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Der kalte Kampf im Norden

Rund 25 Prozent aller Erdölvorräte werden unter dem Polareis vermutet. Und wenn dieses Eis schmilzt, was durch die globale Erwärmung schneller gehen könnte, als bisher erwartet, könnte es zu einem weiteren „kalten“ Krieg kommen. Russland machte in den letzten Wochen sehr deutlich, dass sie Öl und andere Rohstoffe, die unter der dicken Eisschicht der Arktis lagern, für sich beanspruchen wollen. Die weiteren Anrainer wollen das nicht einfach so hinnehmen.

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Als Russland Anfang August dieses Jahres die eigene Länderflagge in einer Tiefe von 4300 Metern auf dem Meeresboden des Nordpols gesetzt hat, wurde diese Aktion in Mitteleuropa belächelt. „Die russische Fahne am Nordpol ist dennoch unübersehbar wichtig. Sie signalisiert sehr deutlich das Selbstgefühl, das Russland sich und der Welt vermittelt: “Wir sind wieder wer”. Damit werden vor allem enorme Energiereserven in den Menschen Russlands selbst mobilisiert.“; schreibt der russische Journalist Gisbert Mrozek in Russland-Aktuell. Die anderen Staaten des „Arktisclubs“ sind davon weniger begeistert, eher sogar schockiert und verängstigt. Denn auch Norwegen, Dänemark (Grönland), Kanada und den USA (Alaska) nennen Teile des Nordpols ihr Eigen. Besonders Norwegen fürchtet Russland, wenn das Eis der Arktis schmilzt und es um den Kampf der Bodenschätze geht. So suchten sie sogar Rat bei der NATO. Doch Sverre Diesen, Oberbefehlshaber der norwegischen Armee, ließ über den öffentlich-rechtlichen Sender NRK berichten, dass die NATO nicht zur Unterstützung bereit wäre. Zu sehr seien sie mit dem Kampf gegen den Terrorismus beschäftigt.

Eine Welle der Empörung ging durch das Land. Norwegen ganz allein im Kampf gegen Russland? Kann es wirklich zu einem militärischen Konflikt kommen? Es gehe nicht um „direkte Kriegsgefahr“, aber doch um eine „Grauzone“, in der man sich Russland als Herausforderung für die eigene, nationale Sicherheit stellen müsse, so Diesen. Inzwischen haben auch Schweden, Dänemark und sogar das sonst eher zurückhaltende Finnland, Russlands kleiner Bruder, das Gefahrenpotential erkannt. Finnlands Verteidigungsminister Jyri Häkämies wurde von Ministerpräsident Matti Vanhanen ermahnt, nachdem er öffentlich mitteilte, dass man drei Herausforderungen in der Sicherheitspolitik zu bewältigen habe, das sei Russland, Russland und Russland. Schwedens Regierung samt Opposition lehnt durchweg die geplante Ostsee-Gasleitung von Russland nach Deutschland wegen sicherheitspolitischer Bedenken ab. Die geplante Linienführung der Pipeline wenige Kilometer vor der Insel Gotlands sei nicht akzeptabel, hieß es von der Seite des schwedischen Militärs. Dänemark, als einzige der drei Staaten abhängig von der NATO, äußerte sich mit einem scharfen Unterton zur Flaggen-Aktion, bezeichnete sie als lächerlich. Aber nicht nur die Skandinavier reagierten auf die ungewöhnliche Aktion Russlands. Auch Kanadas Außenminister Peter MacKay äußerte sich, dass wir nicht mehr das 15. Jahrhundert hätten, ehe er sich auf eine Reise ins Eis begab, wo Kanada zwei neue Militärbasen errichten will. Die US-Regierung reagierte ebenfalls. Sie schickten einen Eisbrecher nach Alaska, um das Gebiet neu zu vermessen. Bereits im Februar diesen Jahres ergab eine neue Analyse des Forschungsinstituts der Streitkräfte (FFI), dass Russland eine „militärische Bedrohung“ nicht mit Blick auf eine Invasion wie zu Zeiten des Kalten Krieges darstelle, sondern durch denkbare „begrenzte Militäraktionen“.

Bereits im Jahr 2001 wollte die Russen die UN-Kommission schon einmal überzeugen, dass die Arktis (samt Bodenschätze) eigentlich Russland gehöre. Treibsand, Steinchen und Bodenmulch sollten das damals beweisen. Das Verfahren scheiterte. Dieses Mal seien die Chancen für eine Inbesitznahme besser, so Ressourcenminister Juri Trutnew. Weiter: Erste Analysen des Materials, das von den Arktisexpeditionen in diesem Jahr und im Jahr 2005 gesammelt wurden, hätten bestätigt, was die russische Führung längst als Tatsache ansieht: Der Lomonossow-Rücken, der zwischen Grönland und Russland verläuft, und die Mendelejew-Erhebung sind, bzw. seien, die Fortsetzungen Sibiriens – und damit gehöre der Nordpol ihnen. Nach der UN-Seerechtskonvention von 1982 kann ein Polarstaat 320 Kilometer Seezone vor seiner Küste als exklusive Wirtschaftszone beanspruchen. Wenn sich der Kontinent allerdings unterhalb der Wasserlinie weiter erstreckt, fallen einem Staat weitere Teile des Ozeans zu. Bisher war es in der Arktis nur schwer möglich, festzustellen, wo das offene Meer beginnt. Kälte, Eis und Tiefe hinderten Expertengruppen bisher. Nun ist es Aufgabe der UN-Organisation „Commission on the Limits of the Continental Shelf“ (Unclos), herauszufinden, ob Russland wirklich weitere Anrechte zufallen und wie weit sich Norwegen, Kanada, USA (erkannte die Seerechtskonvention bisher nicht an) and Dänemark unter der Wasserdecke erstrecken. Russland fordert derzeit 1,2 Millionen Quadratkilometer mehr Land (bzw. Wasser), das würde den Nordpol einschließen. Doch auch Dänemark hat inzwischen eine Expedition begonnen, die beweisen soll, dass der Lomonossow-Rücken zu ihrem Staat gehöre. Es kann allerdings Jahre dauern, bis die offiziellen Untersuchungen abgeschlossen sind. Allein Dänemark rechnet erst 2014 mit den Ergebnissen ihrer eigenen Expedition.

Wie soll es aber in den nächsten Wochen und Monaten weiter gehen? Dänemark will die Antwort finden. Auf Initiative des dänischen Außenministers Per Stig Møller und von Grönlands Regierungschef Hans Enoksen sollen alle fünf Staaten auf einem Nordpol-Gipfel im Mai 2008 in Ilulissat, Grönland, zusammentreffen. Dort soll der Streit auf „hohem Niveau“ beigelegt werden, bis die Vereinten Nationen eine Lösung gefunden hat. „Es ist unhaltbar, wenn jemand dort [Anm: Nordpol] auftaucht und seine Flagge pflanzt, oder wenn ein Minister vorbeikommt, als ob das Gebiet sein eigen wäre“, kritisiert Møller zum einen das Verhalten Russlands, sowie das Verhalten von Bill Graham, Kanadas Ex-Verteidungsminister, der die von Dänemark und Kanada beanspruchte Hans-Insel besuchte.

(Autor: Miriam Keilbach)

Miriam K.

Miriam war 2007 im Gründungsteam von backview.eu. Sie volontierte beim Weser-Kurier in Bremen und arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre Themen: Menschen, Gesellschaft, Soziales, Skandinavien und Sport.

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