DeutschlandPolitik

Der Kampf um das Schloss Bellevue

Am kommenden Samstag wird die Bundesversammlung in Berlin das neue Staatsoberhaupt Deutschlands wählen. Um das Amt des obersten Repräsentanten der Bundesrepublik bewirbt sich für eine neue Amtszeit Prof. Dr. Horst Köhler, die SPD schickt Prof. Dr. Gesine Schwan ins Rennen, die Linke hat den TV-Kommissar Peter Sodann vorgeschlagen und die NPD und DVU Frank Rennicke.
[divide]
In einem indirekten Wahlverfahren entscheidet die Bundesversammlung über die Wahl der Kandidaten. Diese setzt sich zur einen Hälfte aus allen Bundestagsabgeordneten, und zur anderen Hälfte aus der gleichen Anzahl von Vertretern der Bundesländer, die von den Landtagen gewählt werden, zusammen. Da der 16. Bundestag zur Zeit 612 Mitglieder hat, wird die zusammentretende 13. Bundesversammlung aus 1224 Mitgliedern bestehen. Die Zahl der von den jeweiligen Landtagen zu wählenden Wahlmännern und Wahlfrauen ergibt sich aus der Mitgliederzahl der Länder. Somit legt die Bevölkerungszahl fest, wie viele Vertreter auf jedes Bundesland entfallen.

2009 stellt Nordrhein-Westfalen mit 131 Mitgliedern das größte Kontingent, gefolgt von Bayern mit 93 und Baden-Württemberg mit 78. Die letzten Plätze belegen Saarland und Bremen mit acht und fünf  Vertretern. Dabei entsenden die in den 16 Länderparlamenten vertretenen Parteien nicht unbedingt Landtagsabgeordnete, oftmals nominieren sie auch prominente Vertreterinnen und Vertreter der Länder. Die Wahl des Bundespräsidenten ist die einzige Aufgabe der Bundesversammlung, die deshalb auch nur alle fünf Jahre zusammentritt.

Aufgaben eines Bundespräsidenten
Die politischen Funktionen des Bundespräsidenten sind da schon vielfältiger. Zunächst einmal hat das deutsche Oberhaupt vor allem repräsentative Aufgaben. Er vertritt die Bundesrepublik im In- und Ausland und tritt bei öffentlichen Ereignissen, wie Staatsbesuchen auf.
Zu seinen notariellen Aufgaben gehören unter anderem die Prüfung und Unterzeichnung der beschlossenen Gesetze. Durch diese Kontrollfunktion können Verträge nur durch seine Zustimmung in Kraft treten. Weiterhin ernennt er Bundeskanzler, Bundesministern und Bundesrichtern, und unterzeichnet auch Verträge mit anderen Staaten. In Krisenzeiten – mit unklaren Mehrheitsverhältnissen im Bundestag – kommt dem Bundespräsidenten die Befugnis zu, den Bundestag auf Antrag des Bundeskanzlers aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Dies war zum Beispiel 2005 zur Amtszeit Gerhard Schröders der Fall.

Der weitere Einfluss des Bundespräsidenten auf die innere und äußere Politik beruht auf seiner Überzeugungskraft und seinem Ansehen. So kann er durch Ansprachen auf Fehlentwicklungen hinweisen, bestimmte Themen aufgreifen und politische Denkanstöße geben.

Doch welcher der vier Kandidaten ist nun am besten in der Lage das internationale Ansehen Deutschlands zu fördern und den Aufgaben eines Bundespräsidenten gerecht zu werden? Bei einer Direktwahl würden nach einer Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des ARD-Morgenmagazins 70 Prozent der Deutschen Horst Köhler, den ehemaligen Geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfond (IWF), wieder wählen.

Für die ehrgeizige Politologie-Professorin Gesine Schwan, die bereits 2004 gegen Horst Köhler kandidierte und um 15 Stimmen verlor, würden sich nur 14 Prozent der Bevölkerung entscheiden. Dem TV-Star Peter Sodann, der als „Tatort-Kommissar”  bundesweite Berühmtheit erlangte, wird dagegen kaum Vertrauen entgegengebracht; gerade mal vier Prozent würde den Vertreter der Linken wählen.
Seine Kommentare, wie der, dass die Bundesrepublik Deutschland keine richtige Demokratie sei, wurden scheinbar nicht gut aufgenommen. Der Auserwählte der Rechtsaußen, Frank Rennicke, wird in dieser Umfrage gar nicht genannt. Doch es herrscht ein klarer Konsens, dass für ihn, der wegen Volksverhetzung zu einer in Zwischenzeit wieder aufgehobenen mehrmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde, die Chancen ausgesprochen schlecht stehen.

Nach den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen in der Bundesversammlung besteht auch hier eine sehr knappe Mehrheit für Köhler. CDU/CSU und FDP verfügen theoretisch über 604 Stimmen, die SPD, Bündnis90/Die Grünen und die Linke ebenfalls. Von den entscheidenden 16 weiteren Wählern haben schon zehn Mitglieder der „Freien Wähler” angekündigt, geschlossen für Horst Köhler stimmen zu wollen. Somit könnte bereits im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit für Horst Köhler erreicht werden. 613 lautet die magische Zahl. So viele Stimmen braucht, wer Bundespräsident oder Bundespräsidentin werden will.

schloss belevue

Wahlkampf oder nicht?
Um diese Mehrheit auf jeden Fall zu erlangen, könnte man von einem brennenden Wahlkampf der Kandidaten ausgehen. Doch dem ist nicht so. Die Spielregeln um das Rennen zum Amt scheinen klar: Der eines Bundespräsidenten unwürdige Wahlkampf soll vermieden werden. Schließlich darf und soll der Bundespräsident „per institutionelle Aufgabenstellung keine Wahlkampf machen”, so Horst Köhler. Allerdings sind hier die Grenzen fließend und so fallen dennoch scharfe Worte zwischen den Anwärtern. Horst Köhler betonte in seiner Berliner Rede, dass es gerade in schwierigen Zeiten wie dieser einen Mann wie ihn brauche und spielte dabei seine Kompetenz, die er in Geldfragen als ehemaliger Experte hat, aus. Es brauche „einen starken Staat, der Regeln setzt und diese auch durchsetzt”. Gesine Schwan dagegen wird Panikmache vorgeworfen. Diese ist jedoch nicht auf den Mund gefallen, hitzige Debatten scheinen ihr richtig Freude zu machen und ihre subtile Kritik an Horst Köhler lässt sich auch nicht verbergen.
Doch lohnt sich dieser Aufwand um das Amt überhaupt? Wie wichtig ist der Bundespräsident heutzutage noch? Viele assoziieren schließlich mit dem deutschen „Staatsoberhaupt” spontan Angela Merkel, die als Bundeskanzlerin größtenteils über eine höhere Machtbefugnis verfügt. Gerade im Vergleich zu den Staatsoberhäuptern anderer Länder fällt auf, dass das deutsche Staatsoberhaupt in seinem direkten politischen Einfluss doch sehr begrenzt ist und hauptsächlich repräsentative Funktionen hat. Bei vielen dieser Aufgaben handelt es sich um formale Kompetenzen, bei denen er kaum Entscheidungsspielraum hat.
Denkt man nur einmal an den französischen Staatspräsidenten, der erster und zugleich mächtigster Mann im Staat ist. Oder an den Präsidenten der USA, welcher gleichzeitig Regierungschef und Staatsoberhaupt verkörpert.

Die Frage der direkten Demokratie
Wie kommt es, dass die Präsidentschaft in Deutschland so viel an Bedeutung eingebüßt hat?
Das System versucht, die Staatsmacht auf möglichst viele Schultern zu verteilen, um somit Amtsmissbrauch zu verhindern und gegenseitige Kontrolle zu gewährleisten. Doch diese Erklärung kann kaum eine Begründung für den fehlenden Einfluss des Bundespräsidenten sein. Um diesen Einfluss wiederherzustellen werden schnell Rufe nach einer direkten Wahl des Präsidenten laut, die eine höhere Legitimation des Amtes mit sich bringen würde. Was liegt näher, als den Repräsentanten der Deutschen auch vom deutschen Volk wählen zu lassen? Natürlich sind durch das jetzige Wahlverfahren auch verschiedene Ebenen des Staates vertreten, nämlich die Bundesebene und die Länder, aber das dient kaum als Ersatz für eine direkte Wahl.
Die Identifikation der Bürger mit dem Staatsoberhaupt und die Anerkennung auf internationaler Ebene wären durch eine direkte Wahl vielleicht sogar annähernd vergleichbar mit der eines Barack Obamas!? Doch wie bei fast allen anderen bedeutsamen Wahlen in Deutschland stößt auch hier die direkte Demokratie auf Granit und die Volksvertreter verstecken sich hinter altbewährten Mitteln. Wie immer lauten die mit Sicherheit nicht unbegründeten Gegenargumente: Mangelnde Kompetenz der Bürger, die ja eh nur den mit der schönsten Nase wählen, oder auch zu große Manipulationsgefahr.

Der wohl wichtigste Grund, der auch bei der Präsidentschaftswahl gegen eine direkte Wahl spricht, liegt wie so oft in der Vergangenheit: In der Weimarer Republik hatte der Reichspräsident eine sehr starke Position. Er wurde direkt vom Volk gewählt und regierte stolze sieben Jahre lang mit einer ähnlichen Machtbefugnis, wie sie vorher der Kaiser besaß. So hatte er zum Beispiel den Oberbefehl über die Wehrmacht inne und konnte in Krisensituationen durch Notverordnungen auch allein regieren. Schließlich wurde dann in der schwierigen politischen Situation der Weimarer Republik der Reichspräsident Paul Hindenburg zum Wegbereiter Hitlers.

Nach dieser Erfahrung war die Beschränkung der politischen Macht des Bundespräsidenten eine logische Folge. Diese Gewaltenverschränkung trat mit der Gründung der Bundesrepublik 1949 in Kraft und blieb bis heute bestehen. Trotzdem wäre es wünschenswert, den so lapidar dahergesagten Spruch „vom Volke gewählt” ab und an auch wörtlich zu nehmen und vielleicht gäbe es ja dann bei den nächsten – stets hochintellektuellen – „Taff”-Umfragen auf ProSieben zehn Leute weniger, die auf die Frage nach dem Staatsoberhaupt keine Antwort wissen! Ob es sich dabei dann um eine zweite Frau an Deutschlands Spitze handelt, oder ob Horst Köhler in eine zweite Amtszeit geht, wird sich am Samstag in der Endrunde um den Kampf um das Schloss Bellevue zeigen.

(Text: Julia Jung / Fotos: Konrad Welzel)

Julia J.

Hauptberuflich ist Julia Weltenbummlerin, nebenberuflich studiert sie Politik. Wenn sie nicht gerade durch Australien, Neuseeland, Südafrika oder Hongkong reist, schreibt sie ein paar Zeilen für back view und das schon seit 2009.

Schreibe einen Kommentar