Brennpunkte

Der tägliche Kampf am Briefkasten

Warteschlangen, keine Briefmarken, wahlweise blaue oder gelbe Zettel im Briefkasten: Die Deutsche Post beeinflusst unser Leben mehr als uns bewusst ist. Eine Schadensaufnahme aus einem ganz normalen Alltag.

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Der Wecker klingelt um acht Uhr morgens. Schnell Aufstehen, Kleidung an und ab ans Fenster. Warten. Denn laut Versandstatus soll das Päckchen heute geliefert werden. Sperrangelweit sind alle Türen in der Wohnung geöffnet. Heute gibt es keinen Kaffee zum Frühstück. Die Maschine ist zu laut. Es könnte passieren, dass man das Klingeln der Haustüre überhört.

Gegen Mittag zeigt der Onlinestatus dann, dass das Paket „in der Zustellung” ist. Damit fällt der Gang unter die Dusche flach. Das Warten ist zermürbend. Nebenbei könnte man Hausarbeiten erledigen, aber ist es nicht so, dass der Postmann immer genau dann klingelt, wenn man gerade die Wäsche im Waschkeller aufhängt? Dann müsste man doch wieder Schlangestehen.

Im Umkreis von 15 Kilometern gibt es beispielsweise in Konstanz laut Postfinder 43 Filialen und Verkaufspunkte der Deutschen Post AG. Idealerweise kann man die Suche mit einem Tool unter der Rubrik „mit speziellem Service” eingrenzen. Unter „speziellen Service” fällt auch die Annahme von Sendungen.

In Zahlen bedeutet das für Konstanz: Von den 43 Treffern sind nur 24 vollwertige Postfilialen und derer neun liegen überhaupt im Stadtgebiet. Konstanz ist keine Großstadt. Aber immerhin leben hier circa 84.693 Menschen. Das heißt knapp 10. 000 Menschen kommen auf eine Postfiliale.

Immer mehr Postpoints
Auf dem Land ist die Lage meist prekär: Viele Filialen wurden in den vergangenen Jahren komplett geschlossen oder durch sogenannte Postpoints ersetzt. Private Einzelhändler bieten neben ihren eigenen Waren auch Dienstleistungen der Post an. Sie können bereits ausgezeichnete Briefe und Pakete annehmen. Briefmarken sind hier allerdings nicht einzeln sondern nur eingeschweißt in größeren Mengen erhältlich. Diese Postagenturen gibt es sowohl in ländlichen Regionen, Vororten von Städten aber auch in „unterversorgten” Stadtteilen von Großstädten.

So ist es nicht verwunderlich, wenn sich in den Mittagspausen lange Warteschlangen in den Filialen im Stadtzentrum bilden. In ihren Unternehmensstatistiken zeichnet die Deutsche Post DHL ein anderes Bild. Sie rühmt sich mit 20.000 Filialen und Verkaufspunkten sowie 2.500 Packstationen in Deutschland. Dass die Agenturbetreiber und Filialmitarbeiter meist überfordert sind, und nur geringen Service anbieten, wird gerne verschwiegen.

Prekäre Arbeitsbedingungen
Wer schon einmal verzweifelt auf ein Paket gewartet hat, der ahnt, dass die Situation in der Paketzustellung ähnlich verheerend aussehen muss. In Deutschland arbeiten etwa 50.000 Menschen als Paketzusteller. 35.000 von ihnen sind bei Subunternehmen angestellt. Der Journalist Reinhard Schädler hat sich für das NDR Magazin Panorama vor Weihnachten bei einem dieser Subunternehmer eingeschleust. Er stellte fest, dass sein Vertrag mit fünf Euro Brutto-Stundenlohn und keiner Vergütung der Überstunden illegal war. Als er die schlechten Arbeitsbedingungen ansprach, wurde er gekündigt.

Das Arbeitspensum ist hoch: Die Zusteller müssen am Tag über 200 Pakete ausliefern. Eine Tour dauert somit zwischen acht und neun Stunden. Am Abend bringen sie die unzustellbaren Pakete in eine Filiale. Mit Ausladen, Umpacken im Depot und Abrechnen dauert ein Arbeitstag oft mehr als zehn Stunden.

Wolfgang Abel von der Gewerkschaft Verd.i weiß, dass die Kuriere Hermes, Dpd und Gls komplett auf Subunternehmer zurückgreifen. Bei UPS seien es etwa 30 Prozent, bei DHL handle es sich um circa 1.000 Zusteller. Wie viele alleine für das Weihnachtsgeschäft angeworben wurden, ist unklar. Sicher ist nur, dass die Zusteller auch am Sonntag auslieferten. Die bei der Deutschen Post DHL angestellten Fahrer bekommen für die gleiche Leistung, die ihre Subunternehmerkollegen leisten, den doppelten Lohn – nämlich elf Euro in der Stunde.

Scheinbar ist es Gang und Gäbe einige Pakete von vorne herein nicht auszuliefern, einen Benachrichtigungszettel im Briefkasten zu hinterlassen und in der Filiale abzugeben. Die Tragik für den Empfänger liegt in der oben benannten Filialpolitik. Die meisten Verkaufspunkte – aber auch Filialen – haben keinen Stauraum, um Pakete zu lagern. Somit müssen diese oft in Hauptpostämtern oder Briefzentren abgeholt werden.

Die Deutsche Post AG lenkt also nicht nur den Arbeitsalltag ihrer Mitarbeiter, sie greift auch massiv in den Alltag aller Bürger in Deutschland ein. Sie verkürzt wohlverdienten Schlaf, verhindert morgendliche Hygienemaßnahmen und nachmittägliche Sporteinheiten. Sie setzt unsere Freizeit aufs Spiel oder strapaziert unsere Nerven. Ein glückliches Ende – weder für die Zusteller, noch für die wartenden Empfänger –  ist momentan nicht in Sicht.

(Text: Lea Kramer)

TITELTHEMA: “WER LENKT DEUTSCHLAND”
Über die Macht der Medien
Die Rolle und Funktion des Bundespräsidenten
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Über die Märkte und die Wirtschaft
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