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Das Ende des Studiums

Bisher war der Ablauf im klassischen Lebenslauf ganz klar: Kindergarten, Schule, Abitur, Studium. Sind diese Stufen mal geschafft, hat man immerhin viel erreicht und weiß meist trotzdem nicht, wie es dann eigentlich weiter geht. Es folgen Bewerbungen, Entscheidungen und ein geregelter Tagesablauf.
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Es ist einer dieser letzten heißen Sommertage. Einer der Tage, an denen man die viel zu kurzen Shorts trägt, barfuß läuft, und mit der vollen Flasche Wein seinen Freunden zuprostet, weil mal wieder keiner an die Pappbecher gedacht hat. Erleichterung und ein kleines bisschen Wehmut liegen in der Luft; irgendwer spielt Gitarre.

Man erzählt sich alte Geschichten, hat wie gewöhnlich ein paar Kippen, Kondome und Aspirin in der Handtasche und feiert ein letztes Mal zusammen mit seinen Freunden in der gewohnten und so lieb gewonnenen Umgebung. Feiert sich selbst und feiert sein Studienende und weiß nicht, was dieser Abend mitten in der Woche noch so Spontanes mit sich bringen wird.

Endlich wieder ein Leben haben
Weg ist sie endlich, die Abschlussarbeit – fertig endlich das Studium. Die letzten Wochen waren voller Gedanken ans Examen, Lernen, Schreiben und an Prüfungsämter. In der heißen Phase des Studiums gab es keine freien Minuten, weil man immer im Kopf hatte, dass man noch etwas tun müsste. Weil man nie fertig war und sich dadurch selbst fertig machte.

Von einem Tag auf den anderen ist alles anders. Die Module sind zusammen, die Prüfungen absolviert und die letzten Bücher in der Bibliothek abgegeben. Es macht sich ein unglaubliches Gefühl von Freiheit breit, weil endlich Zeit ist, für all die schönen Dinge, fernab von Prüfungsstress und am Schreibtischsitzen.

Was jetzt?Viele fallen nach Ende des Studiums in ein Loch.
Nachdem man sich drei Tage lang Prosecco übers Haupt geschüttet, allen freudestrahlend erzählt hat, dass man sein Studium soeben beendet und all das Lob wie auch Schulterklopfen von der Verwandtschaft eingeheimst hat; kommt die nüchterne Erkenntnis: Die Welt hat nicht auf einen gewartet.

Ja, man wusste schon vorher, dass das Studium irgendwann zu Ende sein wird und ja, man konnte ahnen, dass die Jobangebote nicht unaufgefordert im Briefkasten liegen. Doch blieb bis zum Tippen des letzten Buchstabens der Abschlussarbeit ein kleiner Schimmer Hoffnung, dass man schon irgendetwas finden werde. Irgendetwas Außergewöhnliches, gut Bezahltes und Sicheres. Irgendetwas, bei dem man umgehend Interessantes und Sinnhaftes tut.

Bewerbung hier, Bewerbung da

Die Euphorie für das Bewerben bleibt aus, weil es nervt, sich in jedem Brief selbst zu präsentieren und die Websites nach Angeboten abzuklappern. Es hagelt Absagen, keine Antworten und Online-Tests. Man bügelt das Hemd, fährt zum Vorstellungsgespräch und wartet.

Man schreibt weiter Bewerbungen, überlegt, ob man lieber nach München oder Hamburg ziehen würde oder doch lieber in der Kleinstadt bleibt; wägt ab, macht Besuche und – wartet. Entscheidungen ziehen sich in die Länge, fallen gar nicht oder müssen dann innerhalb eines Tages getroffen werden.

Fernbeziehung, gemeinsame Wohnung, doch die Weltreise, zur Agentur oder lieber promovieren? Die Angebote scheinen schier unüberschaubar, die ausstehende Auswahl aber meist nicht zufriedenstellend. Das Angebot vom anderen Unternehmen wird doch noch mal überdacht und schließlich eine Münze geworfen. Plötzlich stellt man fest, dass es jetzt endlich an der Zeit wäre, zu wissen, was man wolle. Wissen, wozu man eigentlich studiert hat und welchen Weg man einschlagen möchte.

Alles erreicht, was man erreichen wollte
Man schwankt zwischen den Leuten, die endlich gefunden haben, was sie lieben – die es nicht erwarten können, Geld zu verdienen, die Karriereleiter aufzusteigen und in die Rentenversicherung einzuzahlen. Und den Leuten, die es einfach nicht wahrhaben wollen, mal langsam aus der versifften Studenten-WG ausziehen zu müssen, um einen weiteren Punkt auf der To-Do-Liste ihres Lebens abzuhaken.

Doch egal ob Polokragen-nach-oben-Träger oder Auf-den-Boden-Hocker: Irgendwann ist bei jedem der Punkt erreicht, an dem man sich nicht mehr von Semester zu Semester hangeln und die Zeit bis zu den nächsten Kursen mit Praktika oder Strandurlaub überbrücken kann.

Panik macht sich breit, die nächsten 50 Jahre das Gleiche tun zu müssen und sich nicht alle drei Monate etwas Neues ausdenken zu können oder – einfach rein gar nichts zu finden. Man hat Angst davor, Entscheidungen zu treffen, die von solch hoher Relevanz sind, dass der Grad, es bereuen zu werden, ins schier Unermessliche steigt. Es wird einem bewusst, dass man nicht bis ans Lebensende Nebentätigkeiten und Praktika absolvieren kann, bei denen man die Verantwortung nach einem einer mittelfristigen Zeitspanne wieder abgibt.

Feierabend!
Es ist die Zeit, in der man realisiert, dass die Freunde plötzlich wegziehen, weil sie den wichtigen Job in der großen Stadt gefunden haben – oder, weil sie als Arbeitssuchende erst einmal wieder bei Mami und Papi wohnen. Es ist einer dieser letzten heißen Sommertage. Einer der Tage, an dem endlich der Ernst des Lebens beginnt, aber der vielleicht schon bald wegen einem geregelten Alltag und festen Einkommen mit einem Feierabendbier begossen werden kann.

(Text: Christina Hubmann)

Christina H.

Christina wollte eigentlich mal Busfahrer werden, ehe sie sich entschloss, doch "irgendwas mit Medien" zu machen. Schreiben tut sie nämlich schon immer gern. Und wie das Leben ohne dieses Internet funktioniert hat, fragt sie sich schon seit Längerem - erfolglos.

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