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“Strafverfolgungen werden zum Teil sehr überzogen gehandhabt” – Interview zu Cannabis

Im Interview mit back view spricht Jugendrichter Thomas Häusler über die Gesetzeslage bezüglich Marihuana, wie unterschiedlich der Besitz von  Cannabis verfolgt wird und über mögliche Lockerungen des Gesetzes.[divide]

back view: Könnten Sie uns kurz einen Überblick über die rechtliche Situation geben? Was ist erlaubt, was ist verboten?
Thomas Häusler: Also dazu gibt es ja immer die Diskussionen, welche Mengen erlaubt sind, welche Mengen straffrei wären und ob ein Unterschied zu machen ist zwischen Besitz und Konsum, rechtlich gesehen. Um das Letzte gleich mal vorwegzunehmen, es ist so, dass Konsum alleine nicht strafbar ist. Besitz ist aber grundsätzlich strafbar. Es gibt da eine ganz interessante rechtliche Situation: In so einer Raucherrunde, in der der Joint einem gereicht wird, diese Person dann einen Zug nimmt und dann wieder an den vorherigen Raucher zurückgibt, also nicht weiterreicht, derjenige begründet dann keinen eigenen Besitz, sondern konsumiert mehr oder weniger tatsächlich straflos.

Also nur das Weiterreichen an eine dritte Person begründet, rechtlich gesehen, eigenen Besitz, also mit der Folge, dass das Ganze dann dadurch strafbar wird. Konsum alleine ist bei keiner Droge unter Strafe gesetzt, weil man eben davon ausgeht, dass jeder Mensch frei ist in seiner Entscheidung, ob er seinen Körper schädigt oder nicht. Das ist ja auch das Gleiche mit Alkohol und anderen Drogen. Allerdings Besitz, Erwerb, Anbau, Herstellung, Weitergabe, Einfuhr etc. ist unter Strafe gestellt.

Wie werden Verstöße gegen das bestehende Drogengesetz in Bezug auf Besitz geahndet?
Da ist zunächst mal eine gravierende Unterscheidung zu machen, wie das von den unterschiedlichen Strafverfolgungsorganen gehandhabt wird. Grundsätzlich ist es so, dass die Polizei alle Fälle, egal wie groß die Menge ist, verfolgen muss und ermittelt, wieviel der oder diejenige besitzt, wieviel erworben wurde etc. Die Polizei hat also keinen Handlungsspielraum und kann nicht sagen “Wir gehen dem gar nicht nach und stellen die Ermittlung sofort ein”.

Interview mit Jugendrichter über Cannabis
Jugendrichter Thomas Häusler im Interview mit back view

Die erste Behörde, die die Möglichkeit hat, das Verfahren einzustellen, ist die Staatsanwaltschaft. Grundsätzlich ist es so, wenn es sich um Jugendliche handelt, gibt es eine Möglichkeit nach § 45 des Jugendgerichtsgesetzes, bei „geringem Verstoß” das Verfahren nicht zu einer Anklage kommen zu lassen, also nicht zu Gericht zu gehen. Bei Erwachsenen hat man die gleiche Möglichkeit über das Gesetz §153 der Strafprozessordnung. In beiden Varianten erfährt das Gericht davon nichts.

Und was gilt als geringer Verstoß?
Diese Mengen, die als geringer Verstoß ausgelegt werden, werden in den unterschiedlichen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Zu den Mengen, bei denen die Staatsanwaltschaft eine Einstellung vornehmen kann, hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994 ein Urteil gefällt, das sich zum ersten Mal mit dem sogenannten Eigenkonsum oder Eigenbedarf beschäftigt hat. Es handelt sich hierbei nicht, wie die Medien berichtet haben, um einen straflosen Eigenbesitz, sondern ist grundsätzlich immer noch eine Straftat, die aber von den Verfolgungsorganen wie Gericht oder eben Staatsanwaltschaft nicht weiterverfolgt werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Grenze von 6,5 Gramm gesetzt, also reines Gewicht, ohne dass man beim Marihuana den THC-Gehalt misst. Da gibt es jetzt aber eine unterschiedliche Praxis, die sich seit diesem Urteil in den verschiedenen Bundesländern entwickelt hat.

Vor allem die Südbundesländer, also Bayern und Baden-Württemberg, aber auch noch Sachsen und Thüringen, verfolgen das wesentlich schärfer als die Nordbundesländer. In Bayern zum Beispiel wird bei einem einmaligen Verstoß bis zu dieser Grenze das Verfahren eingestellt, aber nur beim ersten Mal! Wenn man ein zweites Mal erwischt wird, egal wie groß die Menge ist, ist die Staatsanwaltschaft eigentlich dazu gehalten zu sagen, dass es jetzt zu einer Anklage kommt. Da gibt es dann aber noch die Möglichkeit, zu dem zuständigen Richter zu gehen und mit dessen Einverständnis das Verfahren einzustellen. In anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, ist die Praxis eher so, dass man sagt, du darfst halt nicht mit mehr erwischt werden. In Berlin vor allem sind aber meistens Mehrfachverstöße, teilweise sogar beliebig oft, gängig, bei denen es zu einer Einstellung kommt. Auch diese Grenze von 6,5 Gramm variiert in den Bundesländern. In Berlin und Hamburg ist die Grenze zum Beispiel auf zehn Gramm hochgegangen.

Was halten Sie von der Behauptung, dass durch eine Verurteilung bei Besitz von Cannabis die Karriere-Chancen stark eingeschränkt werden?
Hängt von der Verurteilung ab. Es gibt Verurteilungen, die nicht eintragungspflichtig sind, dass heißt, die nicht in ein Führungszeugnis eingetragen werden. Hängt aber auch davon ab, für welchen Job man sich bewirbt. In einem Beamtenjob ist zum Beispiel die Einsicht in das Strafregister gängig und da ist so eine Verurteilung eingetragen, also da wird mehr Einsicht gewährt als bei Jobs in der Privatwirtschaft. Es ist grundsätzlich so, dass bei Erwachsenen Verurteilungen ab 91 Tagessätzen, also das heißt drei Monate plus ein Tag Freiheitsstrafe, im Register eintragungspflichtig sind.

Wenn man also beispielsweise wegen eines Betäubungsmitteldelikts zu einer Strafe von 100 Tagessätzen oder zu vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt werden würde, würde das nicht nur im Strafregister, sondern dann auch im Führungszeugnis stehen. Das würde dann auch die Karriere-Chancen einschränken. Ist also stark von der Verurteilung abhängig. Bei Jugendlichen ist die Auskunftspflicht im Führungszeugnis restriktiver, weil man bis zu einem gewissen Grad de Karriere-Chancen der jungen Leute schützen will.

Wie stehen Ihrer Meinung nach die Chancen, dass das bestehende Drogengesetz im Hinblick auf Cannabis gelockert werden könnte?
Ich glaub das schon. Vor allem durch die heißen Diskussionen, die zur Zeit stattfinden. Da gibt es zum Beispiel 150 Strafrechtsprofessoren, die sich für eine Lockerung ausgesprochen haben. Man sieht also, dass diese Diskussionen nicht mehr nur bei den Grünen oder bei den Linken stattfinden, sondern auch andere sagen, dass die Drogenpolitik überdacht werden muss. Ich glaub also sehr wohl, dass es in Zukunft zu Lockerungen, wie immer diese auch aussehen werden, kommen wird und ich glaub auch kommen muss. Ich schätze es schon so ein, dass Verfolgungen gerade bei Jugendlichen zum Teil sehr überzogen gehandhabt werden, wenn man es mit anderen Delikten vergleicht.

Aber ich glaube, dass der Staat es sich nicht antun wird, den Verkauf unter staatliche Kontrolle zu stellen, vor allem wegen der damit verbundenen Gesundheitsschäden. Ich bin da eher skeptisch und auch ehrlich gesagt selber nicht überzeugt davon, dass das der richtige Weg wäre. Meiner Meinung nach wäre es besser, die generelle Strafbarkeit zu belassen, aber dann in der Handhabe eine einheitliche Praxis zu schaffen, wie die Strafverfolgungsorgane mit den jeweiligen Straftaten umgehen. Weil diese unterschiedliche Art und Weise, wie die Bundesländer damit verfahren, darf eigentlich nicht sein und ist meiner Meinung nach auch nicht rechtsstaatlich.

Vor allem, dass in Berlin gesagt wird, wir bestrafen bis zehn Gramm nie und in Bayern werden bei Wiederholungstaten Kleinstmengen abgeurteilt. Ist auch ehrlich gesagt nicht ganz im Sinne des Artikels 3 Grundgesetz, der besagt, dass jeder Mensch vor dem Gesetz gleich ist. Man sollte eine bundeseinheitliche Handhabe schaffen und nach einer Art Einstellungskatalog eine bestimmte Grammzahl festlegen. Zusätzlich sollte man noch eine Untersuchung bei größeren Mengen festlegen, die den THC-Gehalt misst, da das THC ja die Droge in sich, also die eigentliche Droge darstellt. Wenn der THC-Gehalt nämlich sehr niedrig ist, dann macht auch ein hartes Urteil bei großen Mengen eher keinen Sinn. Man sollte auch einheitlich festlegen, wie viele Verstöße man quasi „frei“ hat, bevor man das erste Mal strafrechtlich belangt wird.

Ich glaube auch nicht, dass das bei ein, zwei oder drei Fällen liegen kann, wenn es sich jeweils um Kleinstmengen handelt. Auch die Praxis der Durchsuchungen sollte meiner Meinung nach geändert werden. Derzeit ist es zum Beispiel so, dass, wenn man jemanden mit einer geringen Menge aufgreift, dass das eigentlich grundsätzlich dazu führt, dass diese betroffene Person dann mit einer Hausdurchsuchung rechnen muss. Das hat halt auch entsprechende Folgen, würde ich jetzt mal sagen, vor allem auch für die betroffene Familie. Da wird dann auch der Artikel des Grundgesetzes „der Unverletzlichkeit der Wohnung“ nicht wirklich gewahrt, wenn eine Hausdurchsuchung stattfindet, nachdem jemand mit einem Gramm Marihuana oder mit einem angerauchten Joint erwischt wird und dann bei demjenigen zu Hause der Besitz auf den Kopf gestellt wird.

Meines Erachtens sollten solche Durchsuchungen erst stattfinden, wenn davon auszugehen ist, dass diejenige Person mit der Droge einen Handel betreibt, wobei aber die Menge, wenn tatsächlich von Handel auszugehen ist, auch erst auf eine bestimmte Menge X festgelegt werden soll.

(Interview und Foto: Konstantin Schätz)

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