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Entführungsopfer kehrt nach Deutschland zurück

Es war ein großer Schock für die Mitarbeiter der Hilfsorganisation „ora international“ als Christina Meier, Leiterin der Außenstelle in Kabul, am vergangenen Samstag entführt wurde. Nach über 30 Stunden kam die erlösende Nachricht: Die Kollegin aus Süddeutschland ist frei und unversehrt. Einen Tag nach der offiziellen Pressekonferenz erklärte sich Geschäftsführer Matthias Floreck zu einem persönlichen Gespräch mit back view bereit.
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Langsam kehrt Ruhe in der Zentrale von „ora international“ ein – doch von Alltag kann noch lange keine Rede sein. In regelmäßigen Abständen klingelt das Telefon und Anfragen von Journalisten stapeln sich auf den Schreibtischen. In den letzten Tagen herrschte Ausnahmezustand in dem Gebäude am Rande des Gewerbegebietes der hessischen 24000-Einwohner-Stadt Korbach: Am Samstagnachmittag ereilte die Angestellten die Nachricht, dass ihre Kollegin Christina Meier, Büroleiterin von „ora international“ in Kabul beim Mittagessen mit ihrem Mann entführt wurde.

Eigentlich galt die Gegend, in der sich das Restaurant befindet, als sicher. Über 30 Stunden bangten die deutschen Kollegen um das Leben der 31-jährigen Frau bis am späten Sonntagabend bekannt wurde, dass ein Zugriff der afghanischen Polizei erfolgreich verlief und die Schwangere unverletzt in Sicherheit gebracht werden konnte.

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Eine Mischung aus Erleichterung und Anspannung ziert die Gesichter der Mitarbeiter: Erleichterung, über den glimpflichen und schnellen Ausgang der Entführung ihrer Kollegin Christina Meier und eine Anspannung, die wohl erst von ihnen abfallen wird, wenn alle Telefone verstummt und alle Anfragen abgearbeitet sind.

Derselbe Ausdruck ist auch bei Geschäftsführer Matthias Floreck zu erkennen. Deutlich gekennzeichnet von den letzten Tagen und mit klingelndem Handy in der Hand begrüßt er die Redakteurin von back view in den Räumlichkeiten von „ora international“. Wissend lächelnd, dass keine Frage auf ihn zu kommen wird, die er in der Vergangenheit noch nicht hunderte Male beantwortet hätte, schaltet er sein Handy, nach kurzem Gespräch, auf lautlos und stellt sich bereitwillig dem „Verhör“ von back view:

back view: Herr Floreck, hatten Sie inzwischen persönlich Kontakt zu Christina Meier? Wie geht es ihr?
Matthias Floreck: Ich habe mit Frau Meier nicht gesprochen, die Verbindung ist über unseren Internationalen Direktor hergestellt worden. Wir haben ganz bewusst den Kontakt zu ihr minimal gehalten: Zum einen wird sie vom Auswärtigen Amt abgeschirmt, zum anderen war es, obwohl es ihr gut geht, ein traumatisches Erlebnis und sie muss das natürlich erstmal verarbeiten.

back view: Laut Nachrichten soll sie im Laufe des Tages nach Deutschland zurückkehren? Wissen Sie mehr?
Floreck: Die Informationen, die wir haben, sind sehr limitiert. Sie wird wohl heute irgendwann ausgeflogen, wir wissen aber nicht wo und wann sie landet. Für die nächsten Tage wird sie dann erstmal an einen unbekannten Ort untergebracht und betreut.

back view: Eine Entführung gab es ja seit Gründung Ihrer Organisation noch nicht, gab es schon einmal einen ähnlich kritischen Fall
Floreck: Nein. Das war das erste Mal, dass wir eine Krisensituation bei einem Projekt mit ausländischen Mitarbeitern hatten.

meierchristina.jpgback view: Christina Meier scheint ja an ihrer Umgebung sehr angepasst gewesen zu sein und sich zudem in einem sicheren Stadtteil aufgehalten zu haben – hätte man Ihrer Meinung nach die Entführung verhindern können?
Floreck: Es ist immer schwierig im Nachhinein darüber zu sprechen, was man hätte anders machen können. Das Stadtgebiet gilt als sehr sicher und die Polizei fährt dort regelmäßig Streife. Sie war sogar bei der Entführung umgehend auf der Fährte der Entführer. Unsere Einschätzung ist, dass man so was nicht 100% verhindern kann und sich Frau Meier sehr sensibel verhalten hat. Man muss aus solchen Situationen natürlich lernen. Unsere Sicherheitsvorkehrungen werden wir komplett überarbeiten und unsere Maßnahmen eventuell an der einen oder anderen Stelle verschärfen.

back view: Kann man hier eine Verbindung zu den politischen Problemen von Deutschland und den radikalen Gruppierungen in Afghanistan ziehen?
Floreck: Ich denke, dass diese Entführung direkt keinen politischen Hintergrund hatte – das ist soweit auch allgemein bekannt. Eventuell wurden die Täter durch die vorherigen gelungenen Entführungen ermutigt, allerdings hatte dieser Fall selbst ein rein kriminelles Motiv. Deshalb denken wir, dass es Zufall war, dass es unsere Mitarbeiterin getroffen hat. Von der Caritas haben wir schon gehört, dass sie sich davon nicht beeindrucken lässt – ich denke mal, dass ist die richtige Einstellung.

back view: Werden Ihre Mitarbeiter denn speziell geschult, damit sie auf den Ernstfall vorbereitet sind?
Floreck: Ja, es gibt verschiedene Schulungsprogramme. Die Anweisungen werden immer wieder durchgegangen und erneuert. Außerdem gibt es Manuals, die erklären wie sich die Mitarbeiter im Notfall zu verhalten haben. Unsere Mitarbeiterin hat sich den Umständen entsprechend sehr gut verhalten und ist, möglicherweise auch deshalb, unbeschadet herausbekommen. Wir waren etwas besorgt, als es hieß, dass es zu einer Befreiungsaktion kommen könnte – wir hatten befürchtet, dass möglicherweise Blut fließt. Glücklicherweise ist aber alles gut gegangen.

back view: Spricht Frau Meier denn die Sprache, dass sie sich mit den Entführern verständigen konnte?
Floreck: Ja. Sie war fast zwölf Monate in Afghanistan und hat sich die Sprache schnell angeeignet. Eine intensive Auseinandersetzung mit der Kultur, in der man einige Jahre verbringen möchte ist bei uns eine Voraussetzung, vor allem die Sprachausbildung.

back view:Ist denn etwas darüber bekannt, wie sie von den Geiselnehmern behandelt wurde während der immerhin über 30-stündigen Gefangenschaft?
Floreck: Ja. Bei den Telefonaten mit ihrem Mann gab sie an, gut behandelt zu werden. In wie weit das stimmt, muss abgewartet werden, bis sie sich intensiver dazu äußert. Allerdings glaube ich nicht, dass sich die Angaben als falsch herausstellen werden. Sicher ist schon, dass sie nicht geschlagen wurde und körperlich wurde sie auf keinen Fall misshandelt.

back view: Wie kann man sich die Arbeit von Frau Meier und ihren Mitarbeiterin im afghanischen Büro in Kabul vorstellen?
Floreck: Christina Meier ist ja Diplom-Betriebswirtin. Man muss sich das so vorstellen, dass es in einem Büro wie dem in Kabul mit über 50 lokalen Mitarbeitern sowie einem Team aus knapp 20 ausländischen Mitarbeitern inklusive der Familienmitglieder, viel zu organisieren gibt. Die Finanzierung solcher Projekte läuft häufig über externe Partner. Deshalb werden unter anderem Finanzprotokolle und Reporte geschrieben. Außerdem müssen administrative Aufgaben gelöst werden. Ich kenne zwar Frau Meiers Tagesablauf nicht im Detail, aber sie war verantwortlich für die Koordination und den reibungsloser Ablauf im Büro.

back view: Welche Schwerpunkt haben Sie sich bei Ihrer Entwicklungshilfe in Afghanistan gesetzt?
Floreck: Ein Programm ist die Gesundheitserziehung, darunter die Bekämpfung von AIDS: So haben wir zwei Kliniken, wo wir im Schwerpunkt Frauen und Kinder behandeln, aber nicht nur. Außerdem wir ein Projekt mit Frauengruppen: Diese bekommen dann kleine Kredite, sie lernen gemeinsam zu sparen, ein Geschäft zu führen und sich so eine Lebensgrundlage aufzubauen.

back view: Hat sich denn Frau Meier schon in irgendeiner Richtung geäußert, ob sich nach einer Auszeit zurück nach Afghanistan möchte?
Floreck: Nein, sie hat sich in dieser Hinsicht noch nicht geäußert. Das ist aber auch vollkommen verständlich und eine Nebensache. Erstmal ist es wichtig, dass sie zur Ruhe kommt und sich erholt. Außerdem steht in einigen Monaten, sie ist ja jetzt nicht hochschwanger, auch die Geburt des Kindes an. Ich denke, dass sie dann mit ihrem Ehemann gemeinsam entscheiden wird, wie ihre Zukunft aussieht soll.

back view: Wie geht es mit Ihrer Arbeit weiter? Steht eventuell ein Rückzug aus Afghanistan bevor?
Floreck: Wir können da jetzt noch keine endgültige Aussage treffen. Unser Team haben wir erstmal in einem sicheren Haus untergebracht und es wird sich in den kommenden Tagen sehr bedeckt halten. Jedoch werden die Mitarbeiter ihre Arbeit demnächst erstmal wieder aufnehmen. In den Kliniken gibt es zurzeit eine Notbesetzung um eine Grundversorgung zu gewährleisten. Was wir dann wirklich in Zukunft machen, haben wir noch nicht entschieden. Aber einen sofortigen Rückzug nach dem Motto „Wir packen unsere Sachen und fliegen“ wird es nicht geben.

back view: Wird sich der Vorfall auf Ihre Arbeit in anderen Ländern auswirken?
Floreck: Bis auf die Tatsache, dass wir unsere Sicherheitsstandards überarbeiten werden, nicht.


Herzlichen Dank für das Interview, Herr Floreck

(Text/Fotos: Kristin Heck und “ora international”)

 

 

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