Wintersport

100 kleine Siege

Es war der 21. Mai 2009 – der Kölner Eishockeyclub trauerte um den Verlust eines Mannes, der bis zum Schluss im Dienste des Klubs, aber auch im ewigen Kampf um sein Glück und seine Gesundheit stand. Robert Müller starb an jenem Tag im Alter von 28 Jahren. Er hatte bis dahin eine bewegende, lange Leidens- und doch irgendwie Erfolgsgeschichte geschrieben. Aber er wollte nur eines bis zum letzten Tag: Eishockey.


Die Diagnose kam Ende November 2006. Nach Schwindelanfällen musste der Torhüter damals noch im Trikot der Adler Mannheim vom Deutschland Cup abreisen. Im Krankenhaus dann die schockierende Nachricht: Ein bösartiger Hirntumor bedrohte das Leben Müllers.
Eine Chemo- und Strahlentherapie rettete ihm das Leben, letztendlich pausierte der Goalie drei Monate. Danach wurde er frenetisch gefeiert, im Saisonfinale forderten die Adler-Fans seinen Einsatz mit lauten Sprechchören. Müller kam aufs Feld – ein Held. Dennoch ein gebrochener Hero, die Krankheit war nicht zu besiegen. Der Hirntumor war nicht heilbar. Der innere Drang, der Kick und wahrscheinlich auch der Beweis, dass es doch geht, zogen ihn aufs Eis.
Nachdem er in Mannheim wenig Spielzeit hatte, auch, weil es den Verantwortlichen zu risikoreich war, wechselte Müller zunächst zu Duisburg und im Winter 2007/08 dann zu den Kölner Haien (KEC). Er parierte viele Pucks, die auf sein Gehäuse geschossen kamen, er war wieder weitestgehend angekommen. Auch ins Nationalteam war er berufen worden. Im März 2008 traf die Nummer 80 mit seinem KEC im Viertelfinale auf den ehemaligen Arbeitgeber aus Mannheim.

Historisches Match in Köln
Das dritte Viertelfinalspiel fand in Köln statt, es sollte eine denkwürdige Partie werden. Eine Legende von einem kranken Torwart, der über sich und sein Todesurteil hinauswächst. Das Match dauerte sechseinhalb Stunden, Müller parierte 100 Schüsse. 100 Mal wehrte er den Puck ab, 100 kleine historische Siege über den Tumor. Im Schnitt wehren Torhüter in einem Match über die reguläre Länge von 60 Minuten circa 30 Bälle ab.

Als so etwas wie Normalität einkehrte und Müller weitgehend schmerzfrei blieb, fuhr er im August 2008 zu einer Routine-Untersuchung. Der Kernspin ergab einen Tumor, der in wenigen Tagen um ein Vielfaches gewachsen war. Der Druck auf die Blutgefäße war lebensgefährlich, auch deshalb war eine weitere Operation unumgänglich.
Doch Müller ließ sich nicht zurückwerfen, die letzten Tage auf Erden wollte er kämpfen. Er wollte seiner großen Leidenschaft nachgehen. Sein Arzt wurde von der Schweigepflicht entbunden, auch der KEC ging offen mit der Krankheit um. Der damals 27-Jährige trainierte zwei Monate später für ein erneutes Comeback.

„Only God can judge me”
13 000 Zuschauer erhoben sich, sie klatschten und jubelten.  Die Mitspieler waren ebenso ergriffen. Müller schlitterte für acht Minuten aufs Eis. Beim Comeback nach Monaten des inneren Kampfes und der körperlichen Ausreizung stand er wieder auf dem Feld. Nicht nur das Gästeteam aus Nürnberg wurde zur Randerscheinung reduziert. Es war Müllers Auftritt. Die erneute Wiederkehr eines Mannes, der nie Mitleid wollte. Auf einer Kappe trug er mal die Aufschrift: „Only God can judge me” – nur Gottes Urteil war er unterstellt.

Zum Ende des Jahres 2008 verschlechterte sich sein Zustand, seine mittlere Lebenserwartung für diese Erkrankung war bereits abgelaufen. Die Auftritte in den Eishockeyarenen der Republik hatten seinen Durst befriedigt, der Wille war immens – obwohl er stets die Gewissheit des Todes mit sich trug. Es waren wohl solche Momente, die dieses traurige Wissen ausblendeten.
Am 21. Mai 2009 vermeldete der KEC den Tod von Robert Müller. Der Torhüter absolvierte 127 Länderspiele und nahm an acht Weltmeisterschaften und zwei Olympischen Spielen teil. Seine Nummer 80 wurde von der DEL ligaweit gesperrt. Müller hinterließ eine Frau und zwei Kinder. Auf dem Feld kämpfte er unaufhörlich – bis in die letzten Tage – seinen ganz persönlichen Fight mit einer Krankheit, die er nicht besiegen konnte. Es bleibt eine Leidensgeschichte, und dennoch irgendwie eine Erfolgsgeschichte.

(Text: Jerome Kirschbaum)

Jerome K.

Jerome schreibt am liebsten über Sport, wenn er denn nicht selbst auf einem Platz steht. Seit Oktober 2010 verdingt sich Jerome als Schreiberling für back view, neben den Leibesübungen widmet er sich sich auch politischen Themen. Im wahren Leben musste Jerome zahlreiche Semester auf Lehramt studieren, um dann schlussendlich doch etwas ganz anderes zu werden.

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