Warum jeder einmal alleine wohnen sollte
Ein Kommentar von Sophie-Isabel Gunderlach
Wer kennt das nicht: Es ist Sonntagabend, die Zeit, in welcher die Leute zusammen sitzen, Tatort schauen und sich gemeinsam ĂŒber das vergangene Wochenende unterhalten. Und die Zeit, um das imaginĂ€re Kreuz in Gedanken an den Montag und die wieder beginnende Woche zu schlagen.
In dieser â zugegeben ziemlich idealistischen â Beschreibung steckt die Voraussetzung, dass da jemanden ist, mit wem man sich Sonntags austauschen und unterhalten kann. NatĂŒrlich, man muss nicht mit jemandem zusammen wohnen, um einen gemeinsamen Sonntagabend zu verbringen und sicherlich schaut nicht jeder Tatort. Aber ist dies eine Zeit oder ein Abend, an welchem deutlicher als an anderen der Kontrast ausfĂ€llt, wenn die Wohnung leer ist und ich allein auf dem Sofa sitze und allein die letzten ZĂŒge des Wochenendes auslebe.
Das Wort âalleinâ ist in diesem Kontext nicht negativ besetzt
Die hĂ€ufige Verwendung des Wortes âalleinâ mag nun erst einmal negative Assoziationen auslösen. Wir Menschen sind nun einmal soziale Wesen und ohne soziale Interaktion sind wir nicht ĂŒberlebensfĂ€hig. Trotzdem ist dieses bewusste âallein seinâ nichts Negatives und eine wichtige Erfahrung, welche jeder einmal im Leben machen sollte. Im Vordergrund steht dabei nicht das einsame Sitzen auf dem Sofa. Nein, es geht darum, selbst Verantwortung zu ĂŒbernehmen und den hĂ€uslichen Alltag mit niemandem â auĂer einem selbst â abzustimmen.
Im ersten Moment ist das eine schwierige Sache. Jeder, der von Zuhause auszieht, steht zu Anfang auf ziemlich verlorenem Posten. Ja, auch diejenigen, die nach AuĂen immer nur betonen, wie cool sie alles meistern und dann am Wochenende Mama und Papa mit drei SĂ€cken WĂ€sche und dem Kommentar: âDamit Euch nicht langweilig wird.â Ăbersetzung: âIch habe Euch unglaublich vermisst und wie ist das nochmal mit dem Farben trennen?â ĂŒberraschen.
Es ist befreiend, niemandem Rechenschaft ĂŒber die eigene Zeit ablegen zu mĂŒssen
Doch irgendwann â im Tempo eines jeden einzelnen, denn jeder braucht unterschiedlich viel Zeit, um sich anzupassen â kommt die Erkenntnis: Es hat auch etwas befreiendes, niemandem Rechenschaft ĂŒber die eigene (freie) Zeit ablegen zu mĂŒssen. Ich habe jetzt keine Lust, abzuwaschen â okay, dann mache ich das jetzt nicht und niemand beschwert sich. Kampf um die Fernbedienung… was ist das?
Ich habe das Recht, mich völlig gehen zu lassen â und genau darum geht es im Kern: Das Lernen, dass die alleinige Tatsache, dass ich machen kann, was ich möchte, kein Freifahrtsschein ist, alles Unangenehme liegen zu lassen. Eben auch die Sachen, auf die ich keine Lust habe, zum Leben dazugehören und vor allem, dass ich mich â alleine â darum kĂŒmmern muss.
FĂŒr die einen ist das nicht das Saubermachen, sondern beispielsweise das Reparieren von Kleinigkeiten. Plötzlich muss ich mich selbst darum kĂŒmmern, wenn eine GlĂŒhbirne kaputt ist und in diesem Zusammenhang feststellen: Oh, da sollte man auch immer ein paar im Haus haben, fĂŒr den Fall der FĂ€lle. Wer mal im Dunkeln saĂ, wird das nie mehr vergessen. Und die anderen, welche die erste Woche alles stehen lassen und noch kein SpĂŒlmittel gekauft haben, werden mit der Zeit erkennen, es ist nicht so toll, wenn das dreckige Geschirr ein Eigenleben entwickelt.
Der Lerneffekt ist enorm
Dieser Erkenntnis â nichts zu machen, schadet am Ende vor allem einem selbst â ist wichtig. Vor allem auch, damit wir spĂ€ter mit anderen gut zusammenleben können. Denn wenn der Partner zwei Wochen nach dem Zusammenziehen feststellt, er wohnt jetzt mit einem Messie in einer Wohnung, kann auch die stĂ€rkste Beziehung aus den Fugen geraten. Des Weiteren ist es auch deshalb wichtig, weil Viele sonst das GefĂŒhl befĂ€llt, etwas verpasst zu haben. Wer direkt nach dem Elternhaus mit dem Freund oder der Freundin zusammenzieht, der wird nie wissen, wie es ist, einmal wirklich mit sich selbst klar kommen zu mĂŒssen.
NatĂŒrlich, Viele werden nun sagen, dass brauche ich auch nicht. Doch ist unbestreitbar: Am besten lerne ich mich selbst kennen, wenn ich mit mir alleine bin. Ist die Spinnenphobie so ausgeprĂ€gt, wie bisher gedacht? Oder schaffe ich es doch, mir die Peinlichkeit, diesen Raum nie wieder zu betreten, durch ein âAugen zu und durchâ zu ersparen? Bei IKEA sieht alles toll aus, steht das Regal nun auch nach dem Kampf in den eigenen vier WĂ€nden oder muss am Ende doch ein StĂŒck Pappe untergeschoben werden, um das Wackeln zu stoppen?
Der trĂŒgerische WOW-Gedanke
Ich lerne auĂerdem, mir meine Zeit selbst einzuteilen. Das vertraute GerĂŒst von gemeinsamen Mahlzeiten um eine bestimmte Uhrzeit, wann ich ins Bett gehen sollte, dies fĂ€llt alles weg. Im ersten Moment kommt der âWow-Gedankeâ. Doch wenn ich nach ewigem Fernsehen, Stunden vor dem Computer oder dem Lesen eines ganzen Buches an einem Nachmittag feststelle: âMist, die WĂ€sche ist immer noch da, der Staubsauger sollte auch mal wieder benutzt werden und der KĂŒhlschrank ist leerâ â dann werde ich das nĂ€chste Mal vielleicht ein anderes Zeit-Management einhalten.
Diese Erfahrungen sind wichtig fĂŒr die persönliche Entwicklung. Sie gehören zu dem so oft betonten âReifeprozessâ dazu. Am Ende erhalten wir auĂerdem einen anderen Blickwinkel. Im RĂŒckblick erscheinen all die Dinge, welche die Jahre ĂŒber nervten, plötzlich nicht mehr so schlimm, oftmals wird das lange beklagte Vorgehen, beispielsweise Ordnungssysteme in der KĂŒche, in den eigenen Haushalt ĂŒbernommen.
Am Ende möchten die Meisten nicht auf Dauer alleine leben. Den Versuch sollte aber jeder mal gewagt haben. Stelle ich fest, das ist nichts fĂŒr mich? Gut, aber wenigstens habe ich es versucht. Und wieder etwas gelernt: Ich brauche dieses GefĂŒhl der âvölligen Freiheitâ nicht. Lieber Ă€rgere ich mich ab und an ĂŒber meine Mitbewohner und Mitbewohnerinnen â dafĂŒr habe ich immer jemanden, der mit mir zusammen aufrĂ€umt, Fernsehen schaut oder einfach nur da ist und sich nach meinem Tag erkundigt.
Dieser Lerneffekt ist vielleicht der Wichtigste von allen, welche man aus dem âalleine Wohnenâ ziehen kann.
(Foto: Tobias Mittmann by jugendfotos.de)
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