Europa

Boykott der EM durch Politiker

Wie bei jedem größeren internationalen Ereignis wendet sich die Aufmerksamkeit in diesen Woche auf die Ukraine und dem, was dort „falsch” läuft. Um Druck auf die Regierung in Kiew auszuüben, rief Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Boykott der EM auf. Doch würde dies die Situation verändern?


Die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko befindet sich derzeit zum zweiten Mal in Haft. Bereits 2004 wurde sie wegen angeblichem Amtsmissbrauch und Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe verurteilt. Doch wie passen die Forderung nach der Freilassung Timoschenkos und die Bemängelung der Menschenrechte in der Ukraine zusammen?

Julia Timoschenko war vor ihrer politischen Karriere erfolgreiche Geschäftsfrau und verdiente mit Gas Millionen. Das aus diesen Geschäften stammende Geld soll sie nicht korrekt versteuert haben, was zu den gegen sie geführten Prozessen führte. Nach ihrer ersten Haft 2004 schien sie geläutert und avancierte zur Oppositionsführerin und trat gegen Korruption und Abhängigkeit ein, wobei gleichzeitig der Prozess wegen Steuerhinterziehung neu aufgerollt wird.
Seit 2009 sitzt sie erneut in Haft und trat am 20. April 2012 wegen der schlechten Haftbedingungen in den Hungerstreik. Was dazu führte, dass unter anderem Bundespräsident Joachim Gauck seine Anreise zur Konferenz Europäischer Staatschefs in der Ukraine absagte.

Erst durch Timoschenko also wurde das internationale Parkett auf die schlechten Haftbedingungen allgemein in der Ukraine aufmerksam. Auch die Lebensbedingungen der breiten Bevölkerung der Ukraine sind sehr schlecht, was die Frage nach Menschenrechtsverletzung aufwirft.
Amnesty International stellte im Mai 2012 seinen neuen alljährlichen Bericht zur Lage der Menschenrechte vor und auch hier zeichnet sich das Genannte ab. Es gäbe keine unabhängige Justiz in der Ukraine – Folter und Misshandlung, auch und gerade von Inhaftierten, würde nicht geahndet.

Auch für Aserbaidschan, wo am Samstag mit dem Eurovision Song Contest ebenfalls ein großes internationales Ereignis stattfand, bemängelt Amnesty International die Beschränkung der Menschen- und Bürgerrechte durch den Staat. Hier gab es während der Veranstaltung allerdings keinerlei Boykottaufrufe.
Lediglich Anke Engelke wagte sich in ihrer Moderation der deutschen Punktevergabe Kritik an der Situation in Aserbaidschan zu äußern. Auch der Kommentator der ARD wies immer wieder darauf hin, sich bewusstzumachen, in welchem Land wir uns gerade befinden und wie sich die Situation dort verhält.

Doch was bringt nun der Boykott der Politiker langfristig für die Veränderung der Situation in der Ukraine? Wahrscheinlich nichts. Das Interesse der internationalen politischen Welt wird nur solange auf die Ukraine gerichtet sein, wie die EM dauert.
Denn, wenn wirkliches Interesse an einer Besserung bestehen würde, müsste dies bereits vorher zum Ausdruck gebracht und Lösungen entwickelt werden. Ein echter Boykott kann das also nicht genannt werden. Ein echter wäre, die Europameisterschaft gar nicht erst in einem Land stattfinden zu lassen, indem die Menschenrechte nicht geachtet werden.


Titelthema zur “Europameisterschaft” vom 30. Mai 2012

Jogis Anti-Elf
Über Titelverteidiger Spanien
Massentiertötungen in der Ukraine
Kommentar zum “Fansein”

(Text: Julia-Friederike Barbier)

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