Sport

„Der Sport ist unheimlich attraktiv”

Der Rollstuhlbasketball macht sich. Noch zählt er vielleicht zu den Randsportarten, doch er ist sehenswert, erfolgreich und energiegeladen. Nichtsdestotrotz werden behinderte Sportler oft noch mit Mitleid konfrontiert – das hat aber keiner von ihnen nötig. back view schaut bei der hiesigen Nationalmannschaft, was diesen Sport so besonders macht.

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Ich stehe am Rand wie beim Rummel am Autoscooter. Es ist laut, die Fahrgestellte donnern aneinander und man meint, dass sich jeden Moment jemand verletzen muss. Sie schwirren umher, wenden blitzschnell, drehen sich nach links, rechts, fahren rückwärts und im nächsten Augenblick rasen sie schon wieder in die nächste Richtung. Sie schreien „Speed! Go, go, go!” oder rufen den Namen ihres Teamkollegen. Sie fallen um und hieven sich wieder hoch, drehen sich um ihre eigene Achse und hinterlassen quietschend Bremsspuren auf dem glatten Hallenboden.

Alles völlig normal
10.00 Uhr: 21 Männer verschiedenen Alters dehnen sich, strecken ihre muskulösen Arme in die Höhe, machen ein paar Würfe auf den Korb und wärmen sich somit auf für die nächsten zwei kommenden anstrengenden Tage. Es ist das erste Selection Camp für die Paralympics in London 2012. Die Athleten kämpfen darum, als einer von zwölf Auserwählten in den Kader berufen zu werden, sich dadurch einen Platz im Nationalteam zu sichern und um sich den wahrscheinlich größten Wunsch eines jeden Sportlers zu erfüllen.

Rollstuhlbasketball, das ist der „most spectacular game on wheels”. Die Sportart ist beliebt und die Regeln sind bekannt. Nicht vieles ist anders als beim ‚Fußgänger‘-Basketball. Der Korb hängt da, wo er immer hängt; das Feld ist so groß, wie es immer ist – nur kleine Abweichungen zum herkömmlichen Reglement sind zu erkennen.
Der wohl bedeutendste Unterschied ist, dass die Sportler auf ihren Rollstuhl angewiesen sind, welcher den individuellen Körpermaßen und Bedürfnissen des Einzelnen angepasst wurde. Doch auf diesem Leistungsniveau erkennt man sofort, dass das Fahrgestell viel mehr ist als ein Fortbewegungsmittel. Es wird als Sportgerät eingesetzt, wie die Schlittschuhe beim Eishockey oder der Schläger beim Golfen.

Das beste Team – nicht die besten Sportler
Im allgemeinen Rollstuhlbasketballsport spielen Frauen und Männer, Behinderte und Nichtbehinderte zusammen. Das Nationalteam der Rollstuhlbasketballer ist allerdings den eingeschränkten Sportlern vorenthalten. Für Chancengleichheit und Gerechtigkeit sorgt ein funktionelles Klassifizierungssystem, das die Spieler in einer Skala von 1,0 Punkten für Spieler mit einem hohen Grad der Behinderung – wie das zum Beispiel bei einer Querschnittslähmung der Fall sein kann – bis 4,5 Punkten für Nicht- und Minimalbehinderte, einteilt.

Auf dem Spielfeld darf nur eine Summe von 14,0 Klassifizierungspunkten zusammenkommen. Die Spieleraufstellung erfordert also überlegte Entscheidungen des Headcoachs. Für das Nationalteam der Herren übernimmt dies Nicolai Zeltinger. Er steht mit seiner Trillerpfeife in der Sporthalle und zeichnet mit einem grünen Folienstift die nächsten Spielabläufe auf die Tafel. „Es ist immer die Frage, ob man die besten Spieler auswählt, oder ob man das beste Team zusammenstellen möchte”, erklärt der Bundestrainer.

Begleitet wird er unter anderem von Markus Ocasek, dem langjährigen Techniker der Nationalmannschaft, der gerade den Katalog nach neuer Teamkleidung durchblättert, bevor er den nächsten Reifen aufpumpen oder den Spielern bei den technischen Einstellungen ihrer Rollstühle behilflich sein muss. Er ergänzt: „Man spürt hier in Wetzlar einen großen Konkurrenzkampf, schließlich geht es um die Paralympics. Aber trotzdem haben wir eine harmonische Stimmung. Alle gehen fair miteinander um. Genau das macht das beste Team aus. Nur mit dem wird man erfolgreich.”

Auch wenn es manchmal heftig kracht: Es ist nicht ganz wie beim Autoscooter: Die Rollis wissen genau, was sie tun. Und sie sind dabei wahnsinnig erfolgreich. Rollstuhlbasketball ist mittlerweile weitaus mehr als ein Therapiesport. Es ist eine Lebenseinstellung.

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“Ich nehme den Rollstuhl gar nicht mehr wahr”
Ich spreche mit Sebastian Wolk, der seit letztem Jahr Kapitän des Nationalteams ist, neongrüne Schuhe und ein blaues Sweatshirt mit einer ‚Nowitzki‘-Aufschrift trägt. Wir treffen uns in einem Hotel in Wetzlar. Es ist spät. Seit zwölf Stunden sind die Athleten dabei, ihre Wurftechnik zu verbessern, ihre Schnelligkeit zu messen oder ihre Leistung durch Videoaufnahmen zu analysieren. Doch Wolk lächelt trotz seiner Müdigkeit. Er redet gerne über seinen Sport, der eine große Rolle in seinem Leben einnimmt.

back view: Haben Sie und Ihre Teamkollegen neben dem Rollstuhlbasketball überhaupt noch Zeit für etwas anderes?
Sebastian Wolk: Ja, fast alle arbeiten nebenher, sind Studenten oder sogar noch Schüler. Vereinzelte sind aufgrund ihrer Behinderung Frührentner. Aber abgesehen vom Basketball führen wir noch ein normales Leben. Zeitlich gesehen wird das natürlich manchmal sehr eng, weil man neben dem Krafttraining und Spielen auf diesem hohen Level drei- bis viermal die Woche trainieren muss. Andere Sachen müssen da ein bisschen kürzer treten.

Wie kamen Sie eigentlich zum Rollstuhlbasketball?
Ich war schon immer sehr sportlich. Nach der Krankheit hoffte ich, dass ich meine Behinderung dadurch ein bisschen ausgleichen kann, habe aber relativ schnell gemerkt, dass ich keinen Läufer-Sport mehr machen kann. Etwa im Jahre 1999/2000 habe ich mit dem Rollstuhlbasketball bei einer Hobbymannschaft in Darmstadt angefangen, wo es allerdings noch keinen Ligabetrieb gab. Dadurch hatte ich aber wenigstens wieder etwas, wo ich meine Energie heraus lassen konnte.

Betrachtet man die Rollis mittlerweile als ernstzunehmende Höchstleistungssportler?
Die Meisterschaften zeigen, dass das Interesse an dieser Sportart wächst. Das Turnier in Athen war damals mein erstes; da waren die Zuschauerränge schon sehr voll. Peking, wie auch London, sind komplett ausverkauft. Viele sind der Meinung, dass es bei den diesjährigen Paralympics einen Bruch geben wird und der Rollstuhlbasketball noch populärer wird.

Was treibt Sie beim Rollstuhlbasketball an?
Das Team ist sehr familiär. Man spürt den Kampf und die Härte des Spiels, aber gleichzeitig, auch den Spaß, den wir zusammen haben. Es hat einige von uns nach einem Schicksalsschlag begeistert, etwas in die Hand zu nehmen, etwas professional aufzubauen und auf etwas hinzuarbeiten. Ich nehme den Rollstuhl gar nicht mehr wahr. Für mich ist es Alltag und er gehört eben dazu.

Was macht das Nationalteam der Rollstuhlbasketballer so besonders?
Ich glaube, jeder den Rollstuhlbasketball ausführt, hat sein Schicksalsschlag überwunden. Er ist aktiv und nimmt einen Weg nach vorne. Es gibt alle möglichen Krankheiten oder Unfälle, wodurch Einzelne an einen Rollstuhl gebunden sind. Doch das liegt bei uns in der Vergangenheit, wir haben es hinter uns gebracht. Sonst würden wir heute nicht da stehen, wo wir jetzt sind.

Gibt es auch persönliche Fragen, die Sie nicht so gerne hören?
Ich hatte mit etwa 14 Jahren eine Tumorerkrankung. Mittlerweile gehe ich sehr offen mit meiner Behinderung und meinem Problem, dass ich nicht so gut laufen kann, um. Es stört mich nicht, wenn Leute mich ansprechen, weil ich gelernt habe, darauf angemessen zu reagieren. Ich bin allerdings sehr froh, wenn sie Interesse an meinem Sport zeigen.

Was war für Sie der größte persönliche und sportliche Erfolg?
Als Team feiert man die größten Erfolge. Ich erinnere mich zum Beispiel gerne an die Qualifikation für Peking im Jahr 2007. Da hatten wir beim Heimspiel um Platz 3 gegen Israel eines unseren besten Spiele, als wir 16 Punkte zurück lagen und dann vor einem großen Publikum doch noch gewannen. Natürlich war ich auch stolz, als ich letztes Jahr zum Kapitän der Mannschaft nominiert wurde und wir durch die gute Zusammenarbeit untereinander und mit dem neuen Staff und Trainerstab Vize-Europameister wurden.

Was wünschen Sie sich von der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit in Ihrem Sport?
Ich denke, dass sich vor allem im Ligabereich noch etwas tun muss und die einzelnen Vereine ihre Tätigkeit mehr publik machen sollten. Außerdem erhoffe ich mir, dass große Sportzentren, wie eurosport oder Sport:1 mehr hinter den Rollis stehen und Spiele zum Beispiel komplett übertragen. Der Sport ist unheimlich attraktiv. Anhand einzelner Ausschnitte erkennt man vielleicht noch nicht die Energie, die dahinter steckt, aber wenn man mal ganze Spiele verfolgt, begeistert es einen als Zuschauer grundsätzlich.

Sebastian Wolk, vielen Dank für das Interview.

(Text und Fotos: Christina Hubmann)

 

Christina H.

Christina wollte eigentlich mal Busfahrer werden, ehe sie sich entschloss, doch "irgendwas mit Medien" zu machen. Schreiben tut sie nämlich schon immer gern. Und wie das Leben ohne dieses Internet funktioniert hat, fragt sie sich schon seit Längerem - erfolglos.

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