleicht ist diese Zeit gedacht neues kennenzulernen, fernab des Bekannten. Couchsourfing und Ăkotourismus als schonende schöne Alternative werden immer beliebter.. Der Dalai Lama empfiehlt als besonderes Ferienziel: âBesuche einmal im Jahr einen Ort an dem du noch nicht gewesen bist,â Denn wie wissen die Tuareg âWenn man den Weg verliert, lernt man ihn kennen.â Wo es auch hingehen mag, welche PlĂ€ne die Reisenden auch haben, es gilt frei nach Heinz Erhardt:
Ich geh‘ im Urwald fĂŒr mich hin…
Wie schön, daà ich im Urwald bin:
man kann hier noch so lange wandern,
ein Urbaum steht neben dem andern.
Und an den BĂ€umen, Blatt fĂŒr Blatt,
hÀngt Urlaub. Schön, daà man ihn hat!
In diesem Sinne allen Lesern eine angenehme, spannende und erholsame Urlaubszeit!
(Foto: )
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