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Holocaust im Comic

Erinnern ist für Menschen ein lebenswichtiger Akt, um ihre Identität zu verankern, um zu wissen wie sie sind. Um Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen schaffen wir uns Gedächtnisstützen in Form von Gedenkstätten, Museen et cetera. Mit dem Fortschritt der technischen Medien im 20. Jahrhundert kommen die Möglichkeiten des Films, der Fotographien, des Fernsehens usw. dazu. In der Gesellschaft entsteht regelrecht eine Sucht nach Bildern. Heute leben wir in einer Ikonossphäre, unser tägliches Leben ist geprägt von Bildern.[divide]

An dieser Stelle soll das Hauptaugenmerk auf das „neue” Medium Comic gelegt werden. Eine Erzählform, die unter Kinder und Jugendlichen weit verbreitet ist. Erwachsene setzen sich nur noch selten mit ihr auseinander. Das liegt vermutlich an den Vorurteilen, die dem Comic angelastet werden. Er diene der seichten Unterhaltung und besitze nicht genügend erzählerische Ambition. Der Comickünstler Art Spiegelman wählt diese Erzählform für sein Werk „Maus”.  Der Autor ist jüdischer Abstammung. Seine Eltern überlebten beide die KZs Auschwitz und Dachau und wanderten nach dem Krieg von Polen in die USA aus.

Spiegelmans Comic handelt, in drei unterschiedlichen Zeitebenen, über die Erinnerungen seines Vaters an den Holocaust, über dessen beschädigtes Leben als ehemaliger KZ-Häftling und über die Psyche der Nachgeborenen. Das stößt zunächst auf große Skepsis. Ist der Comic eine geeignete Literaturform, um den Holocaust darzustellen? Schließlich soll das Geschehene nicht massenmedial verbreitet werden und gleichzeitig sollen jedoch so viele Menschen wie möglich damit erreicht und konfrontiert werden. Damit steht der Holocaust bereits im Konflikt. Wie stellt man ihn dar? Wie erinnert man „richtig”? Nutzt Spiegelman diese Form, weil es sein Beruf, sein Tagesgeschäft, oder ist er sich dem Potential, welches im Comic steckt bewusst?

Spiegelman entzieht sich der ewigen Diskussion über die Nichtdarstellbarkeit des Holocausts durch die Verfremdung mithilfe der Tiermetaphorik und die Vermeidung von Ästhetisierung mithilfe monochromatischer Darstellung.

Er greift die Propaganda des Zweiten Weltkrieges, Juden sind Ratten und verteilen die Pest in den Städten, auf und untergräbt sie. Er zeichnet Juden als Mäuse, Polen als Scheine und Deutsche als Ratten. Auf der einen Seite wird hier explizit deutlich wie schwierig es ist die Shoa darzustellen, auf der anderen erzeugt Spiegelman somit eine Distanz zwischen Autor und Werk und zwischen Werk und Rezipient. Er ermöglicht es dem Leser sich der Geschichte anzunähern, ohne übliche Betroffenheitsgestiken an den Tag zu legen.

Die monochromatische Darstellung dient nicht nur dem Wirklichkeitseffekt, da unser Gedächtnis schwarz-weiß unbewusst mit Authentizität verbindet, sondern auch dazu die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu lenken und nicht durch Farbgebung abzulenken. Der minimalistische Zeichenstil, der sich dem Cartoon annähert, verhilft dem Leser zu Identifikation mit den Charakteren. Dieses Phänomen liegt in der Domäne des Cartoons.
Um die Psyche der zweiten Generation zu beleuchten, verwischt der Autor an mehreren Stellen im Werk die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Besonders deutlich wird dies durch die Widmung des Comics an seinen verstorbenen Bruder, der Opfer der Nazis wurde, und seiner eigenen Tochter. Spiegelman weist darauf hin, dass das Geschehene für die Gegenwart nicht abzulösen ist und selbst die dritte Generation damit zu kämpfen hat, die nachgeborene zu sein.

Der Comickünstler lässt eine Diskussion über die Legitimität seiner Arbeit gar nicht erst aufkommen. Von Beginn an erklärt er, da er der Generation der Nachgeborenen angehöre, sei er dazu gezwungen etwas inauthentisches zu machen.

Es gelingt ihm durch das Offenlegen der Inauthentizität eine neue Authentizität zu schaffen, die Realismuseffekte erzielt. Der Künstler will nicht nur ein Publikum mit einem Stoff konfrontieren, der zu leicht verdrängt wird, sondern auch von einer neuen Kunstform überzeugen.

Er nutzt die Stilmittel, die ihm durch den Comic geboten werden, gekonnt, um das Potential, das in der Kunst steckt völlig auszuschöpfen. Die These nach der Einzigartigkeit des Holocausts scheint eine einzig richtige Darstellung zu verlangen. Doch weil sich die Shoa allgemeinen Darstellungen, Vorstellungen und Sinn entzieht, ist der Holocaust auf Vielfältigkeit angewiesen. An dieser Stelle sollte man auch die neuen Medien dazu nutzen. Nicht zuletzt den Comic, dem es gelingen könnte ein größeres und eventuell auch jüngeres Publikum anzusprechen. Bilder werden bekanntlich am ehesten konsumiert. Vielleicht setzen sich Menschen leichter mit dem Stoff in Form eines Comics, als in Form eines 500-Seiten Buches auseinander

Art Spiegelmans „Maus” beweist, dass es ein Irrglaube ist, dass Comics stets trivial und banal sind, sondern er kann auch berühren, ergreifen und auch tragische Geschichten mit ernstem historischen Inhalt vermitteln helfen.

(Text: Annabel Brückman)

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