100 kleine Siege
Eishockey-Torwart Robert MĂŒller kĂ€mpfte gegen den Krebs
Eine Chemo- und Strahlentherapie rettete ihm das Leben, letztendlich pausierte der Goalie drei Monate. Danach wurde er frenetisch gefeiert, im Saisonfinale forderten die Adler-Fans seinen Einsatz mit lauten Sprechchören. MĂŒller kam aufs Feld – ein Held. Dennoch ein gebrochener Hero, die Krankheit war nicht zu besiegen. Der Hirntumor war nicht heilbar. Der innere Drang, der Kick und wahrscheinlich auch der Beweis, dass es doch geht, zogen ihn aufs Eis.
Nachdem er in Mannheim wenig Spielzeit hatte, auch, weil es den Verantwortlichen zu risikoreich war, wechselte MĂŒller zunĂ€chst zu Duisburg und im Winter 2007/08 dann zu den Kölner Haien (KEC). Er parierte viele Pucks, die auf sein GehĂ€use geschossen kamen, er war wieder weitestgehend angekommen. Auch ins Nationalteam war er berufen worden. Im MĂ€rz 2008 traf die Nummer 80 mit seinem KEC im Viertelfinale auf den ehemaligen Arbeitgeber aus Mannheim.
Historisches Match in Köln
Das dritte Viertelfinalspiel fand in Köln statt, es sollte eine denkwĂŒrdige Partie werden. Eine Legende von einem kranken Torwart, der ĂŒber sich und sein Todesurteil hinauswĂ€chst. Das Match dauerte sechseinhalb Stunden, MĂŒller parierte 100 SchĂŒsse. 100 Mal wehrte er den Puck ab, 100 kleine historische Siege ĂŒber den Tumor. Im Schnitt wehren TorhĂŒter in einem Match ĂŒber die regulĂ€re LĂ€nge von 60 Minuten circa 30 BĂ€lle ab.
Als so etwas wie NormalitĂ€t einkehrte und MĂŒller weitgehend schmerzfrei blieb, fuhr er im August 2008 zu einer Routine-Untersuchung. Der Kernspin ergab einen Tumor, der in wenigen Tagen um ein Vielfaches gewachsen war. Der Druck auf die BlutgefĂ€Ăe war lebensgefĂ€hrlich, auch deshalb war eine weitere Operation unumgĂ€nglich.
Doch MĂŒller lieĂ sich nicht zurĂŒckwerfen, die letzten Tage auf Erden wollte er kĂ€mpfen. Er wollte seiner groĂen Leidenschaft nachgehen. Sein Arzt wurde von der Schweigepflicht entbunden, auch der KEC ging offen mit der Krankheit um. Der damals 27-JĂ€hrige trainierte zwei Monate spĂ€ter fĂŒr ein erneutes Comeback.
âOnly God can judge me“
13 000 Zuschauer erhoben sich, sie klatschten und jubelten. Die Mitspieler waren ebenso ergriffen. MĂŒller schlitterte fĂŒr acht Minuten aufs Eis. Beim Comeback nach Monaten des inneren Kampfes und der körperlichen Ausreizung stand er wieder auf dem Feld. Nicht nur das GĂ€steteam aus NĂŒrnberg wurde zur Randerscheinung reduziert. Es war MĂŒllers Auftritt. Die erneute Wiederkehr eines Mannes, der nie Mitleid wollte. Auf einer Kappe trug er mal die Aufschrift: âOnly God can judge me“ – nur Gottes Urteil war er unterstellt.
Zum Ende des Jahres 2008 verschlechterte sich sein Zustand, seine mittlere Lebenserwartung fĂŒr diese Erkrankung war bereits abgelaufen. Die Auftritte in den Eishockeyarenen der Republik hatten seinen Durst befriedigt, der Wille war immens – obwohl er stets die Gewissheit des Todes mit sich trug. Es waren wohl solche Momente, die dieses traurige Wissen ausblendeten.
Am 21. Mai 2009 vermeldete der KEC den Tod von Robert MĂŒller. Der TorhĂŒter absolvierte 127 LĂ€nderspiele und nahm an acht Weltmeisterschaften und zwei Olympischen Spielen teil. Seine Nummer 80 wurde von der DEL ligaweit gesperrt. MĂŒller hinterlieĂ eine Frau und zwei Kinder. Auf dem Feld kĂ€mpfte er unaufhörlich – bis in die letzten Tage – seinen ganz persönlichen Fight mit einer Krankheit, die er nicht besiegen konnte. Es bleibt eine Leidensgeschichte, und dennoch irgendwie eine Erfolgsgeschichte.
(Text: Jerome Kirschbaum)
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