KulturMusik & Theater

Das Erste Mal: Festival

Wohl zum Leidwesen meiner Eltern war ich in vielerlei Hinsicht etwas frühreif: Jungs, Zigaretten, Alkohol, der erste Joint. Da war ich doch noch ganz schön klein. In einer anderen Hinsicht bin ich aber ein massiver Spätzünder: FESTIVALS.[divide]

Als in der Oberstufe damals das Hurricane-Fieber grassierte; winkte ich immer ab:
Zelten, Brüllmusik, Dixie-Klos und keine Duschen?! Freiwillig? Ne, das machen doch nur die Zecken mit den Dreadlocks. Alles nette Leute, aber nicht meine Baustelle!
Vielleicht muss man als Tochter zweier Alt-68er-Hauptschullehrer-Eltern, die einem ständig Interrail in Europa oder Entwicklungshilfe in Afrika schmackhaft machen wollten; erstmal sein Glück aufgedonnert im P1 und ähnlich peinlichen Clubs suchen, als Gegenentwurf. Protest durch Jura-Studium. Zehn Jahre später, zur Vernunft gekommen und irgendwie doch Kind meiner Eltern. Quarterlife Crisis?!

Festival
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Mit 29 hatte ich zumindest endlich ein Hochschulstudium abgeschlossen. Entgegen der Erwartungen meines 18-jährigen Ichs aber noch kein Haus, keinen Ehemann und keine Kinder. Was könnte man denn noch auf die Schnelle schaffen, so kurz vor der 30? Ja, der Besuch eines Festivals müsste doch einigermaßen leicht umzusetzen sein. Nun galt es Mitstreiter zu finden! Das gestaltete sich als das schwierigere Unterfangen. Zumindest wenn man doch hauptsächlich von Juristen, Mediziner und BWLern umgeben ist, die jetzt nicht unbedingt für ihre Unspießigkeit bekannt sind und bis auf mich auch plötzlich fast alle arbeiteten.
„Aus dem Alter bin ich echt raus, ist doch sau eklig und wie soll ich dann die Arbeitswoche schaffen. Grad super viel Stress im Job.“

Die paar die doch euphorisch zusagten; sprangen nach und nach alle wieder ab. Glücklicherweise habe ich einen Freund. Der die Festivalsaison jedes Jahr aufs Neue für beendet erklärt. Der müsste sich doch aber wohl noch einmal erbarmen. Tat er.

Aber ist das cool? Als Pärchen auf ein Festival?! Auf einen Versuch kam es an. Hurricane 2015 sollte es sein. Ganz klassisch. Zu Reibereien kam es bereits im Vorfeld – ich wollte natürlich zu den Cool Kidz- wenn schon, denn schon- während mein Freund mir das Rentnerdomizil schmackhaft machen wollte. Green Camping, wie das schon klang! Dort durfte man nicht laut Musik machen, keinen Müll rumliegen lassen und nachts Krach war auch verboten. Das klang für mich jetzt erstmal öde, denn ich wollte natürlich aufs Ganze gehen. Jedoch konnte ich leider nicht durchsetzen und entschied mich lieber für zu zweit unter Rentnern als alleine bei den Jugendlichen. Dass ich dort gestrandet war, konnte ich ja auf meinen 35-jährigen Freund schieben, sollte ich mich irgendwo dafür rechtfertigen müssen

(Amüsant war dann tatsächlich, dass auch die die, die aus Spießigkeitsgründen abgesagt hatten, jetzt aus ihrer Kompfortzone lästern konnten, dass das ja wohl langweilig sei.)

Auf dem Hinweg hatte ich dann schon etwas Angst vor der eigenen Courage- „Zur Not können wir ja sonst auch heute Abend wieder nach Hamburg zurückfahren“ hörte ich mich kleinlaut murmeln. Gezeltet hatte ich nicht mehr seit ich nicht mehr in Jugendcamps fuhr. Klar war das früher nett, als man heimlich nachts ins Jungenzelt gehuscht ist. Aber jetzt durfte man ja auch offiziell knutschen und wenn es regnet, ist so ein festes Dach über dem Kopf ja auch irgendwie nicht blöd. Und natürlich regnete es in Scheeßel, wie es anscheinend Tradition ist!

Zum Glück hatte ich mir im Vorfeld noch Gummistiefel ausgeliehen, Regenhose und Regenjacke… Bleiben wollten wir von Freitag bis Sonntag, unser Auto war aber bepackt wie für eine zweiwöchige Schweden-Expedition. Und natürlich waren wir dann im Greencamp genau richtig, mit dem recht großen und teuren Auto, unseren selbstgemachten Buletten, dem Salat, den Gemüsespießen, dem Couscous Salat – um kalte Ravioli aus der Dose zu löffeln fühlte ich mich dann doch zu alt.

Tatsächlich stieß ich schon kurz nach Ankunft auf dem Zeltplatz bei dem Besuch der sanitären Anlagen an meine Grenzen- Tränen standen mir in den Augen, als ich das Dixie-Grauen in Augenschein nahm. Na klar war mir irgendwie klar, was Dixie Klos sind und dass die keine Spülung haben. Aber was das bedeutete, hatte ich wohl irgendwie nicht zu Ende gedacht.

Wahnsinn war aber, wie schnell ich mich akklimatisierte. Nach dem Zeltaufbau ein paar Mischgetränke und dann Aufbruch zur Bühne. Ehrlich gesagt war keine Band dabei, auf deren Konzert ich gegangen wäre, aber diese Stimmung und die Massen an Menschen nahmen mich sofort für sich ein. Trotz strömenden Regens war nicht daran zu denken, das Feld zu räumen als Placebo spielte und es war herrlich, dann irgendwann nach Geisterstunde klitschnass, betrunken und ohne Zähne putzen ins Zelt zu torkeln. Und den nächsten Tag dann mit Grillen einzuläuten.

Aber was ist denn jetzt eigentlich das Faszinierende an Festivals? Meine Sorge, zu den Oldies vor Ort zu gehören, war völlig unbegründet, klar sprangen ein paar Kidz im Abi 2015 T-Shirt herum, ebenso aber die Veteranen mit dem Hurricane 1998 Aufdruck auf der Brust. Familienväter, Ehepaare, Pärchen, alle Konstellationen, alle Gesellschaftsschichten, interessant auch die verschiedenen Professionalitätsgrade an Equipment, alles war vertreten.

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Wahrscheinlich ist es wirklich das Archaische, das man im normalen Leben nicht kennt und dass zumindest mir nach einem Wochenende dann auch langt. Großen Anklang bei den Männern findet es schon mal drei Tage lang ausschließlich von Grillgut und Dosenbier zu leben, Flunky Ball zu spielen und Helga zu brüllen. Alles kann und nichts muss. Für einige, so mein Eindruck, waren die Bands auch nur eine nette Randerscheinung, so sehr genossen sie es den ganzen Tag in ihrem Vorzelt herumzulungern.

Und es ist doch nachvollziehbar, dass zum Beispiel der Bankkaufmann sich freut, mal versifft und mit freiem Oberkörper über den Zeltplatz zu brüllen, bevor er dann am Montag wieder ganz adrett und nett am Schalter steht. Es ist dieses Mini-Ausbrechen aus dem normalen Leben, ein Survival Camp wäre wohl schon zu viel, aber so ein bisschen schmutzig machen für ein Wochenende schafft jeder. Und danach wieder nach Hause in die schöne Altbauwohnung!

Im normalen Leben könnte ich maximal zum Bäcker gehen ohne vorher zu duschen. Auf dem Festivalgelände, der Körper trieft vor Schweiß und Dreck und Suff, ist es dann plötzlich ganz okay mal ohne Duschen und Haare waschen- der Gedanke daran schon eher abwegig, denn die Möglichkeit bestünde ja abstrakt. Aber Festival ist Festival. Und die Anforderungen an Toiletten werden auch ganz schnell geringer

Was wir uns gefragt haben ist, ob Leute auf Festivals Sex haben?! Eine Umfrage beim Cro Konzert ergab: Wenn es sich vermeiden lässt, wohl eher nicht. Wer sich vor Ort kennenlernt muss wohl in den sauren Apfel beißen, ich würde es sonst eher auf zuhause und sauber verschieben. Die Umfrage-Kontakte waren übrigens die einzigen Kontakte, die wir vor Ort geknüpft haben, man reißt sich jetzt nicht unbedingt um Paare als Weggefährten, zum Glück möchte uns nicht duschen, Alkohol trinken und grillen aber auch zu zweit großen Spaß.

Obwohl ich am Sonntag nur noch nach Hause wollte – egal wohin ich ging, alles war für mich nur noch Krach und den Rest des Festivals haben wir dann doch lieber mit etwas Sicherheitsabstand von zuhause auf der Couch verfolgt- ich war angefixt und traurig, dass ich mir die letzten zehn Festivalsommer hatte entgehen lassen. Auf die weiteren zehn! Für alle andere Spätzünder da draußen: Es ist nie zu spät! Auch die Saison 2016 habe ich mitgenommen und mich schon richtig als alter Hase gefühlt. Dieses Mal u.a. bei einem Electro Festival.

Tipp: Bei einem Rockfestival mit Publikum von Abifahrt, Kegelverein aus Bremervörde bis Oberarzt wird es einem leichter gemacht, sich jung und hip und cool zu fühlen als zwischen lauter Berliner Hipstern! Auf dem Elektrofestival ist außerdem mehr Durchhaltevermögen gefragt und man darf sich nicht zu sehr erschrecken, wenn einem Menschen in den Weg springen, die vielleicht nicht nur durch Alkohol so gut drauf sind und tagelang durchtanzen können.
Spaß macht beides, auch Ü30!
Betrübt darüber so spät auf den Geschmack gekommen zu sein, möchte ich das Verpasste jetzt bis zum bitteren Ende nachholen – auch 2017 ist schon geplant.

Und wer weiß: Vielleicht traue ich mich dann ja mit 40 den Backpacking-Urlaub in Asien, wenn alle meine Freunde aus dem Alter raus sind und in ihren Ferienhäusern in der Provence sitzen…

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