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Der grauenvolle Schwanenwahn

Krachende Knochen, blutige Zehen und rissige Nägel – versteckt in einem zartrosa Seidenschuh. Darren Aronofskys preisgekrönter Psychothriller „Black Swan” zeigt die Ballettwelt von ihrer dunkelsten Seite, als Kulisse des seelischen Verfalls.[divide]

Tänzerin Nina (Natalie Portman) weiß, wie es ist, wenn der Geist trainieren will und der Körper sich sträubt. Gerade zu ihrer ersten Hauptrolle gekommen, drillt sich die junge Ballerina bis zum totalen Zusammenbruch, um der Doppelrolle der weißen und schwarzen Schwanenkönigin gerecht zu werden. Ihr diabolischer Trainer Thomas (Vincent Cassel) sieht in ihr bislang nur die weiße Odette, was den Druck auf die gebrechliche Nina verstärkt, muss sie doch auch die verführerisch-hinterlistige Odile verkörpern.Die Rolle des lasziven schwarzen Schwans überfordert Nina, lebt sie doch selbst ein keusches, kontrolliertes Leben im rosa Kinderzimmer mit Spieluhr und Plüschtieren und einer krankhaft fürsorglichen Mutter, die ihre erwachsene Tochter wie eine Puppe an- und auskleidet. Als hätte die fragile Tänzerin nicht schon genug zu kämpfen, taucht auch noch Ensemble-Newcomerin Lily (Mila Kunis) auf, die mit Sex und Charme um die Rolle der Schwanenkönigin buhlt.

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Unter enormem Druck beginnt Nina noch härter zu trainieren, noch mehr zu hungern, noch mehr zu leiden. Ihr Unterbewusstsein nimmt das nicht hin und antwortet mit Verfolgungswahn, Selbstverstümmelung und Panikattacken. Sie hat merkwürdige Kratzspuren auf dem Rücken, schneidet sich permanent die Fingernägel und pult sich schließlich eine schwarze Feder aus der Haut. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Zuschauer allerdings längst nicht mehr, was Realität und was Einbildung ist, was Nina träumt, halluziniert oder tatsächlich erlebt.

Diese Ungewissheit lässt „Black Swan” zu einem teuflischen Psychothriller werden, der mit dem Zuschauer spielt, ihn täuscht und hintergeht. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Kunst verschwinden ebenso wie jene zwischen Realität und Illusion, so dass sich Nina vollkommen verliert. Den psychischen Verfall der zarten Tänzerin stellt Natalie Portman geradezu brillant dar. Ninas Zerrissenheit verkörpert sie mit beeindruckender Intensität. Portman, die für ihre Rolle monatelang trainierte und selbst leidenschaftliche Tänzerin ist, wurde mit ihrer Leistung zu Recht für den Oscar nominiert. Mit dem Golden Globe wurde sie bereits ausgezeichnet.

Man kann bemängeln, es fehle „Black Swan” an Subtilität. Die Farbsymbolik ist derart offensichtlich, dass bereits nach wenigen Minuten klar ist, wer gut und wer böse, wer keusch und wer verrucht ist. Da wäre beispielsweise die stets weiß gekleidete Nina neben ihrer durchweg schwarz tragenden Mutter. Diese zwei Farben ziehen sich programmatisch durch den Film und leiten zu deutlich den Wandel vom weißen zum schwarzen Schwan ein. Auch die Figur der Mutter erscheint ein wenig trivial mit ihrer Frustration über ihre eigene gescheiterte Karriere und dem daraus resultierenden Wahn, die Tochter zum Star zu machen.

Dennoch ist „Black Swan” bis zur letzten Sekunde ein einziger Nervenkitzel und gewinnt mit Schock- und Horrorelementen die permanente Aufmerksamkeit des Zuschauers. Grandios verstörend wirkt hier zudem die musikalische Unterlegung durch Tschaikowskys Schwanengesänge. Ninas tragisches Schicksal mag sich schnell abzeichnen, ist jedoch faszinierend zu beobachten, bietet der Film doch eine düstere Studie über die menschliche Seele und ihre Abgründe.

Bewertung: 4,5 von 5 Sternen
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(Text: Julia Hanel / Zeichnungen: Christina Koormann)

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