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Angriff von Linksaußen?

Wer an Antisemitismus denkt, dem geistern unweigerlich die grausamen Genozide des Dritten Reiches durch den Kopf. Der Judenhass gipfelte in den Konzentrationslagern und der systematischen Eliminierung. Doch der Blick auf Antisemitismus darf nicht nur nach rechts gehen: Auch von Linksaußen der Gesellschaft wird oftmals antisemitisches Gedankengut verbreitet. Aber was versteckt sich hinter diesem linken Antisemitismus?


Mitte des letzten Jahres war die Linkspartei in die Schlagzeilen geraten, unter anderem weil die Abgeordnete Inge Höger auf einer Palästina-Konferenz mit einem Schal auftrat, der die Karte des Nahen Osten ohne Israel zeigte. Zuvor war unter kuriosen Umständen bereits auf der Homepage der Partei ein Essay unter dem Titel „Antisemiten als Koalitionspartner” erschienen. Inhalt des Textes waren zahlreiche diffamierende, generalisierende Phrasen.

„Kauft keine israelischen Waren”
Auch der Aufruf eines Duisburgers Kreisverbandes der Linken, keine israelischen Produkte mehr zu kaufen, sorgte für Aufruhr. So zerstritt sich die Partei dann in der Folge mit dem Zentralrat der Juden. Gregor Gysi, seines Zeichens Kopf, Denker und Lenker der Linken, musste sich alle Mühe geben, um die Wogen zu glätten. Bereits 2008 hatte er sich in einer imposanten Rede vom Antisemitismus distanziert und vielmehr eine Solidarität mit Israel gefordert.

Dass die Linken ein streitfreudiges Volk sind, ist nicht erst seit dieser Debatte offensichtlich. Eine Homogenität ist für das immer mal wieder wankende Schiff Linkspartei nicht in Sichtweite. Doch die Frage bleibt, woher dieser linke Antisemitismus kommt. Er ist beileibe kein singuläres Phänomen, das nur dieser Partei zugeschrieben werden kann. Ein Streifzug durch die Geschichte kann bei der Aufklärung helfen.

1952 hieß es von der SED: „Die zionistische Bewegung hat nichts gemein mit den Zielen der Humanität und wahrhafter Menschlichkeit. Sie wird beherrscht, gelenkt und befehligt vom USA-Imperialismus, dient ausschließlich seinen Interessen und den Interessen der jüdischen Kapitalisten”.
Die DDR-Linken sahen in den Machthabern des jüdischen Staates Israel also eine US-Marionette. Der Imperialismus-Begriff erlebte zur Zeit des Kalten Krieges Hochkonjunktur und gehörte zum elaborierten Sprachgebrauch. Judentum wurde in dieser SED-These gleichgesetzt mit dem Kapitalismus. Eine sehr simplifizierte Sichtweise auf ein Volk und eine Gesellschaft offenbart sich darin.

Antizionismus und Antisemitismus

Doch der aufmerksame Leser erkennt hier auch ein Merkmal, das die Analyse der Antisemitismus-Debatte erleichtert. Die SED sprach von einer zionistischen Bewegung – keine semitische. Eine Unterscheidung zwischen Antizionismus und Antisemitismus scheint demnach unweigerlich.
Der Antisemitismus geht zurück auf den judenfeindlichen Schriftsteller Wilhelm Marx aus dem Jahre 1890. Er umschreibt eine grundsätzliche Judenfeindlichkeit. Es ist eine Art Sammelbegriff, der Juden negative Eigenschaften unterstellt und dadurch eine Abwertung derer und gleichzeitige eine Aufwertung des eigenen Selbst legitimieren soll.

Der Antizionismus hingegen geht vor allem auf die Ablehnung der Gründung des Staates Israels zurück. Die zionistische Bewegung strebt nach jahrhundertelanger Diaspora einen eigenen Staat an. Diesen verkörpert Israel, wobei die Antizionisten den Weg hin zur Gründung kritisieren. Ein künstliches Gebilde sei dieser Staat, auf dem zahlreiche Blutspuren zu finden seien – so heißt es meist.

Die historischen Wurzeln des Antizionismus
Dieser Antizionismus ist vor allem in der arabischen Hemisphäre verbreitet. Der Staat Israel wurde für die Palästinenser zum Nakba, zum Unglück. Am 14. Mai 1948 wurde Israel unter freudiger Mitgestaltung der USA, aber auch der Sowjetunion gegründet. England hatte sich als vorheriger Mandatsträger bis auf die Knochen blamiert. Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges buhlten Palästinenser wie Juden um die Gunst der Engländer.

Beiden wurden Versprechungen gemacht, beide sahen – und sehen sich auch heute noch – als legitime Anwärter auf das Heilige Land. Doch England war vollends unfähig, diesen Konflikt zu befrieden und wurde abgelöst. Letztendlich entschied auch die jüdische Wählerschaft in den USA über den Pro-Israel-Kurs der US-Regierung. Entstanden war ein jüdischer Staat, dem von Beginn an die Anerkennung der Palästinenser und weiten Teilen der Arabischen Liga fehlte.
Kritikpunkt war die ungerechte Verteilung des Landes. Für die Palästinenser schien es so, als würden die Zionisten den fruchtbaren Teil der Region zugeteilt bekommen. Wohingegen den Palästinensern der trockene Boden zuteilwurde. Produkt dessen war ein erster Unabhängigkeitskrieg, der bis 1949 dauerte. Die arabischen Staaten erklärten Israel den Krieg, verloren jedoch und mussten in der Folgezeit weiteres Land einbüßen. Zudem wurden Hunderttausende Palästinenser vertrieben und umgebracht.

Verquickung von RAF und arabischen Attentätern
Die Politik der beidseitigen Konfrontation gipfelte dann in den Kriegen 1956 um den Suez-Kanal und dem Sechstagekrieg im Jahr  1967. Israel vergrößerte sein Land, die Palästinenser antworteten mit stetigem Terror der Fedajins. Eben jene Fedajins, die Attentäter, waren es, die die Mitglieder der Roten Armee Fraktion Jahre später in Trainingscamps unterstützten und schulten.
Eine Verquickung von deutschem, linken Gedankengut und dem Hass auf den israelischen Staat war hier erstmals zu finden. Nicht erst mit der Flugzeugentführung von 1976 solidarisierten sich beide Seiten. Die Keffiyeh, das schwarz-weiße Halstuch, wurde zum Symbol des Widerstandes und dem Wahrzeichen des linken Spektrums der Gesellschaft.

Und so schließt sich der Kreis in gewisser Hinsicht zu den aktuellen Diskussionen rund um die Linke und den linken Antisemitismus. Auch heute noch wird die Gründung Israels mehr als kritisch betrachtet. Die teils völkerrechtswidrigen Konflikte lassen die Kritik wachsen. Doch auch die Palästinenser sind mit dauerhaftem Raketenabfeuern keine Aspiranten auf den Friedensnobelpreis.

Eine komplizierte Lage, die sich über beinahe zweitausend Jahre entwickelt hat. Die Linke will zur Befriedung die Hamas in Gespräche einbinden, was jedoch unter dem Tenor, dass man nicht mit Terroristen verhandeln würde, abgelehnt wird.
Der linke Antisemitismus kann also ohne die antizionistische Komponente nicht betrachtet werden. Die Kritik kapriziert sich auf die Innen- und Außenpolitik des Staates Israel, der auch heute noch als Staat unter US-Gnaden gesehen wird.

Ab wann beginnt Antisemitismus?
Es bleibt die Frage, ab wann eine Israel-Kritik antisemitisch, beleidigend und generalisierend ist. Was darf man noch sagen? Die Umstände der Staatsgründung müssen kritisch reflektiert werden. Auch der Siedlungsbau und die Vertreibung der Araber müssen zum Nachdenken anregen.
Wer mit einem Keffiyeh herrumläuft, ist nicht zwangsläufig ein Antisemit. Auch, wer auf einem Frachter mitfährt, der humanitäre Hilfe für Palästina abzuladen versucht, schäumt nicht zwingend vor Israelhass.

Doch wer mit dem Finger auf einen einzelnen Juden zeigt und daraus eine grundsätzliche Ablehnung gegenüber dem Judentum ableitet, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die schwierige Lage nicht reflektiert und differenziert zu analysieren.
Beide Völker pochen auf das Land, das derzeit vor allem Israel besetzt hält. Doch die Konstellation ist zu verschachtelt und historisch gewachsen, als dass man darauf mit stumpfen, dümmlichen Parolen reagieren könnte, die erschreckende Parallelen zum Antisemitismus des Dritten Reiches aufweisen.

(Text: Jerome Kirschbaum)

Jerome K.

Jerome schreibt am liebsten über Sport, wenn er denn nicht selbst auf einem Platz steht. Seit Oktober 2010 verdingt sich Jerome als Schreiberling für back view, neben den Leibesübungen widmet er sich sich auch politischen Themen. Im wahren Leben musste Jerome zahlreiche Semester auf Lehramt studieren, um dann schlussendlich doch etwas ganz anderes zu werden.

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