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Clan der Satten

Längst ist die Globalisierung zum geflügelten Wort auf der Welt geworden. Global vernetzt und durchwoben sind die Wege der modernen Erde. Aber wer profitiert von den Auswirkungen? Wer sind die Leidtragenden? Das Thema „Hunger in der Welt” stellt auch die Globalisierung in den Vordergrund.
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Die globale Welt kann in ihrer neuesten Geschichte und ihrem Wirken nicht ohne die Welthandelsorganisation (WTO) und den Internationalen Währungsfond (IWF) betrachtet werden. Die WTO leitet den Welthandel, organisiert und dirigiert die Geschicke im globalen Netz. In den letzten Jahrzehnten hat die WTO es sich vor allem auf die Agenda geschrieben, Zölle abzuschaffen und neue Märkte auf der Erde zu eröffnen. Der IWF hingegen versorgt im Zusammenspiel mit der Weltbank notdürftige Staaten mit Krediten.

Was nach Robin Hood klingt, wird bei genauerem Hinsehen demaskiert. Meist sind diese Kredite an strikte Auflagen gekoppelt, die primär das Sozialsystem und die inländischen Märkte schwächen. In jüngster Vergangenheit hat dieses Vorgehen Griechenland zu spüren bekommen. Nach der Weltwirtschaftskrise erhielt der Staat Kredite, musste jedoch zusagen, Einsparungen – vor allem im sozialen Sektor – vorzunehmen. Das brachte Tausende Griechen auf die Straße.

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts offenbarte aber noch härtere Umschwünge im Handelssystem zwischen dem Norden und Süden der Erde. Chile kann mit Augusto Pinochet als radikalstes Exempel gesehen werden. Von 1973 bis 1990 wurde das Land vom Diktator regiert und wirtschaftlich zugrunde gerichtet.
Die Chicago Boys, eine Gruppe von neoliberalen Wirtschaftlern, unterstützten Pinochet auf dem Gebiet der Ökonomie. Im Fokus der Bestrebungen stand vor allem die Deregulierung: Privatisierung, Öffnen des Finanz- und Wirtschaftssektors und eine liberale Preispolitik. Flankiert wurde das ökonomische Himmelfahrtskommando von staatlichem Terror gegen Kritiker.

Erobern von neuen Märkten
Obwohl die Auswirkungen in Chile durchweg negativ waren, denn das Bruttoinlandprodukt sank, die Preise schnellten in die Höhe und Armut und Hunger grassierten, überlebte die Idee der Deregulierung. Insbesondere Milton Friedmann gilt als Begründer dieser liberalen Wirtschaftspolitik, er beriet auch Pinochet in Fragen der Ökonomie. Trotz Krisen sind die Ideen derart resistent, dass sie in der Folgezeit und auch heute weiter existieren.
In vielen Ländern Afrikas und Südamerikas wurden vom IWF Kredite für bedürftige Staaten mit der Auflage verbunden, sich dem globalen Handelssystem zu unterwerfen. Damit wurden die Weichen gestellt, diese neuen Märkte zu erobern. Mit der Abschaffung von Zöllen und dem Öffnen des Marktes für ausländische Unternehmen wurden zusehends inländische Bauern verdrängt, die schon vorhandene Armut wurde noch vergrößert.

Durch massive Subventionen für europäische Bauern können deren Produkte in den südlichen, armen Ländern zu Billigpreisen angeboten werden, inländischen Bauern wird damit die Existenzgrundlage entzogen, sie rutschen tief in die Armut. Ein Beispiel: In Burkina Faso, Mali und Niger lebten Anfang der 1990er rund vier Millionen Menschen von der Viehzucht.
Weil die damalige Europäische Gemeinschaft (EG) aber deren Hauptabsatzmärkte (Elfenbeinküste, Ghana und Benin) mit subventionierten Rindfleischexporten überschwemmte, sank der Absatz in Burkina Faso, Mali und Niger von einem Drittel auf ein Viertel. Ein frühes Beispiel, welches das Dilemma umschreibt. Globalisierung bedeutet auch, dass der Stärkste nach neuen Möglichkeiten sucht, seine Stärke zu demonstrieren und auszubauen. Der Clan der Satten hält die Fäden in der Hand, während die Zahl  der Hungernden immer weiter steigt.

Spekulieren mit Hunger
Wenn auf der Börse dann in den letzten Jahren vermehrt Termingeschäfte mit Agrarprodukten getätigt wurden, während 2009 die Zahl der Hungernden auf über eine Milliarde stieg, wird der Sinn der heutigen Globalisierung und des herrschenden Finanz- und Wirtschaftssystem immer befremdlicher. Bei diesen Termingeschäften wird mit Nahrungsmitteln spekuliert, was schon rasante Preissteigerungen von Grundnahrungsmitteln wie Reis, Weizen oder Mais zur Folge hatte.
Bei solcherlei Spekulationen soll zum Beispiel die Investmentbank Goldman Sachs über eine Milliarde Euro verdient haben. Diese Zahl wurde natürlich vom Unternehmen dementiert. Die Frage bleibt aber, warum man mit dem Hunger auf der anderen Seite des Globus Geld verdienen muss.

Im Süden Kenias zeichnet sich ein weiteres bizarres Spiel ab. Dort werden die Wasserressourcen verkauft, um den Blumenexport zu fördern. Denn über 100 000 Rosen werden dort pro Tag geschnitten, von denen jede Blume fünf Liter Wasser benötigt. Damit leben die dort ansässigen Massai in Wassernot, während das knappe Gut durch Pipelines nach Nairobi in eine Rosenfarm gepumpt wird. Geld und Konsum diktieren das Tagesgeschäft, meist ohne Rücksicht auf menschliche Schicksale.

Die Welt wächst
Im Jahre 2008 gab es auf drei Kontinenten bereits Hungerrevolten, ein Resultat aus jahrzehntelanger einseitiger Misswirtschaft. Die Revolten haben unter anderem den Ministerpräsident Haitis, Jacques Edouard Alexis, seinen Job gekostet. Insgesamt scheint Volkes Aufstand auch ein Umdenken in der Politik zu evozieren- zumindest bei den Benachteiligten. Die Doha-Runde, die weitere Senkungen der Zölle zum Ziel hatte, wurde 2008 von vielen Entwicklungsländern torpediert.

Eine weitere sukzessive Abnabelung von der WTO hin zu der Stärkung von regionalen Märkten und mehr Souveränität auf dem Gebiet der Ernährung, die Regulierung des Spekulationsmarkts, die Abschaffung von Export-Subventionen und der Aufbau von Mindestreserven an Grundnahrungsmitteln könnten Meilensteine zu weniger Hunger in der Welt sein. Dazu bedarf es aber eines radikalen Umdenkens in der Politik, die Globalisierung müsste in neue Bahnen gelenkt werden. Für das Jahr 2050 werden über neun Milliarden Erdbewohner prognostiziert. Diese Entwicklung wird die derzeitige Zahl von einer Milliarde Hungernden nach der derzeit herrschenden Wirtschaftsordnung nur steigen lassen. Die Zeit läuft.

(Jerome Kirschbaum)

Jerome K.

Jerome schreibt am liebsten über Sport, wenn er denn nicht selbst auf einem Platz steht. Seit Oktober 2010 verdingt sich Jerome als Schreiberling für back view, neben den Leibesübungen widmet er sich sich auch politischen Themen. Im wahren Leben musste Jerome zahlreiche Semester auf Lehramt studieren, um dann schlussendlich doch etwas ganz anderes zu werden.

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